# taz.de -- Aus dem taz Buch (5): Die Grünen: „Was hättet ihr denn gemacht?… | |
> Früher wohnten tazlerInnen und Grüne auch mal in der gleichen WG. | |
> Spätestens mit Rot-Grün 1998 trennten sich die Wege. | |
Bild: taz-Redakteur Klaus-Peter Klingelschmitt mit Joschka Fischer um 1986. Dam… | |
von [1][ ULRICH SCHULTE ] | |
Eigentlich ist es ja ganz einfach. Die taz ist eine Zeitung, die Grünen | |
sind eine Partei. Wir von der Zeitung beobachten, schreiben und | |
kommentieren, die von der Partei machen Politik. Fertig. Aber so einfach | |
ist es eben nicht. Es gibt immer wieder Erlebnisse, die mich, der ich nun | |
schon einige Jahre über die Grünen schreibe, über das Verhältnis von taz | |
und Grünen nachdenken lassen. | |
Ich sieze PolitikerInnen zum Beispiel aus Prinzip, manche Grüne verstehen | |
das nicht. Ein nicht unbekannter Europapolitiker verwickelte mich in eine | |
Grundsatzdiskussion darüber, ob meine Duz-Verweigerung für eine allgemeine | |
Verspießerung der taz stünde. Auf mein Argument, ein bisschen Distanz sei | |
doch ganz angenehm und ich müsste vielleicht mal böse über ihn schreiben, | |
entgegnete er. „Kein Problem. Dann sagen wir: Du Arschloch!“ | |
Da ist der wichtige Grüne, der bei einem dieser Berliner Sommerfeste aus | |
heiterem Himmel die taz und ihre „neoliberale Berichterstattung“ | |
beschimpft. Oder der Pressesprecher, der noch ein Jahr später spitz | |
anmerkt, die taz habe ja damals ein Foto gedruckt, auf dem der | |
Fraktionsvorsitzende unvorteilhaft zur Geltung kam. Oder der | |
Ministeriumsmitarbeiter, der mich nach einem Text, in dem ich den Grünen | |
vorwarf, öffentlicher Kritik zu schnell nachzugeben, vorwurfsvoll fragt: | |
„Was hättet ihr denn gemacht?“ Momente sind das, in denen ich mir vorkomme | |
wie in einer echten Beziehung. | |
Die Grünen und die taz, das ist etwas Besonderes. Da sind Gefühle im Spiel, | |
Wut, Sympathie, manchmal auch unrealistische Erwartungen. Da denken die | |
einen, die anderen müssten doch. Oder könnten zumindest. | |
## Der entscheidende Schub | |
Ganz wichtig ist bei einer Beziehung natürlich die gemeinsame Geschichte. | |
Nichts verbindet so wie geteilte Erfahrungen. Die taz und die Grünen sind | |
Zellhaufen, die in der gleichen Ursuppe entstanden. Januar 1978, im | |
nüchternen Betonbau der Technischen Universität in Berlin findet der | |
Tunix-Kongress statt. Fast 20.000 Leute aus der linken Szene diskutieren | |
über eine bessere Welt, Feministinnen sind dabei, Ökos und Landfreaks, | |
Schwule und Lesben, enttäuschte Maoisten. Es herrscht Aufbruchsstimmung. | |
Hans-Christian Ströbele stellt im überfüllten Auditorium Maximum die Idee | |
einer linken Tageszeitung vor, Abgesandte der „Libération“ aus Paris und | |
der „Lotta continua“ aus Rom erzählen von ihren Erfahrungen. | |
Das Projekt, so erinnert es taz-Mitgründer Michael Sontheimer, stieß „auf | |
erregte Zustimmung“. Der Kongress, ein Festival der linksalternativen | |
Szene, liefert den entscheidenden Schub. Danach bilden sich | |
Initiativgruppen in 30 Städten, die taz erscheint ab April 1979 täglich. | |
Tunix ist nicht nur der Startschuss für die taz, sondern auch ein | |
Ideenlabor für die Grünen. „Grünes Gründungsfieber“, titelt die taz auf | |
Seite 1, als sich die Partei wenig später, im Januar 1980, in Karlsruhe | |
gründet. | |
Gegensätze ziehen sich an? Das ist ein Mythos. Forscher, die | |
Paarbeziehungen untersuchen, sagen, dass Gemeinsamkeiten entscheidend | |
seien. taz und Grüne haben nicht wenige. Das Chaos der Anfänge, | |
unerfüllbare Ziele, die DNA ist ähnlich. Die eine will die Stimme der | |
Gegenöffentlichkeit sein, die anderen ihr politischer Arm. Sozial, | |
ökologisch, basisdemokratisch und gewaltfrei. An den Küchentischen der | |
linken WGs der Republik wird die taz studiert – und die Politik der Grünen | |
diskutiert, die sich damals als Anti-Parteien-Partei sehen. | |
## Nach der Verliebtheitsphase | |
Ströbele ist eine Schlüsselfigur. Mit abgewetzter Ledertasche, Jeans und | |
Holzclogs spielt er mehrere Rollen für die taz, wie sein Biograf Stefan | |
Reinecke schreibt. „Er ist Spiritus Rector des Projekts, Mädchen für alles, | |
Caterer, ruhender Pol, Justitiar der in Rechtsfragen ahnungslosen | |
Redaktion, entschlossener Verfechter der Basisdemokratie.“ Ströbele berät | |
die tazler, die damals noch in der Berliner Wattstraße die Zeitung | |
produzieren. Schlichtet zwischen zerstrittenen Grüppchen. Oder bringt mit | |
seinem VW-Passat Frühstück vorbei, Gouda, Brötchen, Joghurtpaletten. | |
Ströbeles Leidenschaft für die taz ist ein Sonderfall und nicht für alle | |
Grünen verallgemeinerbar. | |
Aber wahr ist auch, dass die Grenzen zwischen Journalismus und | |
Politaktivismus in den Anfängen verwischen. tazler halten nicht viel von | |
Distanz, mehrfachen Quellenchecks und anderen journalistischen Regeln. | |
tazler und Grüne wohnen zusammen in WGs, treffen sich abends in der Kneipe. | |
Ein Innenpolitik-Redakteur ruft morgens öfters grüne Entscheider an, um | |
Thesen auszutauschen. Der Jour fixe beeinflusst die Kommentarlinie nicht | |
unwesentlich. | |
taz und Grünen geht es wie einem Paar nach der Verliebtheitsphase. Der | |
Euphorie folgt Ernüchterung. Beide, Zeitung und Partei, professionalisieren | |
sich. Die taz gibt das Prinzip auf, dass alle alles machen. Sie zieht | |
Hierarchien ein, 1984 leitet erstmals ein Chefredakteur die Konferenz. Die | |
RedakteurInnen lernen das journalistische Handwerk. Die Grünen | |
verabschieden sich vom Rotationsprinzip, weichen die Trennung von Amt und | |
Mandat auf – und bereiten sich aufs Regieren vor. | |
Und, natürlich, wie in jeder Beziehung wird gestritten. Das Politische | |
liegt der Zeitung ebenso am Herzen wie der Partei. Manchmal geht es um | |
tiefe Überzeugungen, dann wird es schmerzhaft. Als die Grünen 1998 in | |
Gerhard Schröders Regierung eintreten, ist bereits absehbar, dass sie über | |
die deutsche Beteiligung am Kosovo-Krieg entscheiden müssen. Der | |
Sonderparteitag in Bielefeld, die gellenden Pfiffe der Kriegsgegner, der | |
Farbbeutelwurf, Joschka Fischers Rede. Die Grünen verabschieden sich unter | |
Qualen vom Pazifismus. | |
## Eine Parteizeitung der Grünen? | |
Auch in der taz wird erbittert gerungen. Bettina Gaus, damals Leiterin des | |
Parlamentsbüros, verurteilt in scharfen Kommentaren den Kriegseinsatz, | |
Erich Rathfelder aus dem Ausland hält dagegen. Fischer, der charismatische | |
Alphamann der Grünen, weiß um seine Attraktivität für Medien. Der grüne | |
Außenminister stellt vor einem taz-Interview die Bedingung, dass seine | |
Kritikerin nicht dabei sein darf. Dass die taz einwilligt und Gaus im Regen | |
stehen lässt, ist einer der blamableren Momente ihrer Geschichte. | |
Ein bis heute bemühtes Klischee ist, dass die taz eine Parteizeitung der | |
Grünen sei. Das aber ist sie nie gewesen, schon in den Anfängen war harte | |
Kritik üblich, seit Langem gilt sowieso: Interesse bedeutet keine | |
Distanzlosigkeit. | |
Zeitung und Partei spiegeln auf ihre Weise die Debatten des | |
linksalternativen Milieus. Sie fechten die Konflikte aus, die ihre Leute | |
interessieren. Jürgen Trittins Atomkonsens, die Reform des | |
Staatsangehörigkeitsrechts, die Agenda 2010. So, wie es bei den Grünen | |
Realos und Linke gibt, gibt es auch in der taz diejenigen, die sagen, die | |
Grünen holten in der Regierung das Bestmögliche heraus. Und diejenigen, die | |
über die „Fischerchöre“ lästern. Die KritikerInnen finden es fürchterli… | |
wie die Grünen die neue Mitte für sich entdecken. Als seien sie endlich | |
angekommen, philosophieren ihre Spitzenleute mit Perlenkette oder | |
