# taz.de -- Presse aus der Türkei: Die Unermüdlichen | |
> Evin Barış Altıntaş, Michelle Demishevich und İrfan Aktan schreiben heute | |
> für taz gazete. | |
Bild: taz gazete Kolumnistin Michelle Demishevich | |
In der Türkei verloren sie ihre Arbeit, fanden keine neue oder wurden sogar | |
zu Haftstrafen verurteilt. Drei Journalist*innen, die heute für [1][taz | |
gazete] schreiben. | |
## „Wir haben Solidarität erfahren“ von [2][Evin Barış Altıntaş] | |
„Februar 2018. Auf einer Veranstaltung in Istanbul traf ich einen | |
Journalisten aus Ankara, den ich schon seit längerer Zeit nicht gesehen | |
hatte. Ich fragte ihn, wo er heute arbeite, früher hatte er vor allem für | |
Mainstream-Medien geschrieben. Das war eigentlich eine schlechte, ja sogar | |
unpassende Frage vor dem Hintergrund, dass nach dem gescheiterten | |
Putschversuch viele Journalist*innen arbeitslos wurden und Zeitungen | |
schließen mussten. Aber mein Gesprächspartner antwortete ohne zu zögern: | |
‚Ich schreibe jetzt für die taz gazete‘. | |
Die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre in | |
der Türkei waren einschneidend. Seit den Gezi-Protesten im Sommer 2013 | |
bleiben für die meisten Kolleg*innen heute in der immer unbeliebter | |
werdenden Pressebranche nur zwei Möglichkeiten: eine Art „Geisel“ in den | |
regierungsnahen Medien zu werden oder den eigentlichen Beruf an den Nagel | |
zu hängen und so in die Arbeitslosigkeit zu rutschen. | |
Arbeitslos zu sein bedeutet für viele ehemalige Festangestellte auch, eher | |
unfreiwillig als freie Journalistin oder als freier Journalist für den | |
eigenen Unterhalt zu sorgen. Diese Kolleg*innen müssen ihre Ideen nun, ohne | |
eine Redaktion im Rücken, selbst entwickeln und vermarkten. | |
Ein anderes Problem ist, dass türkische Medien kein oder nur sehr wenig | |
Honorar für Urheberrechte zahlen. Für mehrsprachige Journalist*innen war es | |
in den letzten Jahren einfacher, ihre Arbeit fortzusetzen, weil sie für | |
internationale Medien wie BBC und Deutsche Welle arbeiten konnten. Aber | |
nicht alle Türkeistämmigen beherrschen mehrere Sprachen. | |
taz gazete war für viele dieser Journalist*innen also die einzige | |
Möglichkeit, überhaupt ein, zwei Rechnungen pro Monat bezahlen zu können – | |
obwohl dieser Aspekt nur zweitrangig ist. Vielmehr begegnete man unserer | |
journalistischen Arbeit mit Sorgfalt und artikulierte auch den Wunsch nach | |
weiteren Texten. | |
In diesen schwierigen Zeiten gibt taz gazete vielen Journalist*innen ein | |
Gefühl der Zugehörigkeit. In Berlin haben wir die Solidarität erfahren, die | |
wir in der Türkei aufgrund von ideologischen Auseinandersetzungen selbst | |
untereinander nicht erleben. Es war taz gazete, die vielen Journalist*innen | |
die Gewissheit gab, Verantwortung zu übernehmen. taz gazete hat auch | |
gezeigt, dass es in einer schweren Phase der Isolation möglich ist, sich | |
integriert zu fühlen und dass es nicht vorbei ist mit der Pressefreiheit in | |
der Türkei. Man kann mit Stolz sagen: ‚Ich schreibe für taz gazete‘.“ | |
(Übersetzung Cem Bozdoğan) | |
*** | |
## „Die taz reichte mir die Hand“ von [3][Michelle Demishevich] | |
„Ich bin eine Transgender-Journalistin. Dank der taz Panter Stiftung konnte | |
ich 2017 von Istanbul nach Berlin kommen. Die Stiftung unterstützte mich | |
bei meiner Bewerbung für ein Stipendium für bedrohte Journalist*innen beim | |
Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit in Leipzig. | |
Nach dem Ende des sechsmonatigen Stipendiums half sie mir außerdem dabei, | |
ein Aufenthaltsvisum als freie Journalistin zu bekommen. | |
Während Trans-Journalist*innen in der Türkei keine Chancen haben, sowohl in | |
den regierungsnahen als auch in den oppositionellen Medien zu arbeiten, hat | |
die taz an mich geglaubt und mir ermöglicht, meine Profession auszuüben. | |
Für meinen Beruf habe ich mich immer stark engagiert und viel in Kauf | |
genommen. Nach Dutzenden Absagen auf meine Bewerbungen bei verschiedenen | |
Zeitungen war ich zweieinhalb Jahre als Gerichtsreporterin beim kurdischen | |
Fernsehsender IMC-TV beschäftigt, anschließend ein Jahr beim | |
Nachrichtenportal T24. | |
Doch eine langfristige Anstellung wollte mir niemand geben. Auch die | |
Journalist*innenverbände unterstützten mich nicht. Es gab Zeiten, in denen | |
ich gehungert habe oder auf der Straße lebte – und dennoch habe ich nie auf | |
