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# taz.de -- taz-Geschäftsführer als Zeitzeuge: Es begann in einem kalten Lade…
> Der Tunix-Kongress '78 war die Geburtsstunde der taz-Idee. Doch wie wurde
> aus der Idee die Zeitung taz? Ein Rückblick.
Bild: Karteikarten, Taschenrechner, Stempel, Ablagen – der junge Kalle Ruch b…
von [1][KALLE RUCH]
Aus heutiger Sicht war es ja geradezu ein Glücksfall, bei Tunix dabei
gewesen zu sein und den Aufbruch einer neuen alternativen Gründerzeit
miterlebt zu haben. Eine Woche nach Tunix gehörte ich zu denen, die in das
Berliner Lehrerzentrum, eine Fabriketage im Hinterhof der Neuköllner
Hermannstraße, gingen, um das Projekt, was bei Tunix als Traum einer neuen
linken Tageszeitung vorgestellt wurde, genauer kennenzulernen.
Da saßen nun viele Neugierige im Stuhlkreis in dieser Etage und die, die
schon länger dabei waren, waren recht misstrauisch gegenüber diesen Leuten,
die da jetzt gekommen waren, um mitzumachen. Man hatte Sorgen vor
Unterwanderung durch versprengte Kader aus den sich auflösenden K-Gruppen.
In Berlin gab es im Januar 1978 schon den Verein „Freunde der alternativen
Tageszeitung“, der als Trägerorganisation für die Aktiven in den
Tageszeitungsinitiativen gedacht war. Nun galt es, Kriterien zu finden,
nach denen diese Initiativen, die sich nun in vielen Universitäts- und
Großstädten gründeten, wachsen konnten, ohne von den Falschen übernommen zu
werden.
## Meistens schrieben Männer über ihre Hoffnungen
Solche Sachen wurden an diesem Abend diskutiert, aber auch ganz praktische
Schritte vorbereitet. Es war gelungen, einen Raum für die Berliner
Initiative zu finden, einen Laden in der Suarezstraße 41 im gediegenen
bürgerlichen Charlottenburg nahe dem Lietzensee. Nun ging es um konkrete
Fragen. „Das Wichtigste ist der Teppich“, wusste Christian Ströbele.
Menschen mit Erfahrung kannten sich damit aus, dass es in solchen Läden
immer sehr fußkalt war. Geheizt wurden sie mit Ölöfen und die
Schaufensterscheiben bestanden aus einfachem Glas. Die Zeiten waren damals
noch nicht so wärmegedämmt wie heute.
Kurz nach Tunix erschien der „Prospekt: Tageszeitung“, eingeleitet von
Fritz Teufels Brief aus dem Knast: „Eine neue Zeitung ist die Frau meiner
Träume seit 67. Daß sie doch auftauchte und nicht gleich wieder
verschwände…“ Meist Männer, prominente Linke, schrieben hier ihre
Hoffnungen und Erwartungen an die neue linke Tageszeitung auf, die zu
diesem Zeitpunkt noch keinen Namen hatte und auch noch keinen einzigen
Abonnenten. Die wurden nun mit diesem Prospekt gesucht. Für ein
Dreimonats-Abo konnte man 70 DM auf ein Konto des Vereins bei der Berliner
Bank überweisen.
Das erste „Nationale Plenum“ der Tageszeitungsinitiativen, an dem ich
teilnahm, fand im Frühjahr 1978 im Schloss Trautskirchen in Mittelfranken
statt. Mit einem alten Daimler hatten wir uns von West-Berlin über die
Transit-Autobahn auf den Weg gemacht. Schloss Trautskirchen wurde damals
von einer Künstlerkommune bewohnt, die ihre Räume auch für solche Tagungen
vermietete.
