# taz.de -- Aufstand der Frauen besiegte Gestapo | |
> ■ Vor 49 Jahren verhinderten Berliner Frauen durch eine öffentliche | |
> Protestaktion die Deportation ihrer jüdischen Ehemänner | |
Mitte. Am Samstag, den 27. Februar 1943 hatte Lotti Freudenthal ihrem Mann | |
Julius »was Schönes gekocht«. Als Julius gegen 13 Uhr noch nicht da war, | |
lief sie zu dem Milchladen gegenüber. Die Frau dort hatte ein Telefon, aber | |
niemand hatte angerufen. Jede halbe Stunde rannte Lotti Freudenthal in den | |
Milchladen. Kein Anruf. Nichts. Am Nachmittag kam ihre Mutter und erzählte, | |
ein Fremder habe ihr telefonisch ausgerichtet, daß die SS einen Juden | |
namens Julius in die Gestapozentrale in der Rosenstraße gebracht habe. | |
An diesem Tag hatte in Berlin eine großangelegte Deportationsaktion | |
begonnen, die unter dem Namen »Fabrikaktion« bekannt wurde. Die SS trieb | |
alle Juden, die in Fabriken Zwangsarbeit leisteten, zusammen und | |
verschleppte sie in die Sammellager in der Levetzowstraße und in der Großen | |
Hamburger Straße. Dort wurden die Häftlinge sortiert. Die »Mischlinge«, so | |
bezeichnet, weil sie mit arischen Partnern verheiratet waren oder arische | |
Elternteile hatten, transportierte man in die Rosenstraße 2-4. Die | |
»Volljuden« blieben in den Sammellagern. Einen Tag später schrieb Joseph | |
Goebbels in sein Tagebuch: »Wir schaffen nun die Juden aus Berlin hinaus. | |
Sie sind am vergangenen Samstag schlagartig zusammengefaßt worden und | |
werden in kürzester Frist nach dem Osten abgeschoben«. Dieses eine Mal | |
sollte er eine Niederlage erleben. Zum Teil. | |
Lotti Freudenthal packte ihrem Mann am Samstag nachmittag ein paar Kleider | |
und Decken zusammen und fuhr mit der U-Bahn zur »Börse«, heute | |
»Marx-Engels-Platz«. Als sie in die Rosenstraße kam, standen vor dem | |
Gebäude Nr. 2-4, einem ehemaligen jüdischen Wohlfahrtsamt, jetzt | |
Deportationszentrum der Gestapo, etwa 200 Frauen, die dort ebenfalls auf | |
ihre Männer warteten. »Die Frauen standen da und schrien: ‘Wir wollen | |
unsere Männer wiederhaben. Gebt uns unsere Männer wieder!‚ Stundenlang | |
standen wir in der Kälte und riefen.« | |
Nachmittags hatte die Gestapo genug und stellte Maschinengewehre auf. Lotti | |
Freudenthal fühlte sich überhaupt nicht heldenmütig, aber sie blieb, ebenso | |
wie die meisten anderen Frauen: »Ich dachte nur, wenn ich weglaufe, kann | |
ich ihm nicht helfen. Dann ist alles aus. | |
Knapp einen Monat zuvor hatte die deutsche Sechste Armee in Stalingrad | |
kapituliert. Die Sowjets fanden nach dem Einmarsch in ihre Stadt 146.000 | |
Gefallene vor. Mag sein, daß das militärische Desaster die Gestapo daheim | |
verunsichert hatte. Vielleicht lag es auch daran, daß die demonstrierenden | |
Frauen vor der Tür »Arierinnen« waren. Wie auch immer, die Gestapo baute | |
ihre Maschinengewehre wieder ab, ohne einen Schuß abgegeben zu haben. In | |
der Nacht darauf erlebte Berlin seinen ersten schweren Luftangriff. Aber am | |
nächsten Morgen standen wieder mehrere hundert Frauen vor der Rosenstraße | |
2-4 und riefen nach ihren Männern. | |
Es war ein unglaublicher Vorgang: öffentlicher Protest und Demonstrationen | |
vor den Augen der Gestapo. Zwölf Tage und zwölf Nächte lang, bis die | |
Gestapo alle 2.500 internierten Häftlinge freiließ. Selbst 25 Juden, die | |
bereits nach Auschwitz deportiert waren, kamen wieder zurück. Die Aktion | |
war einmalig in Nazideutschland. Doch während mit Straßennamen, Denkmälern | |
und Reden an den Aufstand der preußischen Elite am 20. Juli 1944 ausgiebig | |
erinnert wird, gibt es in der Rosenstraße nicht einmal eine Gedenktafel, | |
die über den Aufstand der Frauen Auskunft gibt. | |
Eine Gruppe der Fachhochschule für Sozialarbeit hat zwei Semester lang die | |
Ereignisse in der Rosenstraße erforscht. Das Haus Nr. 2-4 existiert nicht | |
mehr. Deshalb haben die Studenten in der Straße eine mit Informationen | |
beklebte Litfaßsäule aufgestellt, die jedoch nur einen Monat dort stehen | |
bleibt. Eine Ausstellung informiert im Kulturhaus Mitte in der | |
Rosenthalstraße 51 über die Rebellion. Dort berichtete auch Lotti | |
Freudenthal am Samstag vor rund hundert Zuhörern über die zwölf Tage im | |
Februar 1943. | |
Ihr Mann überlebte das Naziregime ebenso wie die meisten der von ihren | |
Frauen befreiten Männer. Doch Goebbels konnte einen Teilerfolg verbuchen. | |
Die Deportation der »Volljuden« in den Sammellagern behinderte niemand. Am | |
1. März 1943 ging ein erster Transport von 1.736 Juden aus der | |
Levetzowstraße nach Auschwitz. Anja Seeliger | |
2 Mar 1992 | |
## AUTOREN | |
anja seeliger | |
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