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# taz.de -- Niger wählte den politischen Wandel
> Niederlage der ehemaligen Staatspartei bei den ersten freien
> Präsidentschaftswahlen/ Leere Staatskasse/ Angestellte seit vier Monaten
> nicht bezahlt/ Lösung des Tuareg-Konflikts?  ■ Aus Tahoua Daniel Stroux
„Wer nicht hierhergehört, wird sofort verhaftet.“ Mit der Kalaschnikow in
der erhobenen Hand stürmt ein Soldat in das Wahllokal. Weitere 25 Militärs,
die in fünf schwerbewaffneten Fahrzeugen vorgefahren sind, sichern die
Umgebung ab.
Eine neugierige Menschentraube, die der Stimmenauszählung assistieren
wollte, suchte das Weite. Der Platz ist sofort wie leergefegt. Im Wahllokal
Nr. 13 von Tahoua, einer von der Hauptstadt Niamey rund 600 Kilometer
entfernte, am Rande der Wüste gelegene Stadt, herrscht zunächst betretenes
Schweigen. Dann werden die Wahlumschläge weitergezählt, als sei nichts
geschehen.
Warum dieses Auftreten, warum die Aggression? Haben die Militärs den
Auftrag, die dritte, entscheidende Wahl am 27.April im Niger, die Stichwahl
zwischen den Präsidentschaftskandidaten Mamadou Tanja von der ehemaligen
Staatspartei MNSD und Mahamane Ousmane von der CDS, zu stören oder gar dem
Demokratisierungsprozeß den Todesstoß zu versetzen?
„Wir gewährleisten die Sicherheit in den Wahllokalen“, rechtfertigt einer
der Militärs das Auftreten der Soldaten. Offenbar weiß er nicht, daß die
nigrische Bevölkerung dem Wahlgesetz zufolge das Recht hat, bei der
Stimmenauszählung dabeizusein. Anstelle der BürgerInnen schauen nun einige
Militärs den Mitgliedern des Wahllokals und den als Beobachter fungierenden
Parteidelegierten über die Schulter – bis die letzte Stimme ausgezählt ist.
Dann ziehen sie in Ruhe ab.
Der neue, erstmals frei gewählte Präsident im Niger, der im Wahllokal Nr.
13 in Tahoua einen Stimmenvorsprung von 345 zu 327 Stimmen hatte und
landesweit 55 Prozent erreichte, heißt Ousmane Mahamane. Der 43jährige
Wirtschaftswissenschaftler und Statistiker hat in Frankreich und in Kanada
studiert. Bis vor zwei Jahren spielte er in der nigrischen Politik keine
Rolle. Seine 1991 gegründete Partei bezeichnet sich als sozialdemokratisch.
Ousmane will „ein Präsident für alle Nigrer“ sein, wie er in einem
Interview gleich nach der Wahl äußerte.
Mit Ousmane haben die Nigrer für den politischen Wandel gestimmt, der dem
Land stabile politische Verhältnisse bringen könnte: Hält das Bündnis
„Allianz der Kräfte des Wandels“ (AFC) aus neun Parteien, das Ousmane in
dieser zweiten Präsidentschaftsrunde, der Stichwahl gegen den Ex-Oberst
Tanja, unterstützte, kann Ousmane in Zukunft mit einer Regierung
zusammenarbeiten, die sich auf eine absolute Parlamentsmehrheit von 53
Stimmen (insgesamt 83 Sitze) stützt.
Die AFC ist allerdings kein Bund aus politisch Gleichgesinnten, was die
Zukunft der Allianz unsicher erscheinen läßt. Die neun Parteien haben sich
bisher als Opposition verstanden – ihre ideologische Ausrichtung deckt
sonst das gesamte politische Spektrum ab. Welche Interessengruppen sich in
der parlamentarischen Arbeit finden werden und welche Politik der
Premierminister Mahamadou Issouffou betreibt, bleibt abzuwarten.
Selbst wenn Ousmane zunächst politisch der Rücken gestärkt ist – die
sozioökonomische Situation des Landes ist verheerend. Die frühere
Devisenquelle Uran sichert nur noch zu einem geringen Teil die
Staatseinnahmen: Die Weltmarktpreise sind in den letzten fünf Jahren um die
Hälfte gefallen. Die Verschuldung des Landes liegt bei 1,3 Milliarden
Dollar, das Bruttosozialprodukt fällt, und die industrielle Produktion ist
im vergangenen Jahr um 10 Prozent gesunken. Ein Grund dafür ist der
überbewertete Franc CFA. Die Nigrer können deshalb ihr traditionelles
Exportprodukt, das Vieh, nicht mehr nach Nigeria verkaufen. Es ist für die
dortigen Verhältnisse viel zu teuer. Darüber hinaus schädigt die dadurch
bedingte übermäßige Viehhaltung die Trockensavanne.
Ousmane muß außerdem die Staatsbediensteten bezahlen, deren Gehälter seit
vier Monaten ausstehen. Die Gewerkschaft hatte zuletzt in der Woche vor der
Präsidentschaftswahl zum Streik aufgerufen. Wie lange die Gewerkschaft, die
eine treibende Kraft im Demokratisierungsprozeß im Niger war, der neuen
politischen Elite Schonfrist einräumt, ist fraglich. Die Staatskasse ist
leer, die Geberländer müßten, gerade um die junge Demokratie stabilisieren
zu helfen, tiefer in die Tasche greifen. Neue Gelder aber fließen nur, wenn
sich das Land dem Strukturanpassungsprogramm von IWF und Weltbank
unterwirft – und das heißt, Entlassungen im aufgeblähten Staatsapparat.
Ousmane dazu: Strukturanpassung ja, aber nur sozial ausgewogen.
Mit Ousmane als Präsidenten rückt im Niger aber die Lösung der Tuareg-Frage
in erreichbare Nähe. „Die Rebellen müssen wissen, daß sich mit meiner Wahl
eine Seite in der Geschichte des Landes wendet, betonte Ousmane am Tag nach
seiner Wahl. Unter der Übergangsregierung von Amadou Cheiffou war der
Konflikt zwischen den Rebellen der FLAA (Front de Libération de L'Air et
Azawak) und der Regierung erheblich verschärft worden: Einschüchterungen
und willkürliche Verhaftungen von zivilen Tuareg durch die Militärs
einerseits, Überfälle der Tuareg-Rebellen auf Militärs andererseits waren
an der Tagesordnung. Verhandlungen scheiterten bisher.
Für die Präsidentschaftswahl hatten die Tuareg-Rebellen einen
Waffenstillstand verkündet. Daraufhin beschloß die nationale
Wahlkommission, alle Wahllokale in der militärischen Sicherheitszone im
Departement Agadès zu öffnen – von insgesamt 56 Wahllokalen waren bei der
ersten Präsidentschaftsrunde Ende Februar aus Sicherheitsgründen nur 18
zugänglich. Doch nach Boykottdrohungen der ehemaligen Staatspartei MNSD
blieben die Wahllokale letztendlich geschlossen. 45.000 Tuareg-Nomaden
konnten im Departement Agadès faktisch nicht wählen.
Abgesehen von Problemen im Departement Agadès haben die internationalen
Wahlbeobachter die Wahl als gut verlaufen beurteilt. Die massive
Militärpräsenz im Wahllokal Nr. 13 von Tahoua blieb die Ausnahme.
5 Apr 1993
## AUTOREN
daniel stroux
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