## Wo sitzt die Redaktion? Natürlich in Frankfurt/Main!
Später fragten wir uns immer, warum wir solche Treffen der Initiativen
hartnäckig über Jahre als „Nationale“ Veranstaltung deklarierten,
„überregional“ wäre ja auch eine passende Beschreibung gewesen. Es kamen
viele junge Leute aus allen Regionen Westdeutschlands, wobei für uns
Norddeutsche die aus den Tageszeitungsinitiativen in Baden-Württemberg wie
Tübingen, Schwäbisch Hall oder Bad Schussenried besonders schwer zu
verstehen waren.
Tageszeitungsinitiativen gab es damals in vielen Groß- und
Universitätsstädten, besonders wichtig waren die in West-Berlin und in
Frankfurt am Main. Dort hatte es schon vor Tunix unabhängig voneinander
Diskussionen über die Idee einer neuen Tageszeitung gegeben. Auf dem
Treffen in Trautskirchen wurde vor allem über Inhalte gestritten. Die
meisten, die dabei waren, sahen sich als zukünftige Journalisten.
Die Initiativen waren ganz unterschiedlich links gestrickt und so auch ihre
erfahreneren Hauptakteure. Achim Meyer vom Blatt aus München, Thomas
Hartmann aus Frankfurt, der schon bei Libération in Paris war, oder
Christian Ströbele, Anwalt aus Berlin. Mir ist vom Trautskirchener Treffen
vor allem Arno Widmann in Erinnerung geblieben, der auch schon etwas
erwachsener war als die anderen, bei der IG Metall in Frankfurt Erfahrungen
in Pressearbeit gesammelt hatte und auf meine bescheidene Frage, wo denn
die neue Zeitung einmal residieren werde, „selbstverständlich in Frankfurt“
reklamierte.
## „Witwen werden wütend!“
Die Standortfrage blieb offen, manchmal wurde sogar darüber diskutiert, die
Zentralredaktion der zukünftigen Zeitung von einem Ort zum anderen wandern
zu lassen. Verabredet wurde in Trautskirchen die weitere inhaltliche
Arbeit. Hierzu diente in der Berliner Initiative die Erstellung einer
Spielnummer am 7. Juni 1978, bei der eine aktuelle Titelseite mit dem
Bleistift gescribbelt wurde. Zum Rücktritt des Bundesinnenministers Werner
Maihofer, der die Verantwortung für eine Fahndungspanne bei der Entführung
von Hanns Martin Schleyer übernommen hatte, titelte die Spielnummer, die
nun den Titelkopf „Die Tageszeitung“ trug, ganz tazzig: Maihofer flieg:
Ende einer Politikerkarriere. Zum Witwenurteil des
Bundesverfassungsgerichts: Witwen werden wütend! Oder: Wie bespitzelt das
Arbeitsamt? Und eine Auslandsmeldung: Renault geräumt: über eine
Fabrikbesetzung in Frankreich. Schlagzeilen und Themen, wie man sie heute
auch aus der taz kennt.
In der Berliner Initiative bildeten sich Arbeitsgruppen zu den
unterschiedlichen Aufgaben, die nun anstanden. Einerseits waren das
inhaltliche Arbeitsgruppen zu den späteren Ressorts wie Kultur, Politik,
Ökologie, Internationalismus oder Betrieb & Gewerkschaft (statt
Wirtschaft). Aber es gab auch Gruppen, die sich mit Öffentlichkeitsarbeit
beschäftigten, sowie eine Technik- und Finanzgruppe, die Fragen der
technischen Herstellung, wie Satz und Druck, den Vertrieb und die
Finanzierung klären sollte.
Die Technik- und Finanzgruppe machte sich im Sommer 1978 auf zum Camp nach
Gorleben. Dort sammelte sich die Anti-AKW-Bewegung im Kampf gegen das
Atommülllager. Harte Zielgruppe für taz-Abowerbung.
## Zwanzigköpfige Ströbele-Truppe
In den Trebeler Bauernstuben im Nachbarort von Gorleben machten wir eine
Veranstaltung unter dem Titel „Zeitungsmachen ist kein Deckchenhäkeln“.
