| # taz.de -- Schweizer Journalismus-Startup: Das Vertrauen maximieren | |
| > Wenn Leser*innen zu Verleger*innen werden, was macht das mit dem | |
| > Journalismus? Das schweizer Projekt „Republik“ probiert es aus. | |
| von CHRISTOF MOSER | |
| Während ich an diesem Text schreibe, spült mir Facebook einen eigenen | |
| Eintrag von vor zwei Jahren („Deine Erinnerungen anzeigen“) auf meinen | |
| Bildschirm. Eine Recherche, wie bei den Gratiszeitungen der großen | |
| Schweizer Verlage und ihren Online-Portalen systematisch journalistische | |
| Standards wie die Zwei-Quellen-Regel missachtet werden. Unter dem Titel | |
| „Mit Vollgas in die Vertrauenskrise“ folgendes Fazit: „Journalisten müss… | |
| damit beginnen, den Journalismus gegen seine Gegner zu verteidigen. Zu | |
| denen gehören inzwischen auch die Medienkonzerne, bei denen sie heute noch | |
| angestellt sind. Sobald sie das tun, klappt’s auch wieder mit dem Publikum | |
| – vielleicht.“ | |
| In dieser Textpassage sind eine folgenreiche Beobachtung und eine vage | |
| Hoffnung enthalten. Beide haben die Entwicklung und den Bauplan von | |
| „Project R“ und [1][Republik] entscheidend beeinflusst. Die Beobachtung ist | |
| folgende: Die Logik des Mediensystems höhlt den Journalismus von innen | |
| heraus aus. Ergo: Wer etwas dagegen unternehmen will, muss raus aus dieser | |
| Logik, konsequent. Die Hoffnung, eher als Behauptung vorgetragen: dass das | |
| Publikum bei der Rebellion gegen die Medienkonzerne und für den | |
| Journalismus mitmacht. | |
| Zwei Jahre und vier Wochen später lässt sich sagen: Ja, das tut es. Der | |
| Ticker für das „Projekt R“ steht bei über 12.000 Mitgliedern und über 3 | |
| Millionen Franken (rund 2,7 Millionen Euro). Das Crowdfunding-Minimalziel | |
| hatten wir nach 7 Stunden und 49 Minuten erreicht. Und die Kampagne läuft | |
| noch bis Ende Mai. Mit diesem überwältigenden Erfolg hat niemand gerechnet. | |
| Schon gar nicht wir von der zehnköpfigen Aufbaucrew der Republik. | |
| Es ist ja nicht so, dass wir die Welt völlig neu erfunden hätten. Ein neues | |
| Medium per Crowdfunding starten? Der holländische [2][De Correspondent] hat | |
| es 2013 vorgemacht (sehr erfolgreich), die [3][Krautreporter] 2014 in | |
| Deutschland (etwas weniger erfolgreich). | |
| ## Mit den Lesenden auf Augenhöhe | |
| Viele kleinere Projekte sind gefolgt. Eine Genossenschaft als Fundament? | |
| Hat die Schweizer Wochenzeitung WoZ seit 1981, und bei euch in der taz sind | |
| Genossenschafter seit 1992 Miteigentümer*innen. Die taz hat sich an die | |
| Leser*innen verkauft, nicht an einen Verlag. Bingo. Gratulation zum | |
| Wachstum, übrigens! Und eigentlich habt ihr ja auch das Crowdfunding | |
| erfunden. 7.000 Vorbestellungen für ein Abonnement brauchte die taz 1979, | |
| bis sie an den Start ging. Wir brauchten 3.000. | |
| Mit den Lesenden auf Augenhöhe sein: das schaffen viele Redaktionen in | |
| Medienkonzernen nur mit Ach und Murks, wenn überhaupt. De Correspondent | |
| kann das, es ist in seiner DNA. Das Publikum als Mitbesitzerin einzubinden: | |
| das ist die nächste Stufe, braucht Haltung und schafft Vertrauen – und | |
| beides ist sehr gefragte Ware, gerade auch im Onlinejournalismus. Womöglich | |
| ist das wirklich das ganz banale Erfolgsgeheimnis leser*innenfinanzierter | |
| Medien: Sie maximieren nicht Reichweite, sondern eben – Vertrauen. | |
| Wir haben mit Project R die Welt nicht neu erfunden. Wir nutzen die | |
| Interaktivität und damit den technischen Spielraum im Digitalen nur | |
| konsequent – von der Kampagne bis zum Geschäftsmodell. Unsere | |
| Abonnent*innen, die Mitglieder der Project R Genossenschaft, bezeichnen wir | |
| als „unsere Verleger“. Das hat gute und schlechte Seiten, für sie und für | |
