Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Oxford-Professor denkt Altruismus neu: Gutes tun, Banker werden
> Nach diesem Artikel werden Sie Spenden mit anderen Augen sehen. William
> MacAskill hat Gutes tun fürs 21. Jahrhundert neu definiert.
Bild: Besser Spendengelder verdienen mit der Börse, statt die Börse zu bekäm…
Wenn man an einem Fluss vorbeikommt und da ertrinkt gerade ein Kind, dann
springt man rein und rettet es. Auch im Smoking. Danach wird man immer
denken: Ich bin der Held, ich bin ein Held. Wenn man dann eines Tages noch
in ein brennenden Haus rennt und einen Menschen rausholt, wird man über
sich denken: Wahnsinn. Was für eine schicksalhafte Verknüpfung, dass ich in
einem Leben zwei andere Menschen retten konnte. Bullshit.
Es braucht keinen Zufall und kein Schicksal. Man kann zehn Menschenleben
retten. Zwanzig. Man kann jedes Jahr ein Leben retten. Man muss es nur
aktiv betreiben. Ein Leben ist ein Leben. Ein Leben retten kostet 3.000
Euro. Ein Durchschnittsmonatslohn. Und William MacAskill arbeitet daran,
dass das noch billiger wird. Aber der Reihe nach.
80 Minuten Autofahrt westlich von London liegt Oxford. Türmchen,
Schlösschen, akademisches Disneyland. Manches ist Kulisse in den
Harry-Potter-Filmen, und genau so sieht es auch aus. Eine Welt aus
Studentencafes, Touristenläden und den 38 Colleges der Universität, das
älteste von 1249. Mittendrin liegt das Lincoln College. Das Gebäude ist
eine Art Quader. In der Mitte ein Rasen. Grün und kurz geschnitten wie der
von Wimbledon am Turniereröffnungstag. Durch die Eingangstür kommt William
MacAskill. Brille, blauer Pullunder, blaue Jeans.
Er ist 28 und der jüngste Professor Oxfords. Ein Star. Sein Gesicht ist
noch in der Studentenphase. Sein Geist ist weit über sein Alter hinaus und
auch weit darüber hinaus, was andere jemals erreichen. Er kam von Cambridge
rüber, das liegt auf der östlichen Seite von London. Er hat „tenure”. Das
heißt, er kann seine Professur für Philosophie behalten, bis sie ihn
waagerecht aus dem Lincoln College raustragen. Jetzt rennt er die Turl
Street runter, um sich ein Sandwich und einen Cappuccino zu holen. Damit
geht er zurück in sein Eckzimmer im ersten Stock. Die Regale sind noch
weitgehend leer, weil er erst vor wenigen Wochen hier angefangen hat.
Es geht MacAskill nicht um Menschen, die nichts Gutes tun wollen. Am Morgen
hat er unterrichtet. Später am Nachmittag folgt ein weiteres Seminar. Er
hat die Lehre kompakt gelegt, um sich an anderen Tagen der Forschung widmen
zu können. Und seinen Hilfsorganisationen. Das seien seine Kinder, sagt er
später. Weshalb er keine eigenen Kinder – Stand jetzt – will. Das käme ihm
wie Verrat vor. Alles kreist um eine einzige Frage: Wie kann ich am besten,
also am effektivsten,
Gutes tun? Ist ja schön, könnte man jetzt sagen. Es ist aber nicht schön.
Es ist eine Revolution. Wer MacAskills Buch „Doing Good Better” gelesen
hat, kann die Welt entscheidend verbessern. Und das ist kein Witz. Es geht
MacAskill nicht um Menschen, die nichts Gutes tun wollen. Oder um eine
schöne und wohlfeile moralphilosophische Herleitung, warum das Gute im
Menschen angelegt ist. Ist es das? Altruismus – Handeln, das anderen hilft
– ist kein Konzept, das so alt ist wie die Menschheit. In den Frühphasen
der menschlichen Entwicklung ging man davon aus, dass es dem Überleben des
eigenen Stamms hilft, wenn man den anderen und konkurrierenden Stämmen
nichts abgibt. In Bayerns CSU hat man dieses Werteportfolio bis heute
bewahrt. Und wenn wir ehrlich sind, nicht nur dort.
Es geht MacAskill um Menschen, die Gutes tun wollen und es nicht hinkriegen
oder nicht optimal. Und wir reden hier nicht vom Kaufen eines fairen
T-Shirts, Stand-by ausschalten oder so Pipifax. Es geht darum, das Beste
aus seinen Möglichkeiten zu machen, Gutes zu tun. Deshalb hat MacAskill den
„effektiven Altruismus” mitentwickelt. Er geht davon aus, dass die
Bekämpfung der Armut die aktuell drängendste Sache ist. Noch vor dem
Klimawandel.
Das beste Mittel gegen Armut ist für ihn Wirtschaftswachstum. Die drei
Grundregeln für Gutes tun lauten: 1. Wer in einem reichen Land lebt, kann
viel in der Welt bewegen. 2. Wer richtig Gutes tun will, darf nicht
sentimental an die Sache rangehen, sondern muss rational und auf der
Grundlage von Wissenschaft arbeiten. 3. Es geht darum, das Meiste aus
seinem Geld oder seinem Engagement herauszuholen. Welches Problem geht man
an? Welcher Charity gibt man sein Geld? Welchen Beruf ergreift man?
Es ist das Hirn, nicht das Herz, das den Fortschritt bringt. Es ist das
Ende des Glaubens an die Kinderphilosophie von de Saint-Exupérys „Der
Kleine Prinz”. Der hohlen Erwachsenenwelt der Äußerlichkeiten setzte der
Franzose im Weltkriegsjahr 1943 eine Welt der inneren Beziehungen entgegen.
Pars pro toto steht bis heute der Satz, den ein Fuchs zum Prinzen sagt:
„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen
unsichtbar.” Das ist für viele immer noch die Leitlinie. Für Gutes tun ist
das Herz zuständig. Wieder Bullshit.
Es ist das Hirn, nicht das Herz, das den Fortschritt bringt, sagt
MacAskill. Wie haben Sie das herausgefunden? „Indem ich die Evidenz
angeschaut habe.” Im Grunde, darauf läuft es hinaus, machen wir beim
Versuch, Gutes zu tun, unglaublich viel falsch. Ohne Not. Weil ohne
Verstand. Wir schätzen uns falsch ein. Wir spenden uneffektiv. Wir
ergreifen einen sozialen Beruf und vergeuden trotzdem oder dadurch unser
Potenzial.
Kann man den Kleinen Prinzen so in der Arsch treten, das Gute nur noch
wissenschaftlich berechnen und sogar miteinander vergleichen, was es auf
die eine oder andere Art kostet, ein Leben zu retten? Man muss es sogar,
sagt MacAskill. Man muss denken, wie ein guter, also ein knallharter
Investor. Was ist der beste Weg, damit mein Geld in dieser komplizierten
Welt den größten Einfluss hat? Man kann sich jetzt sicher gut vorstellen,
dass er erbitterte Gegner hat Verstehen Sie mich nicht falsch, sagt er.
Ein gutes, ein mitfühlendes Herz ist der Ausgangspunkt. Aber dann muss das
sentimentale Herz wissenschaftlich und mathematisch kanalisiert werden, wie
er das nennt. Viele Wohltätigkeitsorganisationen bringen gar nichts.
Entscheidend ist auch nicht nur, wie viel Prozent der Spenden direkt der
Sache zufließen, sondern was die Sache bringt.
MacAskill war auf dem Weg zu einem normalen Moralphilosophen. Er studierte
und vertiefte sich in theoretischen Fragestellungen des Guten. Es folgte
aber nichts daraus. Sogar die angewandte Philosophie hatte aus seiner Sicht
keinerlei Auswirkungen auf die richtige Welt. Einmal fragte er einen
Superstar der akademischen Ethik, was er real erreicht habe und der sagte:
Hm, einer seiner Studenten sei Blutspender geworden.
MacAskill spricht Oxford-Englisch mit einem milden schottischen Sound. Er
wuchs in Glasgow auf. Mutter Waliserin, Vater Engländer. In den
Sommerferien arbeitete er als Lehrer in Äthiopien und als Spendensammler
für eine Wohltätigkeitsorganisation. Er erlebte die Armut vor Ort, aber er
änderte nichts. Er erzählte den Leuten zu Hause davon, aber sie drehten
sich weg. Erst wollte er im handelsüblichen Gebaren seine Wut auf die
anderen abschieben.
Im Moment gilt es als anormal, zehn Prozent seines Gehalts zu spenden. Dann
sah er ein, dass er selbst auch nur von seinen „Werten« redete, aber sie
nicht lebte. Entscheidend war für ihn der australische Moralphilosoph und
Weltintellektuelle Peter Singer und dessen Ansatz, sich zum Abgeben von
Geld zu verpflichten, um Leben zu retten. Zusammen mit seinem Freund Toby
Ord gründete er „Giving What We Can”, eine Bewegung, die Geld spendet, „…
man selbst nicht braucht”, wie sie das nennen.
Minimum ist zehn Prozent des Jahreseinkommens. Das ist nicht juristisch
bindend, aber man unterzeichnet einen Vertrag. MacAskill hat seinen 2009
unterschrieben. Er gibt 50 Prozent. Mit den anderen 50 Prozent kann er gut
leben. Nach seiner Berechnung wird er in seiner Laufbahn als Professor
umgerechnet etwa 2,6 Millionen Euro verdienen, dazu noch Nebeneinnahmen, er
rechnet mit 2 Millionen Euro, die er insgesamt weitergeben wird. Das wären
mehr als 650 gerettete Menschenleben. Ende diesen Jahres hatten 1.333
Mitglieder sich mit 460 Millionen Euro verpflichtet. Daran kann man das
Potenzial erkennen.
Es geht nicht um eine elitäre Gruppe von Nerds. Es geht um die Kultur der
bürgerlichen Mitte der Gesellschaft, darum, was man als normal betrachtet.
Im Moment gilt es als anormal, zehn Prozent seines Gehalts zu spenden.
MacAskill denkt von der anderen Seite. „Wenn man für 3.000 Euro ein
Menschenleben retten kann, warum sollte man es dann nicht tun?” Der
Hauptgrund sei, dass wir im derzeitigen Denken verhaftet seien.
Wer würde sich nicht zu den Guten zählen, grundsätzlich? Aber es geht schon
auch darum, irgendein Vizeabteilungsleiter zu werden und so viel zu
verdienen, dass man gerade immer alles abbezahlen kann, was man sich
leistet. Und der dritte Urlaub im Jahr will ja auch bezahlt sein. Was in
der herrschenden Kultur ein akzeptierter Gedanke ist. Weil diese Kultur
auch darin besteht, dass man sich selbst als mittelarmes Schwein
positioniert, schon cool, aber auch abgehängt von den wenigen da oben, die
alles zusammenraffen. Wenn man bei MacAskill war, dann weiß man: Das ist
nicht nur Selbstbetrug, das ist Weltbetrug durch Selbstlähmung. Es ist die
selbstgefällige Inszenierung in der klassischen Opferrolle. Die anderen
sind die oberen zehn Prozent der Gesellschaft?
„Ich würde mich als Antikapitalist beschreiben” Get a life. Wenn man bei
„Giving What We Can” ein Jahreseinkommen von 50.000 Dollar eingibt, wird
einem ausgerechnet, dass man zum obersten ein Prozent gehört. Mit mickrigen
25.000 Dollar gehört man zu den oberen fünf Prozent. Global gesprochen,
sagt MacAskill, sind wir das eine Prozent. Es geht ihm darum, die Welt zu
rekonzeptualisieren. Also: Wir in den westlichen Gesellschaften leben zu
einer komplett anormalen Zeit an einem anormalen Ort. Wir in den USA,
Großbritannien und Deutschland sind heute hundertmal so reich wie die
vielen, die fast so arm sind, wie die meisten zu den meisten Zeiten an den
meisten Orten. „Und diese Normalität gibt uns die Macht, als Individuen
Gutes zu tun in einem nie dagewesenen Ausmaß.”
1.000 Dollar mehr im Jahr ändern hier nichts. 1.000 Dollar dort verdoppeln
das Jahreseinkommen und die Lebensqualität. Als sei Happy Hour im Bierzelt
und man kriegt sein Maß Bier für 10 Cent statt für 10 Euro. Da würde man
doch gleich eine Zeltrunde schmeißen. Diese Happy Hour haben wir immer,
sagt er. Wir müssen sie nur nutzen. MacAskill erhebt sich langsam aus
seinem Stuhl. Chronische Rückenschmerzen. Er gehe jetzt ein bisschen im
Zimmer hin und her. Was ist eigentlich genau passiert, dass er so seltsam
wurde? „Ja, das ist eine gute Frage”, sagt er von der Tür aus. Er zögert
lange mit der Antwort. „Ich glaube, ich bin auf verschiedene Arten seltsam.
Erstmal ist meine Motivation hoch, dass ich Gutes tun will.” Die
Grundmotivation war immer hoch, dazu kamen die beschriebenen Erlebnisse mit
der Armut dort und der Apathie hier. „Die zweite Sache ist: Ich würde mich
als Antikapitalist beschreiben, aber ich habe mein politisches Denken
entwickelt”.
Er sei früher „ein stereotypischer Linker” gewesen. Er sagt „Leftie”.
Heißt? „Ich ging früher zu Treffen der sozialistischen Arbeiterpartei und
tue es nicht mehr. Ich wählte früher Grün und tue es nicht mehr.” Er wählt
jetzt strategisch, je nachdem, wer sein Anliegen in der Regierung am
wahrscheinlichsten durchsetzt. Irgendwann wurde ihm die grundsätzliche
Frage klar: „Ist Linkssein eine Art Paket, das nicht immer wirklich
rational ist?” Seine Antwort: Er hat das Paket aufgeschnürt. Die Finanzwelt
ist nicht a priori schlecht. Hilfe ist nicht a priori gut. Es kommt immer
darauf an.
Grün wählt er deshalb nicht mehr, weil es im britischen Wahlsystem der
relativen Mehrheitswahl schlicht nichts bringt. „Man wirft seine Stimme
effektiv weg.” Er sagt: „Ich habe eine Art von Rücksichtslosigkeit
entwickelt, ein Problem so ernst zu nehmen, dass ich tun will, was immer
nötig ist, um die größte Wirkung für seine Behebung zu haben.” Sein Kumpel
Ord und er recherchierten, erforschten, berechneten, was funktioniert, was
nicht funktioniert, was am besten funktioniert. Es gibt dramatische
Unterschiede.
Beim Versuch, Gutes zu tun, steht aber die Wirkung nicht immer im Zentrum.
Die Leute seien oft bestimmt von guten Gefühlen, von Selbstentwürfen, von
Sexyness-Bedürfnissen. Wenn man sich selbst als tapferen Helden sieht, der
in seinem Leben im Grunde täglich mit seinem kleinen Boot todesmutig auf
hoher See gegen die bösen Öltanker kämpft, dann wird man sich zu dem
Narrativ vom Guten hingezogen fühlen, das Greenpeace anbietet und verkauft.
Man wird nicht für Wurmkuren in Afrika spenden. Und wenn man sich als
künstlerisch-literarischen Menschen sieht, dann wird man auch nicht für
Wurmkuren spenden, sondern für Schulbüchereien in Afrika. Falsch. Wurmkuren
sind für die Zukunft eines afrikanischen Kindes viel entscheidender als
Bücher.
