| # taz.de -- Sex-positiver Feminismus im Gespräch: Schwanz in Möse? Wie langwe… | |
| > Ein Gespräch mit Laura Méritt und Polly Fannlaf über genormte weibliche | |
| > Körper, einen konsensuellen Zugang zu Sex und Gender als Masterkategorie. | |
| Bild: Sie ist für viele noch eine abstrakte Form: Die weibliche Vulva. | |
| taz: Frau Méritt, Frau Fannlaf, Sie stehen für sex-positiven Feminismus. | |
| Was bedeutet das – und was ist daran so attraktiv? | |
| Laura Méritt: Die sex-positive Bewegung hat in den letzten zehn Jahren | |
| große Aufmerksamkeit erfahren, weil sie sich für einen respektvollen und | |
| vor allem konsensuellen Zugang zu Sexualität ausspricht und Alternativen | |
| zum Mainstream anbietet. | |
| Besonders die jüngere Generation, die mit den Angeboten der Pornoindustrie | |
| im Internet aufwächst, ist interessiert an Bildern, die nicht sexistisch, | |
| rassistisch, size-istisch oder age-istisch sind. Aber auch ältere Leute | |
| wollen sich inspirieren lassen. Die Auseinandersetzung mit der eigenen | |
| Sexualität ist an kein Alter oder Geschlecht gebunden. | |
| Wie sex-positiv sind wir denn schon? | |
| Méritt: Die Sexspielzeug-Industrie wurde ja schon von der Frauenbewegung | |
| revolutioniert, was Qualität, Farbe, Design und Produktionsbedingungen | |
| betrifft. Seit über 20 Jahren betreibe ich Europas ältesten feministischen | |
| Sexshop für alle Geschlechter, da kann ich das sehr schön sehen. | |
| Viele gründen in anderen Städten auch Salons und reden stärker über | |
| Sexualität, analysieren Filme und bilden sich weiter. Feministische | |
| Kriterien finden allgemeinen Anklang. Pornographie ist als ernst zu | |
| nehmendes Forschungsfeld an der Uni angekommen. Das ist ein riesiger | |
| Schritt auf dem Weg in eine Gesellschaft, die mit Sex positiv umgeht. | |
| Gibt es nicht wichtigere Themen als Feminismus und Gender – das Erstarken | |
| der AfD oder die Flüchtlingsdebatte? | |
| Méritt: Gender ist eine Masterkategorie, die in alle gesellschaftlichen | |
| Angelegenheiten hineinspielt. Außerdem sind Frauen und andere Gender mit | |
| Bildung und einem starken Selbstbewusstsein, also auch Vertrauen und | |
| Kenntnis des eigenen Körpers, weniger anfällig für rechte Parteien und | |
| andere diskriminierende Strukturen. | |
| Polly Fannlaf: Die alten Dualismen haben ausgedient und nun geht es darum, | |
| die Vielfalt zu erkunden. Freund*in und Fremde sind keine Gegensätze – es | |
| gilt, den Reichtum zu begreifen und zu feiern. | |
| Sie geben Workshops über die weibliche Anatomie. Ist es wirklich noch | |
| nötig, darüber aufzuklären? | |
| Méritt: Vor allem macht es Spaß – wie jede gute Weiterbildung. Die meisten | |
| wissen zu wenig über die sexuellen Organe und Funktionen ihres Körpers und | |
| wie alles miteinander zusammen hängt. Zu Lustorganen und vor allem zu den | |
| Schwellkörpern und Erregungsorganen wie Klitoriskomplex und weiblicher | |
| Prostata wissen die meisten zu wenig. Mann und Frau werden als zueinander | |
| komplementär dargestellt, und das Praktizieren von Sex reduziert auf die | |
| Penetration von Schwanz in Möse. | |
| Fannlaf: Das ist vielen zu langweilig und die bekommen dann bei uns viele | |
| schöne Anregungen (beide lachen). | |
| Ist Anatomie also ein Politikum? | |
| Méritt: Körper werden von der jeweiligen Gesellschaft und deren | |
| sozioökonomischen Interessen definiert, diese Beschreibungen können sich im | |
| Laufe der Zeit verändern. Die Klitoris wurde z.B. im Laufe der Jahrhunderte | |
| immer kleiner dargestellt, jetzt wird sie meist als Punkt mit zwei Strichen | |
| abgebildet und von der Schönheitsindustrie als klein und symmetrisch | |
| normiert. | |
| Weibliche Lust wurde schon zu Zeiten Freuds als hysterisch pathologisiert | |
| und heute wird weibliche Unlust konsequent als „sexuelle Dysfunktion“ | |
| diagnostiziert. Dabei bleiben soziale und andere Komponenten, zum Beispiel | |
| Kommunikation und Machtgefälle, in der Beurteilung auf der Strecke. Statt | |
| sich mit der Lebens- und Liebessituation von Frauen wissenschaftlich und | |
| interdisziplinär zu beschäftigen, werden Medikamente verschrieben. Die | |
| Frauengesundheitsbewegung macht diese Zuschreibungen schon seit den 70ern | |
| bewusst und klärt auf. | |
| Fannlaf: Körpernormen formen Körper. Wenn der Mann groß und stark sein | |
| muss, wird nicht nur er, sondern auch seine Mutter und Frau alles dafür | |
| tun, dass er das wird. Und wenn die Frau klein und unterwürfig sein muss, | |
| wird sie kaum ihre Oberarmmuskulatur trainieren. | |
| Innerhalb des Feminismus steht „PorYes“ gegen „PorNo“. Ist die | |
| Frauenbewegung zu gespalten? | |
| Méritt: Die Frauenbewegung ist eine grosse soziale Bewegung und hatte schon | |
| immer verschiedene Flügel, die auf verschiedenen Ebenen agierten. Ob es nun | |
| um das Erstreiten des Frauenwahlrechtes ging oder um die Rechte von Huren. | |
| Fannlaf: Bei Politiker*innen werden Meinungsverschiedenheiten als Zeichen | |
| engagierter Auseinandersetzung gelesen. Bei Frauen werden verschiedene | |
| Ansätze hingegen eher negativ gewertet. Damit wird in die ideologische | |
| Genderkiste gegriffen. Dabei ist ein Leitsatz der Frauenbewegung: Vielfalt | |
| ist Reichtum. | |
| Méritt: Diese mehrgleisige Strategie und die Diskussions- oder Steitkultur | |
| ist etwas sehr wertvolles und wird interessanterweise bei Frauen oftmals | |
| als „Zickenkrieg“ oder „Kampf der Hyäninnen“ bezeichnet und als Spaltu… | |
| gewertet. | |
| Tatsächlich gibt es zum Thema Pornografie mehr Gemeinsamkeiten als | |
| Unterschiede. Alle sind sich einig, dass eine andere (Bilder-)Sprache nötig | |
| ist. Das Schweigen der gesellschaftlichen Mitte zu lustvoller Sexualität | |
| überlässt die Deutungshoheit über sexuelle Expression der Pornoindustrie. | |
| Schön ist da, dass immer mehr feministische Filme produziert werden. | |
| Feminismus macht sexy! | |
| Das Interview führte [1][SOPHIE FEDRAU], Redakteurin des taz.lab | |
| 22 Mar 2016 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sophie Fedrau | |
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