meine journalistische Arbeit verzichtet. | |
Dank der taz führe ich heute in Berlin ein neues, ruhiges und sicheres | |
Leben. Dafür bin ich ihr bis an mein Lebensende dankbar. Dass einer | |
Trans-Journalistin aus der Türkei diese Möglichkeit gegeben wurde, hat | |
einen besonderen Wert für mich. | |
Gestern noch sagte ich: ,Okay, das war’s wohl' – und genau in diesem Moment | |
reichte die taz mir die Hand. | |
Heute führe ich ein neues und hoffnungsvolles Leben. Ich habe eine | |
Aufenthaltsgenehmigung bis 2020, schreibe eine Kolumne in der taz, Artikel | |
für taz gazete und habe eine Video-Kolumne bei WDR Cosmo. | |
Meine größte Hoffnung ist, mein Leben lang als Journalistin arbeiten zu | |
können und die gleiche Solidarität zu erfahren wie meine Kolleg*innen, die | |
aus der Türkei nach Deutschland gekommen sind. | |
Seitdem ich in Deutschland bin, hat sich mein journalistisches | |
Interessensgebiet erweitert. Als Migrantin bin ich in den letzten Jahren | |
mit den Themengebieten Flucht und Migration in Berührung gekommen. | |
In Zukunft möchte ich recherchieren, wie LGBTI-Personen ihre Flucht erleben | |
und mit welchen Schwierigkeiten sie hierzulande konfrontiert sind. | |
Ich möchte nicht, dass Sie Ihre Spende für die taz Panter Stiftung nur als | |
finanzielle Hilfe betrachten, die sich nur in Zahlen ausdrückt. Ihre | |
Unterstützung kann für einen Menschen auf dieser Welt neue Hoffnung | |
bedeuten. Sie mögen jetzt vielleicht denken: ,Das alles passiert doch nicht | |
mit einer kleinen Hilfe.‘ | |
,Doch', möchte ich Ihnen sagen, ‚mit einer kleinen Hilfe können Sie große | |
Unterschiede bewirken.‘“ | |
(Übersetzung Cem Bozdoğan) | |
*** | |
## „Wir versuchen, die Wahrheit in die Welt zu rufen“ von [4][İrfan Aktan] | |
Als ich 2000 angefangen habe, als Journalist zu arbeiten, steckte die | |
Türkei in einer der größten Wirtschaftskrisen ihrer Geschichte. Während der | |
Krise verloren Hunderte Journalist*innen ihren Job, aber zu der Zeit war es | |
noch vergleichsweise einfach, Arbeit in alternativen Medien zu finden. | |
Damals bedeutete es nicht, seinen Beruf zu verlieren, wenn man seinen Job | |
verlor. In der Türkei im Jahr 2018 hingegen verlieren die Journalist*innen | |
ihren Beruf. Denn die alternative oder oppositionelle Presse wird durch | |
politische und gerichtliche Entscheidungen beseitigt. | |
Vor einigen Monaten begegnete ich auf der Straße einem Freund. Als er mich | |
seiner Mutter vorstellte und ihr erzählte, dass ich Journalist bin, | |
musterte sie mich argwöhnisch und fragte mich: ;Müsstest du nicht im | |
Gefängnis sein?' Wie schade, dass die Mutter meines Freundes weder die | |
Erste noch die Letzte war, die mir diese Frage stellte. | |
Als ich 2010, also vor gar nicht langer Zeit, eine Haftstrafe von 16 | |
Monaten bekam (eine kurz darauf verabschiedete Gesetzesänderung | |
verhinderte, dass ich ins Gefängnis musste), kritisierten fast alle | |
Journalist*innen in den Mainstream-Medien das Urteil. | |
In der Türkei von 2018 sind die Journalist*innen, deren Wohnungen gestürmt | |
werden, die auf der Straße zusammengeknüppelt werden und gegen die | |
jahrelange Haftstrafen verhängt werden, nicht einmal eine Nachricht wert. | |
Die Türkei war zu keiner Zeit ein Staat, in dem Journalist*innen frei | |
berichten konnten. In meiner Heimatstadt Hakkâri im Südosten des Landes | |
wurde ich vor allem in den Neunzigern hundertfach Zeuge davon, wie die | |
grundlegenden Menschenrechte vor den Augen aller mit Füßen getreten wurden. | |
Was mich dennoch zum Journalismus getrieben hat, sind die Hunderte von | |
Menschenrechtsverletzungen, deren Zeuge ich seit meiner Kindheit geworden | |
bin. Diese Zeilen sollen nicht als Jammern missverstanden werden. | |
Im Gegenteil: Ich will, dass alle wissen, dass es trotz der schweren | |
Repressionen des Staats Journalist*innen gibt, die versuchen, selbst die | |
kleinste Lücke zu finden, um die Wahrheit in die Welt zu rufen.“ | |
(Übersetzung Cem Bozdoğan) | |
Dieser Beitrag stammt aus der [5][Publikation 10 Jahre taz Panter | |
Stiftung.] | |
17 Dec 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://https://gazete.taz.de/ | |
[2] http://https://twitter.com/barisalt?lang=de | |
[3] http://https://twitter.com/demishevich?lang=de | |
[4] http://https://twitter.com/irfanaktans?lang=de | |
[5] http://download.taz.de/Magazin-10-jahre-stiftung.pdf | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |