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# taz.de -- ■ Zu den Großdemonstrationen der letzten Zeit: Triumph des gut…
Wer zu spät kommt, der bestraft die Lebenden. Beispielsweise mit einer
Lichterkette. Und weil einem auch noch das Hören vergehen soll, läuten die
Kirchenglocken. „Eine Stadt sagt nein“, wollten die versammelten Spätzünd…
von München auf ihrer öffentlichen Adventsfeier mitteilen. 400.000 kamen
zum glockenbeschallten Laternenumzug, und die Initiatoren dieser
audiovisuellen Betroffenheitsgala erhielten folgerichtig einen
„Bambi“-Preis. Sie hatten die Bevölkerung aufgefordert: „Bringen Sie all…
mit, was blinkt und leuchtet (Kerzen, Taschenlampen – bitte keine
Fackeln)“. Doch in der Hauptstadt der Bewegtheit konnten viele es dann doch
nicht lassen, am 6.Dezember mit dem brennenden deutschen Gruß auf
abgefackelte Ausländer zu antworten. Und in Zeitungsanzeigen wurde die
ältere Generation mit einem vertrauten Slogan für die Großkundgebung des
guten Gewissens mobilisiert: „Deutsche, wehrt euch!“
Diesmal war die leuchtende Mehrheit am Zuge. Nicht die brandschatzende
Minderheit fungierte als Durchlauferhitzer, um den politischen
Entscheidungsprozeß vorzuwärmen. Noch im Feuerschein des Pogroms von
Rostock hatte Innenminister Seiters erklärt, jetzt müsse der „Mißbrauch des
Asylrechts“ beseitigt werden. Und für diese Beseitigung war wiederum ein
Lichtsignal erforderlich.
Die Münchener Müllabfuhr hatte die Überreste des städtischen
Feldgottesdienstes schon beseitigt, da lag noch immer ein Abglanz dieser
Veranstaltung über der Pressekonferenz im entfernten Bonn. Dort
versicherten die Fraktionsvorsitzenden Schäuble und Klose mit strahlender
Miene, daß Flüchtlinge weiterhin Asyl genießen könnten: draußen. Drinnen
war es ja bekanntermaßen für die Betroffenen kein Genuß gewesen.
Wogegen also sollten sich die Wunderkerzenhalter von München und die
nachfolgend bis nach Hamburg reichenden Leuchtgemeinschaften eigentlich
wehren? Doch nicht etwa gegen den heimlichen Wunsch, auch mal zuzulangen
gegen Fremde? Denn anders läßt sich die allerorts illuminierte Wiederholung
der regierungsamtlichen Demonstration von Berlin kaum verstehen.
In Berlin war man stolz darauf gewesen, daß einige hunderttausend Bürger
sich versammelt hatten, um unter der Anleitung des Bundespräsidenten zu
versichern, man dürfe andere Menschen nicht einfach totschlagen. Derlei
Äußerungen gelten in Deutschland schon als festes Bekenntnis zur Demokratie
und nicht als Beleg dafür, wie notdürfig die Barbarei im Zaum gehalten ist.
Einige hundert Besucher des Spektakels von Berlin fühlten sich nicht nur
unangenehm an die befohlenen Aufmärsche im Osten der Stadt erinnert. Sie
hielten das Ganze auch für eine überaus schlechte Theateraufführung und
protestierten gegen deren Hauptdarsteller, wie man es aus den bewegten
Glanzzeiten des Schmierentheaters kennt: mit Eiern und Tomaten. Nicht eine
Stadt, aber immerhin einige hundert hatten damit tatsächlich nein gesagt.
Sie hatten begriffen, daß sich die andächtig wiederholte Phrase von der
Menschenwürde sehr wohl verträgt mit der Absicht, Menschen, die nichts als
jenes armselige Gut vorzuweisen haben, an der Grenze abzuweisen oder sie
deportationsfähig zu machen, wenn sie, wie auch SPD-Politiker vorzugsweise
formulieren, als „Altfälle“ die Republik belasten und zu einer „emotiona…
Überforderung“ (Klose) führen.
