Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Freier Journalismus im Netz: Die Erfindung der Paywahl
> Als immer mehr Zeitungen online Bezahlschranken hochzogen, erfand die taz
> eine Alternative.
Bild: Auch Kleingeld ist bei taz zahl ich gern gesehen
von [1][ILIJA MATUSKO]
Als die taz im Jahr 1979 gegründet wird, liegen die Umwälzungen durch den
Computer und das World Wide Web noch in weiter Ferne. Zwar existiert die
Vorstufe zum Internet schon, in Gestalt einiger über den Globus verteilter,
vernetzter Rechner, deren klobige Anmutung heute eher an Geldautomaten als
an High-Tech-Maschinen erinnert, aber welche tiefgreifende Weltveränderung
sie auslösen würden, kann noch niemand erahnen.
Bis in die 90er rattern die grünen Buchstabenkolonnen nur über Bildschirme
von Spezialisten und Technikfreaks – man würde sie heute Nerds nennen – und
solche sitzen auch in der taz. Es verwundert also kaum, dass die erste
elektronische Ausgabe einer deutschen Zeitung von der taz entwickelt und im
Netz frei zugänglich gemacht wird, auch wenn dieses noch nicht Internet,
sondern „weltweiter Computerverbund” heißt.
Im Jahr 1994 geht taz.de online, die taz ist damit potentiell überall und
nur einen Klick entfernt. Welche Hoffnungen die taz-Pioniere zu dieser Zeit
auch immer mit ihrer digitalen taz verbinden, sie spielen eine
Vorreiterrolle in der Digitalisierung der Zeitungen.
## Online heißt gratis
Mit dem Siegeszug der digitalen Kommunikation verlagern sich Nachrichten
und Journalismus zunehmend ins Internet. Alle Zeitungen starten bald ihren
Online-Auftritt. Was anfangs allen gemeinsam ist: Online heißt gratis. Im
Glauben, nur eine Zusatzvariante zur gedruckten Ausgabe unter die Leute zu
bringen, ohne weiteren redaktionellen Aufwand, stellen sie ihre Inhalte im
Web kostenlos zur Verfügung.
Was dann geschieht ist bekannt: Das Medienverhalten der Nutzer*innen ändert
sich, immer mehr Menschen verzichten auf das tägliche Papierrascheln und
bevorzugen das Lesen online, am liebsten divers und aktuell, die Abos
brechen weg, mit ihnen die Anzeigenerlöse, die sogenannte Zeitungskrise
erfasst die gesamte Medienlandschaft.
In der Verlagsbranche wird nun die „Gratismentalität” der Konsumenten
beklagt, obwohl man diese selbst mit erschaffen hat. Doch das Problem
reicht über ein Einstellungsdefizit hinaus. Schließlich wird nicht nur die
Verbreitung und Nutzung journalistischer Inhalte durch das Internet völlig
transformiert, sondern auch, wie mit ihnen grundsätzlich gewirtschaftet
werden kann.
So gesehen beschert das Internet den Zeitungen ein tragisches Schicksal:
Sie erreichen mehr Menschen als jemals zuvor, haben aber immer weniger
davon. In den folgenden Jahren suchen Verlage nach Wegen, um dieses
Finanzierungsproblem des Journalismus im Digitalen zu lösen.
## Mauern im Netz
Die meisten Zeitungen entschließen sich dazu, ihre Online-Artikel
einzuzäunen und Bezahlschranken hochzuziehen, in verschiedenen
Ausformungen, sodass ihr Journalismus uneingeschränkt nur noch gegen
Bezahlung genutzt werden kann. Nach dieser restriktiven Logik können sich
nur diejenigen gut und vielfältig informieren, die über die nötige
Kaufkraft verfügen.
Die taz entscheidet sich anders: Statt die Inhalte hinter einer Paywall
einzumauern oder wichtige Funktionen nur zahlenden Mitgliedern
vorzubehalten, will die taz ihr Angebot weder einschränken noch limitieren.
Nicht jeder, so die Prämisse, kann sich ein Abo oder einen Plus-Zugang
leisten. Diese Menschen vom Zugang zu Information auszuschließen, liefe dem
gesellschaftlichen Aufklärungsanspruch zuwider.
Gleichzeitig kostet Journalismus auch im Netz Geld und muss finanziert
werden, gerade wenn er, wie im Falle der taz, seine Unabhängigkeit von
Medienkonzernen bewahren will. Also wird damit begonnen, an die Leser*innen
zu appellieren: Wem der taz-Journalismus im Netz wichtig ist oder wem ein
einzelner Artikel gefällt, der möge einen Betrag dafür geben – auf
freiwilliger Basis. Anstelle über die „Gratismentalität” zu lamentieren,
beschwört die taz damit eine „Kultur der Fairness”.
## Freiwilligkeit als Modell
Ein schlicht gehaltener Aufruf, unterstützt von der technischen Neuerung,
auch kleinere Beträge im Netz relativ leicht transferieren zu können,
startet 2011 als erste Kampagne und markiert damit die Geburtsstunde von
taz zahl ich. Und sie wird prompt von Branchenkollegen belächelt. Für etwas
zahlen, das es auch kostenlos gibt? Für manche schwer vorstellbar, dass man
mit der Idee der freiwilligen Bezahlung der Herausforderung gewappnet sein
würde, Journalismus in digitalen Krisenzeiten zu finanzieren.
Die taz hält unbeirrt an dem Modell fest, trotz der ersten vergleichsweise
mageren Jahre (knapp 1.500 Menschen unterstützen die Initiative taz zahl
ich im Jahr 2014), und bleibt damit ihrem solidarischen Gründungsgedanken
und ihrer Geschichte der Andersartigkeit treu.
## Finanzierung durch die Crowd
Im Jahr 1979 ermöglicht der Vertrauensvorschuss in Form von 7.000
„Vorausabos” eine Zeitung, die es noch gar nicht gibt. Weil Menschen an
eine Idee von Gegenöffentlichkeit glauben, die dann Artikel für Artikel,
Ausgabe für Ausgabe konkrete Gestalt annimmt. Anfang der 90er rettet dann
das Genossenschaftsmodell das krisengeschüttelte linke Medium und sichert
seither die journalistische wie publizistische Unabhängigkeit. Was später
als neue Form der Finanzierung für Aufsehen sorgen wird, ist bei der taz
schon immer eine feste Größe: die Finanzierung durch die Crowd.
Das Vertrauen, sich auf eine politische Leserschaft stützen zu können, die
mit Beteiligung, Verantwortung und Mitgliedschaft das Gesamtprojekt
ermöglicht, hält die taz – Macher*innen und Leser*innen – im Innersten
schon immer zusammen. Nur dank dieses symbiotischen Kerns kann die taz so
manche schwere Stunde in ihrer Geschichte überstehen.
Im Digitalen setzt sie deshalb konsequent auf das, was sie schon immer
stark gemacht hat: Solidarität und Freiwilligkeit. Grundfeste der taz, die
mit taz zahl ich eine Entsprechung im Digitalen finden. Anstelle der
Paywall setzt sie die Paywahl: Die freie Entscheidung. Die Leser*innen
können beim Verweilen auf taz.de selbst wählen, ob und wie viel sie für den
Journalismus der taz im Netz bezahlen möchten. Jeder kann, keiner muss.
Seither kann man nicht nur für einen speziellen Artikel einen Beitrag
leisten, sondern sich auch für einen Förderbeitrag eintragen und zum
regelmäßigen Unterstützer der digitalen taz werden.
## taz.de ist kostenlos – für nur 5,- Euro im Monat
Mit den Jahren wächst die Reichweite des Onlineauftritts auf mehrere
Millionen Besucher*innen pro Monat. Und damit wächst auch die Zahl der
Unterstützer*innen. Das Online-Angebot der taz, seit 2012 im neuen Gewand,
bleibt nach wie vor komplett frei verfügbar.
Ab 2015 werden die Leser*innen mit speziellen Einblendungen, den taz zahl
ich-Layern, die sich automatisch vor die Artikel schieben, dazu aufgerufen,
die taz im Netz zu unterstützen, und daran erinnert, dass hinter jedem
Klick auf der Seite journalistische Arbeit steckt. Die Botschaft: Jeder
Beitrag kann dabei helfen, den freien Online-Journalismus der taz zu
erhalten. Und nur wenn sich viele Menschen beteiligen, kann taz.de für alle
frei zugänglich bleiben.