Das wichtigste Bildungsproblem sind die Abwesenheitstage, Wurmkuren
reduzieren Abwesenheit. Im Ergebnis bringen mehr Bücher gar nichts. Aber
entwurmte Kinder haben später ein 10 bis 20 Prozent höheres Einkommen.
Wurmkuren bedeuten: Mehr Gesundheit, mehr Bildung, mehr Geld. Und das
Beste: Eine Wurmkur für ein Kind kostet im Jahr 50 Cent. Wenn man im Lauf
seines Lebens zwanzig Prozent eines Mittelklassegehalts für Entwurmung
spendet, kann man das komplette Burundi für ein Jahr entwurmen. Das hört
sich nicht sexy an? Das ist der Hammer.
Die großen Erfolgsgeschichten sind allesamt Folge der Industrialisierung.
Der Paradigmenwechsel besteht darin, dass man sich die Emotionen nicht mehr
über die Größe des Problems holt, sondern über die Größe der Lösung. Der
Paradigmenwechsel besteht darin, dass man umfassend plant. Inklusive
Berufswahl. Dafür hat er die Organisation 80.000 Hours gegründet. Das meint
die Stundenzahl, die man in einem normalen Leben mit Erwerbsarbeit
verbringt. MacAskill sagt, wenn man in ein gutes Restaurant wolle und nur
zehn Minuten dafür recherchiere, habe das große Wirkung. Im Beruf arbeite
man 40 Jahre. Auch da bewähre sich eine ausgiebige Recherche. Aber für die,
die sich umfassend sozial engagieren wollen, gibt es keine Akademie. Da
folgt man dem Gefühl und landet bei einer Hilfsorganisation. Altes Denken
ist: Wohltätigkeit oder NGO sind gut. Unternehmer sind böse. „Der größte
und wichtigste Fortschritt kommt durch profitorientierte Unternehmen”, sagt
MacAskill.
Er zählt auf: Gesundheit, Wärme, Licht, ständig verfügbare Nahrung, alles
durch Kapitalismus. Die großen Erfolgsgeschichten sind allesamt Folge der
Industrialisierung. Mit allen Schattenseiten, klar. Aber trotzdem. Wer die
sozialökologische Sache in großem Stil voranbringen will, darf nicht
angestellt für Wohltätigkeit arbeiten, sondern muss Unternehmer werden. Und
etwas entwickeln, was für die Armen einen Unterschied macht. In die Politik
gehen, man höre und staune, kann auch einen Unterschied machen. MacAskill
hat die Wahrscheinlichkeit berechnet.
Was die Welt aber nicht braucht, sind Klitschen, die sich unter großem
Weltrettungs- und Nonprofit-Getöse nur selbst ausbeuten. 75 Prozent der
Möchtegern-Weltretter hätten überhaupt keinen Effekt, sagt er. Also: Nicht
für die arbeiten. Aber da ist noch mehr: Auch wenn du eine Stelle bei einer
effektiven Charity hast, bringt das keinen Zuwachs an Gutem. Ohne dich
würde einfach ein anderer auf der Stelle arbeiten. Aber kein anderer
Finanzbanker wird die Hälfte seines Jahresgehalts abgeben. Das macht einen
Unterschied von 100.000 Dollar. Oder mehr.
Er ruft nicht zum Handel mit Waffen auf, zur Werbung für Tabakindustrie,
aber es gebe ordentliche Optionen, bei denen man keinen oder wenig Schaden
anrichte, und das mit dem gespendeten Teil des Gehalts mehr als
kompensiere. Karriere, Status, Geld. Moralisch besser als keine Karriere,
kein Status, kein Geld? Das ist eine neue Altruismus-Formel, die das
derzeit vorherrschende Mainstream-Gutes-tun-Gefühl gegendarstellt.