Von München bis Hamburg freilich versammelte sich das nur gute Gelichter
der Republik. Es sah sich durch die vielen Morde keineswegs
herausgefordert, den Pogromgewinnlern heimzuleuchten, es galt allein, sich
selber ins rechte Licht zu setzen. In einem Remake jener Menschenkette der
Friedensbewegung, die von Flensburg bis zum Bodensee reichte, glühten bei
der Selbstinszenierung der edlen Seelen nun die damals ineinander verhakten
Händchen. Jeder sein eigener Herzenswärmer, jeder sein eigenes leuchtendes
Vorbild und alle zusammen von erwiesener Harmlosigkeit. „Mein Freund ist
ein Neger“ variierte eine Rockgruppe in Frankfurt die verständlicherweise
aus der Mode gekommene Standardauskunft des philanthropischen Rassisten:
„Einige meiner besten Freunde sind Juden.“
Lauter gute Menschen, denen man eben die von ihnen betonte
Ausländerfreundlichkeit an den Hals wünscht für den Fall, daß sie selbst
mal irgendwo Zuflucht suchen müßten. Sie lieben den Pizzabäcker, den
Kebabverkäufer, den fidelnden Zigeuner und den Griechen nebenan, lauter
sogenannte Bereicherungen, auf welche die Herkunftsländer der Immigranten
mit Sicherheit verzichten müßten, wenn eines Tages Deutsche in Scharen
einträfen.
Auf soviel Sympathie können die kasernierten Elendsflüchtlinge nicht
rechnen. Gegen ihre drohende Abschiebung, gegen die vorbereitete
Abschaffung des Asylrechts und gegen die beschlossene Abschottung der
Bundesrepublik sagte keine Stadt nein. Es sollte beim anheimelnden
Kerzenschein ja auch überhaupt nichts, schon gar nicht nein gesagt, sondern
nur gefühlt werden, nämlich die Symbolkraft der kleinen moralischen
Leuchte, als welche sich jedes Glied der Lichterkette verstand. Man wollte
ergriffen sein, nicht eingreifen. In München hieß es: „Die Lichterkette
soll eine halbe Stunde lang stehen – eine ruhige halbe Stunde zum
Nachdenken. Um 17.30 Uhr ist die Aktion beendet.“
Danach traten die Akteure auf den Plan, die „Skins mit Krawatte“, wie
Günther Grass das Zusammentreffen von Mob und Elite im Habitus einzelner
Politiker charakterisierte, und schlossen den „Asylkompromiß“. So ein Ding
hat seinen Reiz, das verriet schon die Körpersprache der heiteren
Fraktionschefs, die ihr Joint- venture auf der Pressekonferenz
präsentierten wie den ersten Akt einer neuen Gleichschaltung. Sie hatten
die Leuchtspur von München richtig gedeutet, nämlich als überfälliges
Begräbnisritual des politischen Protests, der in Wahrheit schon längst
abgedankt hatte. Die unmittelbare Nähe von moralischen Glühwürmchen und
kaltblütiger Exekutive in der Gegenwart erinnert an eine bekannte
Erfahrung: In Deutschland war schon immer nicht die Regierung, sondern die
Opposition gegen sie das Desaster. Denn weit bedrohlicher als die lange
Frist, welche die Bundesregierung seit Hoyerswerda verstreichen ließ, um
auf Druck des Auslands und nicht auf Druck der deutschen Öffentlichkeit
gegen die Nazimörder vorzugehen, weit bedrohlicher als die einfühlsame
Zurückhaltung der Exekutive ist die um nichts weniger einfühlsame
Zurückhaltung ihrer Kritiker gewesen.
Die Strecke von Hoyerswerda über Rostock und Mölln bis zum Lichterumzug in
München war ihr langer Weg zum kurzen Abschied. Die schummerigen
Selbstbekundungen guter Gesinnung sind nicht, wie manche inbrünstig hoffen,
der noch infantile Beginn politischer Erleuchtung, sondern ein letztes
Signal, mit dem sich die selbstverschuldete Überflüssigkeit der Opposition
ein gutes Gewissen schafft. Eike Geisel
17 Dec 1992
## AUTOREN
eike geisel
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