| uns. Zur guten Seite für die Verleger*innen gehört ihre Einbindung in | |
| verlegerische Entscheidungen. | |
| Gerade jetzt können sie zwischen Satire, Datenjournalismus und | |
| Deutschlandkorrespondent als Ausbauschritt für das letzte Crowdfunding-Ziel | |
| entscheiden. Gut für uns als Macher*innen sind die hohe Beteiligung – an | |
| der laufenden Abstimmung haben innerhalb weniger Stunden über 20 Prozent | |
| aller Mitglieder teilgenommen – und die Erkenntnisse, die wir daraus | |
| gewinnen. Daten über unser Publikum, die wir ausschließlich für die | |
| Weiterentwicklung des Produkts nutzen und nicht an die Werbeindustrie | |
| verkaufen. Allein dieses Versprechen hat viele von einem Investment in der | |
| Höhe von 240 Franken (rund 220 Euro) überzeugt, überdurchschnittlich viele | |
| Jüngere. | |
| ## Die Mitglieder als Verleger*innen | |
| Selbstverständlich birgt die Publikumsverleger-Strategie auch Risiken. Wie | |
| bei jedem leser*innenfinanzierten Medium besteht ganz grundsätzlich die | |
| Gefahr, der Leser*innenschaft nach dem Mund zu schreiben. Richtig und | |
| wichtig ist: Eine Redaktion muss ihr Publikum nicht nur begeistern, sondern | |
| auch verärgern dürfen. Doch selbst im Normalbetrieb ohne Konflikt | |
| investiert die Crew von De Correspondent rund 50 Prozent der Arbeitszeit in | |
| den Dialog mit dem Publikum. Das ist sehr viel. Die größte Gefahr von | |
| Augenhöhe und Einbindung ist die Tatsache, dass Leser*innen ein Medium | |
| genauso lahmlegen können wie eine aggressive Firmenanwältin, die uns mit | |
| Klagen eindeckt. | |
| Andererseits hilft genau da die Einbindung des Publikums als Mitbesitzer | |
| oder eben Verleger: Wer die Redaktion lahmlegt, schadet sich selbst. In der | |
| alltäglichen Kommunikation sehen wir das Verleger*innensein unserer | |
| Mitglieder vor allem als Chance. Gute Ideen der Verlegenden nimmt die | |
| Redaktion auf, schlechte Ideen verschwinden in der Schublade. | |
| Wenn wir es schaffen, das Verleger*innensein des Publikums zu einem | |
| Handlungsrahmen zu machen, der das Verhältnis zwischen uns als | |
| Macher*innen und dem Publikum vernünftig regelt, dann wäre das ein neues, | |
| einzigartiges Modell und tatsächlich eine Innovation. Daran arbeiten wir in | |
| den nächsten Jahren. Die ersten Erfahrungen sind sehr positiv: Der | |
| Austausch ist bisher von Ernsthaftigkeit und gegenseitigem Respekt geprägt. | |
| ## Vertrauen gegen Vertrauen | |
| Die Strategie fußt ja letztlich auf einem einfachen Prinzip: Wer Vertrauen | |
| schenkt, erhält Vertrauen. So wie bei [4][taz.zahl ich] können während des | |
| Crowdfundings auch unsere Abonnent*innen die Höhe ihres | |
| Abonnementsbeitrags selber bestimmen. Missbraucht hat das von über 12.000 | |
| Menschen niemand. Die durchschnittliche Zahlung liegt rund 10 Franken (rund | |
| 9 Euro) über dem regulären Abonnementspreis von 240 Franken. | |
| Auf diesem gegenseitigen Vertrauen bauen wir auf. Trotz der geplanten | |
| harten Paywall ab unserem Start Anfang 2018 werden die Abonnent*innen | |
| großzügig sein und unsere Texte mit ihren Freund*innen frei teilen können. | |
| Ebenso denken wir an Micropayment-Lösungen herum, die es ermöglichen, | |
| journalistische Beiträge einzeln zu bezahlen. | |
| Wir werden in der nächsten Zeit viele neue Erfahrungen machen für den | |
| Umgang zwischen Publikum und Journalist*innen. Und, das ist auch eine gute | |
| Nachricht für alle, wir werden sie teilen. | |
| 7 Jun 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.republik.ch/ | |
| [2] https://decorrespondent.nl/home | |
| [3] https://krautreporter.de/ | |
| [4] /!p4697/ | |
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