Die Rechten ignorieren ihn, aber die Hardcore-Linken hassen ihn für so
etwas. „Du machst dich zum Teil des Systems”, knurren sie. Es brauche einen
„systemischen Wechsel”. Er fragt: Wohin? Sie sagen, es sei „moralisch
problematisch”, im System Geld zu verdienen, um es zu spenden. Es sind
keine Tausend, aber Hunderte, die er und das Team bisher auf den Weg
gebracht haben: Leute, die in die Politik und in die Wissenschaft gegangen
sind, um Netzwerke zu knüpfen, Kontakte zu machen, Positionen zu erklimmen,
in denen man einen Unterschied machen kann. Und es gibt Dutzende, die hohe
Positionen in der Wirtschaft erklommen haben, um Hunderttausende Pfund
abgeben zu können.
„Es ist, als würde vom Lkw eines Drogendealers hinten eine Million Dollar
runterfallen” Er sagt: Wo ist das Problem? Eine Gruppe junger Menschen
versucht, so viel und so gut wie möglich zu helfen. Leute, die nichts tun,
lehnen das ab. Er hält das für „Hyperkritik”. Er sieht sogar in
Milliardären primär das Potenzial, 99 Prozent ihres Geldes abgeben zu
können. Selbstverständlich baut das pragmatisch-kalkulierte Gutes tun von
MacAskill aber am Ende doch auf einem moralphilosophisch radikal linken
Fundament auf. Man könne auf seinen Reichtum nicht wirklich Anspruch
erheben, etwa indem man sage: Oh, ich habe hart dafür gearbeitet. „Die
Armen in Bangladesch haben noch härter gearbeitet.” 80 Prozent dessen, was
jemand verdient, verdanke sich dem Land, in das und der Familie, in die er
hineingeboren ist. Die Geschichte der Länder, die heute reich sind, sei in
der Regel problematisch. Kolonialismus, Imperialismus und so weiter.
Kurzum: Wenn man nach 1945 oder im 21. Jahrhundert in ein reiches Land
geboren ist, erbt man durch Glück großen Reichtum, der dubios entstanden
ist.
„Es ist, als würde vom Lkw eines Drogendealers hinten eine Million Dollar
runterfallen. Und du nimmst sie und sagst, oh, das habe ich verdient.” Von
diesem moralisch dubiosen Glück abzugeben, ist für ihn zwingend. Das ist
auch für die Einwanderungs- und Flüchtlingsfrage ein zentraler Gedanke. Und
die mathematische Berechnung des Guten, kulminierend in der Zahl, die die
Rettung oder genau gesagt, Ermöglichung eines Menschenlebens kostet? „Man
darf menschlichen Leben keinen Geldwert zumessen, und das tun wir auch
nicht”, sagt er. Sondern? „Wir haben limitierte Ressourcen, die wir
möglichst effektiv einsetzen wollen. Die Zahl hilft uns, besser zu werden.”
Und was folgt jetzt aus der Geschichte? Das, zum Beispiel: Bloß nicht
warten, bis das Buch auf Deutsch erscheint. Das englische Original lesen.
Sofort. Auch wenn es über Amazon bestellt werden sollte. Es geht darum, was
wirklich etwas voranbringt. Wenn man MacAskill verlassen hat und durch die
Sträßchen Oxfords an den Türmchen vorbeigeht, dann ist man durchdrungen von
dem Gedanken, den auch er hatte, bevor er durchstartete. Man denkt: Das ist
einfach viel zu wenig, was ich tue. Das ist nichts.
Und es gibt keinen Grund, warum das so bleiben muss.
[1][PETER UNFRIED]
Der Artikel ist erschienen in [2][zeozwei 1/16]. Gerne können Sie den
Artikel auf unserer [3][Facebook-Seite] diskutieren.
2 Jun 2016
## LINKS
[1] /Peter-Unfried/!a75/
[2] http://shop.taz.de/product_info.php?products_id=244078&MODsid=rgf0uat93522j…
[3] http://www.facebook.com/taz.zeo2
## AUTOREN
Peter Unfried
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.