Ein zweigleisiges Unterfangen, das im Zuge einer größeren Kampagne in 2015
auf die prägnante, etwas paradox wirkende Formel verdichtet wird: „taz.de
ist kostenlos – für nur 5 Euro im Monat!” Allein im Zeitraum dieser
Kampagne vervierfacht sich die Zahl der regelmäßigen Unterstützer*innen auf
über 5.000. Sie leisten im Durchschnitt einen Beitrag von etwa 5,90 im
Monat, damit taz.de für alle frei bleibt. So entwickelt sich aus einem
bisweilen belächelten Aufruf allmählich eine neue, tragende Säule zur
Online-Finanzierung des taz-Journalismus, mit einer stetig wachsenden
Community.
## Nicht nur ein Bezahlmodell
Eine im Jahr 2016 durchgeführte Umfrage erhellt die zugrundeliegenden
Gründe auf Seiten der Unterstützer*innen: Viele finden es wichtig,
unabhängigen Journalismus zu unterstützen, andere finden die Idee des
Solidarmodells gut und wieder anderen liegt die politische Bedeutung der
taz am Herzen.
Natürlich spielt bei der Akzeptanz des Modells die Berichterstattung auf
taz.de die größte Rolle. Die Menschen zahlen für den taz-spezifischen Blick
auf das Weltgeschehen. Nur wenn die Inhalte in ihren Augen einen
unverzichtbaren Mehrwert darstellen, sind sie bereit, dafür zu bezahlen. So
etwa beim G20-Gipfel im Sommer 2017, als die taz dem Mainstream-Narrativ
vom lobenswerten Polizeieinsatz widerspricht, dafür viel Zuspruch bekommt
und auf diese Weise zahlreiche neue Unterstützer*innen gewinnen kann.
Die gesellschaftliche Idee hinter taz zahl ich wird immer wichtiger. Den
freien Zugang zu unabhängiger Presse zu sichern, erlangt eine über die taz
hinausreichende Bedeutung. Im Zuge der aufkommenden Diagnose von einer
postfaktischen Welt, der Zunahme von Hetze und Falschmeldungen im Internet
sowie des Erstarkens von rechten Strömungen in Europa halten viele Menschen
eine linke, kritische Stimme im Netz für unerlässlich.
Bei taz zahl ich geht es damit nicht nur um ein Bezahlform, sondern auch
darum, wie Menschen Informationen und Nachrichten im Netz verbreiten, lesen
und wertschätzen möchten. Während sich Digitalstrategien anderer Zeitungen
meistens darauf beschränken, die Reichweite gewinnbringend und möglichst
verlustfrei zu monetarisieren, geht es der taz auch um eine politische
Idee, um ein kollektives Experiment im Gestaltungsraum Internet:
Selbstverantwortung im Austausch für eine frei zugängliche, kritische
Berichterstattung. Eine möglichst schrankenlose Teilhabe am öffentlichen
Diskurs, damit Journalismus seine Grundaufgabe erfüllen kann, Informationen
zur Verfügung zu stellen und die öffentliche Debatte zu bereichern.
## Modell für die Zukunft?
Die Zahl der Förderbeiträge wächst kontinuierlich und erreicht im Sommer
2017 die 10.000. Im Frühjahr 2018 wird sogar die 12.000-Marke
überschritten. Damit ist ein wichtiger Beweis erbracht: Auch in digitalen
Zeiten kann die taz mit der breiten Unterstützung ihrer Leser*innen
rechnen. Diese wertschätzen guten Journalismus und sind bereit, ihn zu
honorieren, auch freiwillig. Der taz gelingt damit nicht nur ein eigener
Weg, sondern auch ein wichtiger Beitrag zur Debatte um die Finanzierung von
Journalismus: Bezahlschranken sind nicht der einzige Weg – und vor allem
nicht der beste.
Wie auch immer die Entwicklung der Paywahl fortgeschrieben wird: taz zahl
ich ist nicht nur ein stabiler Rückhalt für die tägliche Arbeit der taz,
sondern auch ein Hoffnungsmotor für die Zukunft.
5 Sep 2018
## LINKS
[1] /!s=Ilija+Matusko/
## AUTOREN
Ilija Matusko
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.