Seidenkrawatte auf Dachterrassen in Berlin-Mitte darüber, wie Arbeitslose | |
zu behandeln seien. | |
## Die Zeitung der Delegierten | |
Gibt es auch Kränkungen? Aber ja, mannigfaltige. Fischer, Trittin und Co. | |
legen sich mit dem Regieren eine neue PR-Strategie zu. Die taz, bis dahin | |
gerne kontaktiert, ist zu klein für die gewachsene Bedeutung. Fortan | |
erzählen die Damen und Herren Minister die neuesten Drehs der Süddeutschen | |
Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen oder dem Spiegel. Nicht schön für die | |
taz, am Ende aber verständlich. Informationen mit größtmöglicher Wirkung zu | |
platzieren ist nur professionell, und konservative Medien eignen sich dazu, | |
bürgerliche WählerInnen zu umwerben. Eins allerdings wird sich nie ändern: | |
Vor Parteitagen rufen Spitzengrüne gerne die taz an, um ihre Botschaften | |
loszuwerden. Der Funktionärsmittelbau, wissen sie, tickt linker als die | |
Parteispitze. Die taz ist die Zeitung der Delegierten. | |
An dem obligatorischen Vor-Parteitags-Anruf hat sich bis heute nichts | |
geändert. Doch auch die Grünen leiden unter der taz. 2001, als ein | |
Sonderparteitag das Ja zum Afghanistan-Einsatz abnickt, druckt das für | |
Satire zuständige Wahrheit-Ressort Claudia Roth auf die Eins – in Ballkleid | |
und Stola. Überschrift: „Die Gurke des Jahres“. Roth muss am selben Tag in | |
Rostock auf die Bühne. Sie weint, als sie die Zeitung sieht. | |
Wie kalt die taz auf die Grünen blicken kann, beweist sie im Wahlkampf | |
2013. Eigentlich sympathisiert sie mit dem linken Kurs des | |
Spitzenkandidaten Trittin, der moderate Steuererhöhungen für | |
Besserverdiener und Investitionen in die ökosoziale Wende vorsieht. Für die | |
Grünen läuft es schlecht. Sie leiden unter den Diskussionen über den | |
Veggieday und den Verstrickungen mit Pädophilen in den 80er Jahren. | |
## Bundestagswahl 2013 | |
Die Partei beauftragt ein Forscherteam vom Göttinger Institut für | |
Demokratieforschung damit, die Parteigeschichte aufzuarbeiten. Als der | |
Politologe Franz Walter herausfindet, dass Trittin 1981 das | |
Kommunalwahlprogramm der Alternativen-Grünen-Initiativen-Liste (AGIL) in | |
Göttingen presserechtlich verantwortete, gerät die taz in eine Zwickmühle. | |
Was tun mit der brisanten Information? | |
Die AGIL plädierte in dem Programm für eine strafrechtliche Freistellung | |
von sexuellen Handlungen zwischen Kindern und Erwachsenen, die ohne | |
Anwendung und Androhung von Gewalt zustande kamen. Walter bietet kurz vor | |
dem Wahlsonntag einen Text an. Die taz entscheidet sich, den Text zu | |
drucken, wissend, dass dies den Grünen und ihrem Spitzenkandidaten schaden | |
wird – und dass Trittin mit den Pädophilen nichts am Hut hatte. Die Fakten, | |
so die Einschätzung, waren trotzdem eine Geschichte. Grüne sind bis heute | |
der Ansicht, dass sie ihr 8,4-Prozent-Debakel bei der Wahl 2013 auch der | |
taz zu verdanken haben. | |
Trittin tritt ab, andere übernehmen. Sein Gegenspieler Winfried | |
Kretschmann, Oberrealo und Ministerpräsident in Baden-Württemberg, prägt | |
den neuen Kurs. Er wird in der taz als Staatsphilosoph gelobt, der endlich | |
gesellschaftliche Mehrheiten organisiert. Und er wird für seine laxe | |
Haltung gegenüber der Autoindustrie oder seine Ignoranz gegenüber | |
Verteilungsfragen scharf kritisiert. Wenn sich ein tazler eine grüne | |
Position zu eigen macht, kann man sicher sein, dass ein anderer bald darauf | |
etwas zu Nörgeln findet. Ein Phänomen zieht sich nämlich durch. In der taz | |
gibt es so viele Meinungen über die Grünen, wie es MitarbeiterInnen gibt. | |
Jeder tazler ist im Zweitjob Grünen-Experte. | |
19 Sep 2018 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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