Dieser Spruch stammte von dem Chefredakteur des Berliner Extradienstes
Charly Guggomos und war auf die Spontis der taz-Initiative gemünzt. In
West-Berlin gab es nämlich noch eine zweite Initiative, die die Gründung
einer linken Tageszeitung beabsichtigte: Die Neue, hervorgegangen aus dem
Berliner Extradienst.
Im August 1978 schrieb der Spiegel-Journalist Jörg Mettke ([2][Spiegel
33/1978]) einen längeren Artikel über die beiden konkurrierenden Projekte.
Charly Guggomos wird mit dieser Einschätzung zitiert:
„Gelegenheitsschreiber, so gutwillig und aufrecht sie sein mögen“, könnten
schließlich keine Zeitung machen. Und Mettkes Fazit:
„Mag sein, daß die orthodoxe Konterredaktion recht behält. Denn mit
Blattmache im herkömmlichen Sinne hat das, was sich in einem angemieteten
Laden in der Berliner Suarezstraße 41 abspielt, wenig zu tun. Die
zwanzigköpfige Ströbele-Truppe – Journalisten und Buchhändler, Drucker oder
Sozialarbeiter – rückt da, gleich neben einem wilhelminischen Amtsgericht,
bei schönem Wetter Tisch und Stühle vor die Tür und debattiert auf dem
Trottoir über Drucktechnik und Geldquellen immer feste drauflos.“
## Die Nullnummern entstehen und sorgen für Ärger
Munter drauflos ging es einen Monat später mit der Produktion der ersten
Nullnummer in den Räumen des Informationsdienstes für unterbliebene
Nachrichten (ID) in der Hamburger Allee 45 in Frankfurt am Main. [3][Die
Null-Nr. 1] trug als Erscheinungsdatum Freitag, den 22.9.1978. Tagelang
wurde debattiert und an den Layouts gefeilt. Gedruckt wurde erst am Montag,
den 25.9. bei der Druckerei Schimmel in Würzburg. In den linken Buchläden,
der wichtigsten Struktur des Vertriebs, und im Handverkauf an den
Universitäten gab es die erste Nullnummer der taz ab dem 27.9.1978.
Zu großem Ärger unter den Tageszeitunginitiativen führte die zweite
Nullnummer, die aus Anlass der Frankfurter Buchmesse im Oktober 1978
erschien. „Genau ein Jahr ist es her, als wir uns zum ersten Mal anlässlich
der Frankfurter Buchmesse zusammensetzten. In einem Klima politischer
Bewegungslosigkeit und Resignation, verursacht durch staatlich verordnete
Nachrichtensperre und Gleichschaltung der Medien. Ein Klima, in dem es
scheinbar nur die Alternative gab: Identifikation mit dem Staat oder der
RAF. Damals entstand die Idee, eine Tageszeitung zu machen.“
Weniger die Reklamation des Urheberrechts an der Idee Tageszeitung als die
in der gleichen Nullnummer mit Verve gestartete Amnestiedebatte für
RAF-Gefangene sorgten für Verstimmung vor allem in Berlin.
## Frankfurt am Main hat ausgedient
Eine dritte Nullnummer erschien Anfang Dezember 1978 und es war die letzte,
die in Frankfurt am Main produziert wurde. Am 9. und 10. Dezember 1978
trafen sich die Initiativen in Frankfurt zum Nationalen Plenum, um über den
Standort der Zentralredaktion zu entscheiden.
Frankfurt oder West-Berlin stand zur Entscheidung. Für Frankfurt sprach
vieles, als Standort zweier überregionaler Tageszeitungen, der Frankfurter
Rundschau und der Frankfurter Allgemeinen, konnte man dort auf eingefahrene
Vertriebswege zurückgreifen. Gegen West-Berlin sprach vor allem die
Insellage inmitten der DDR.
