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# taz.de -- Eine Sekretär
> Videokitsch über die Varnhagens: Durstjahre bei Jutta Brückner  ■ Von…
> Erdmann Ziegler
Er schreibt Romane, seine Leserinnen schreiben ihm Briefe. So entsteht eine
verhängnisvolle Beziehung, deren Produkte die Germanisten als Primär- und
Sekundärliteratur zu unterscheiden wissen. Seit Goethe, mit dem die Sache
in Deutschland losging; und bis vor kurzem, als der Germanistik an ihrer
Ordnung Zweifel kamen.
Rahel Levin gehörte zu denen, die Briefe schrieben, und glauben wir der
drallen Schaupielerin Kirsten Dene mit ihrem fast unwiderstehlichen
Hamburger Charme, hatte sie allen Grund zu klagen, daß ihr kein Mann das
Wasser reichen konnte; denn was nützen, wenn die Finanzen knapp und
Jüdinnen in romantischen Dichterkreisen geschnitten werden, greller Witz
und heller Verstand? Aber da kommt Varnhagen, der sie heiraten wird, wie
uns der Name schon sagt, der als der ihre überliefert ist. Er gewinnt nicht
ihr Herz, indem er fordert, begehrt zu werden, nein; sondern indem er
beginnt, ihre Briefe abzuschreiben für den späteren Verleger: ihre
Highlights über Goethe, leicht redigiert. Eine Sekretär.
Soviel Information wirft Jutta Brückners Film schon ab, obwohl sie den
Verdacht auf sich zieht, die aufschreibetechnischen Offensichtlichkeiten
dieser Liebe nicht zu sehen: Rahel sagt bei Brückner, er solle sie nicht
kopieren, sondern verstehen. Werch ein Illtum: Kopielen macht Riebe.
Aber erst jenseits der literarischen Schiene des Films — also des
Soundtracks — beginnt das eigentliche Dilemma. Der Film ist in einer
sogenannten Video-Post-Produktion verfremdend (hätte man wohl bis vor
kurzem gesagt) aufbereitet worden. Die Bilder werden über die Diagonale
gebrochen, gedoppelt, überblendet, mit Farben unterlegt und ins Negativ
gekontert. Das sieht so aus, als hätte jemand mit dem Filmmaterial das
Batiken geübt. Die Manipulationen sind willkürlich und äußerlich.
Peinlich, daß Gerburg Treusch- Dieter, Berlins Medienfrau vom Dienst, Jutta
Brückner im Forums- Info das Gefälligkeitsinterview abnimmt.
Treusch-Dieter: „Es ist ein einziger Fluß von Kommunikation, aus dem mal
der eine und mal die andere herausragt.“ Anders gesprochen, man erkennt an
Personen, Kleidern und Möbeln meistens nicht einmal das, was man aus der
zwanzigsten Reihe im Theater erkennen würde. Und das „historisch“
inszenierte Set — bei ihr zu Haus zwischen Teetisch und Bett — ist schon
kümmerlich genug.
So könnte man den Namen Jutta Brückner getrost vergessen, wäre da nicht ein
Film namens „Hungerjahre“: eine eindringliche, ergreifende Studie über ein
Mädchen in der Pubertät in den Fünfziger Jahren.
Der Film wurde 1980 auf dem Forum gezeigt; damals gegen den Trend. Aber
jetzt 105 Minuten Videokitsch über die Varnhagen — das ist schlimmer als zu
spät. Es ist eine Verirrung.
22 Feb 1992
## AUTOREN
ulf erdmann ziegler
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