Trotzdem entschied sich das Nationale Plenum mit Mehrheit für Berlin. Den
Ausschlag gaben die Berlinsubventionen, mit denen man die notwendigen
Investitionen in die Redaktionstechnik, aber auch später den täglichen
Betrieb finanzieren konnte. Der Beschluss enthielt aber auch einen
Appendix: Sobald es finanziell möglich sei, solle die Redaktion nach
Frankfurt verlegt werden. Bisher ist diese Lage nicht eingetreten.
## In Berlin macht man Tempo
In Berlin hatte man sich auf dieses Treffen und auch auf die dann gefallene
Entscheidung gut vorbereitet. Noch im Dezember 1978 wurden Räume angemietet
und die ersten Fotosatzmaschinen und der Abocomputer bestellt. Diese Eile
war notwendig, weil der Anspruch auf Investitionszulagen noch für das Jahr
1978 gesichert werden sollte.
Auch die ersten Unternehmen wurden gegründet, Kommanditgesellschaften, weil
das schneller ging und damit auch für Abschreibungskapital geworben werden
konnte. Manche tazler fragten sich, warum plötzlich im Januar 1979, die DDR
befand sich im wochenlangen Schnee-Chaos, große Kisten mit Computern über
Schneeberge in die lichten großen Büroetagen in der Wattstraße getragen
wurden. Wir wollten doch eine Zeitung machen, wozu brauchen wir denn so ein
Zeugs?
Nicht einmal ein Jahr nach Tunix erschien die vierte Nullnummer der taz am
20. Januar 1979. Sie wurde nicht mehr auf Composern, sondern auf neuen
eigenen Fotosatzgeräten in den Räumen der Wattstraße in Berlin-Wedding
produziert. Gedruckt wurde sie bei der Druckerei Rumpeltin in Burgdorf in
der Nähe von Hannover, die später auch die täglichen Ausgaben für einige
Jahre druckte.
## Wir machen eine Zeitung und gehen Blut spenden, um Geld zu verdienen
Die Zahl der Vorausabos war von Nullnummer zu Nullnummer gestiegen. Eine
eigene Aboverwaltung gab es noch nicht, die Adressen der Voraus-Abonnenten
wurden auf Lochkarten beim Satz- und Rechenzentrum der Technischen
Universität in Nachtschichten erfasst, um dann für den Postversand
verwendet zu werden. Der inhaltliche Schwerpunkt der vierten Nullnummer
waren die Demonstrationen von Millionen im Iran gegen Bakhtiar und für
Khomeiny, die dann bald zur Islamischen Republik führten.
Finanziell lief alles auf Subsistenzniveau. Gehälter wurden im Januar 1979
noch nicht gezahlt. Investitionen wurden mit Kommanditkapital und
Berlinzulagen finanziert. Kreative Spendenaktionen stopften die Löcher, so
gingen alle tazlerInnen zum Blutspenden. Christian Ströbele saß auf dem
Treuhandkonto mit den Einzahlungen der Vorausabos, die erst für den
täglichen Start im April 1979 freigegeben wurden. Am 17. April 1979 war es
dann soweit, [4][die erste tägliche taz-Ausgabe] erschien.
Aus der Sicht von heute ist wohl das Erstaunlichste, wie schnell das damals
alles ging. Die taz war damals das, was man heute ein Startup nennt und die
Kampagne mit den Vorausabos würde man heute Crowdfunding nennen. Auch
damals war es ja schon die Zeit der digitalen Transformation. Wenige Jahre
vorher gab es die großen Streiks in der Druckindustrie, weil der Bleisatz
durch den Fotosatz ersetzt wurde. Ohne diese neue Technik, mit der auch wir
Studenten leicht umgehen konnten, wäre die Gründung der taz nicht möglich
gewesen.
14 May 2018
## LINKS
[1] /!s=&Autor=Kalle+Ruch/
[2] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40607310.html
[3] http://download.taz.de/Null-Nr_1_22_9_78(1).pdf
[4] http://download.taz.de/Clown_17_4_79(1).pdf
## AUTOREN
Kalle Ruch
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