# taz.de -- Fatou Diome im Gespräch: „Freiheit als Weltbürgerin“ | |
> Grenzen aufrechtzuerhalten, ist für Fatou Diome wie „den Atlantik mit dem | |
> Teelöffel auslöffeln zu wollen“. Die Schriftstellerin über Frauenrechte, | |
> den anderen Blick und getrennte Realitäten. | |
Bild: Migration ist nichts Neues und gab es, seitdem es Menschen gibt. | |
Fatou Diome, in Ihren Romanen finden sich autobiografische Elemente aus | |
Ihrem Leben im Senegal und in Frankreich. Macht Sie das nicht verletzlich, | |
die eigenen Erfahrungen einzubauen? | |
Nein, weil meine Bücher keine Berichte sind, sondern Romane bleiben. Es | |
gibt in einigen meiner Bücher einen Teil, der mit meiner Geschichte | |
verunden ist, aber es bleibt eine Reflexion über die Gesellschaft. In | |
meinem letzten Roman (Impossible de grandir, Anm.d.R.) ging es um die | |
Situation von Kindern, Familienproblemen und die Frage, wie man seinen | |
Platz im Leben findet. Das ist eher eine Art zu sagen, ich bin hier, und | |
ich muss für meine Würde kämpfen. | |
Sie werden oft gefragt, wie Sie in Frankreich leben, dabei wohnen Sie dort | |
schon seit 22 Jahren. Liegt darin eine implizite Rechtfertigung, die von | |
Ihnen verlangt wird, warum Sie in Frankreich sind? | |
Ich finde es seltsam, dass ich nach 22 Jahren noch gefragt werde: | |
Bevorzugen Sie Europa oder Afrika? Das ist keine Frage mehr für mich. Es | |
sind die anderen, die ein Problem damit haben und die von mir verlangen, | |
mich zu rechtfertigen. Für mich ist es etwas Normales, total Banales | |
(lacht). Ein Mensch lässt sich nicht an seiner Hautfarbe oder seinem | |
Geburtsort zusammenfassen. | |
Schriftsteller*innen aus Europa werden seltener nach ihrer Herkunft gefragt | |
oder betrachtet. | |
Ja, ich denke, dass es an der Zeit ist, den Blick zu ändern. Wenn ein | |
Europäer nach Asien oder Afrika reist und ein Buch schreibt, verlangt | |
niemand von ihm sich zu rechtfertigen. Er ist einfach ein Intellektueller, | |
frei über die Welt zu reflektieren. Warum werden AfrikanerInnen in eine | |
Schublade gesteckt, als ob der Rest der Welt sie nicht auch betrifft? Ich | |
fordere die Freiheit als Weltbürgerin, als Frau und auch meine | |
künstlerische Freiheit. | |
Leser*innen können auch etwas lernen wenn sie Bücher lesen, die sich in | |
anderen Kontexten abspielen. | |
Das stimmt, aber man sollte den Schriftsteller nicht zu einem | |
Touristen-Führer reduzieren! In einem kleinen Buch, Le vieil homme sur la | |
barque, sage ich, „Einen Autor durch und wegen seiner Herkunft zu lesen, | |
ist nichts als literarische Ketzerei". Das heißt, einen Schriftsteller nur | |
durch seine Herkunft verstehen zu wollen, oder sich nur deshalb für sein | |
Werk zu interessieren, ist für mich ein literarisches Vergehen. | |
Was antworten Sie Leuten, die Unterschiede zwischen Europa und Afrika | |
betonen? | |
Es gibt nicht eine afrikanische Art und eine europäische Art zu weinen. Es | |
gibt einfach nur eine menschliche Art zu leiden oder Dinge zu schätzen. | |
Eine Musik, ein Buch, das berührt Sie oder nicht. Es geht darum Revolten zu | |
teilen, Utopien, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Und, | |
wenn man sie nicht verbessern kann, aufzuzeigen was nicht geht. Und das ist | |
eine kollektive Reflexion. | |
Was ist ein Beispiel, wo es gut war, die Erfahrungen zu haben, die Sie in | |
Europa sammelten? | |
In meinem Leben als Frau zum Beispiel. In Europa zu leben gab mir mehr | |
Freiheit. Nicht, dass ich keine Freiheiten hatte in Afrika, denn ich habe | |
dort auch immer dafür gekämpft. Ich bin in einer Region der Serer-Kultur | |
aufgewachsen, einer matriarchalen Kultur. Das hat mir sicherlich geholfen, | |
die europäische Kultur leichter anzunehmen und meine Freiheit als Frau zu | |
leben. | |
Welche Bedeutung hatte es denn für Sie, in einer matriarchalen Kultur | |
aufzuwachsen? | |
Die Frauen hatten dort schon immer viel Verantwortung. Sie sind frei und | |
sehr respektiert. Ich wurde von meiner Großmutter aufgezogen, die, auch | |
wenn sie das Wort 'Feminismus' nicht benutzte, durch ihre Art zu leben eine | |
Feministin war, und mich viel lehrte. Sie arbeitete, hatte die Freiheit zu | |
denken und zu handeln. Wenn man diese Freiheit bereits als Jugendliche | |
lernte, kommt man leichter im Leben als Frau zurecht. | |
Also eine Freiheit, die Ihnen ermöglichte diejenige zu werden, die Sie | |
heute sind? | |
Ob man in Europa oder in Afrika ist, ein Mädchen zu sein und seinen eigenen | |
Weg gehen zu wollen bleibt ein Kampf. Also verdient man sich die Freiheit, | |
man erhält sie nicht. Es gibt niemanden der entscheidet, Sie Ihnen zu | |
geben, es ist an Ihnen, dafür zu kämpfen. | |
Wie leben Sie die Globalisierung? | |
Wenn man in der Literatur, in der Philosophie lebte, sich mit Leuten von | |
hier, von woanders austauscht, gibt es keinen großen Unterschied. | |
Globalisierung, die Leute sprechen mittlerweile davon (lacht). Obwohl es | |
die Globalisierung für mich schon gab, als ich in Dakar war, wenn ich | |
Zeitungen las und wusste, was in Europa oder anderswo passiert. Was sich in | |
der Welt abspielte, war in derselben Welt, zu der ich gehöre. | |
Es gibt Leute, die die Globalisierung nicht nur positiv sehen. | |
Es gibt Leute, die sich unserer gemeinsamen Welt bewusster sind. Und Leute, | |
die noch die Illusion von getrennten Ländern mit getrennten Realitäten | |
haben. Getrennte Realitäten, das ist heutzutage eine Fiktion. Eine Mauer in | |
die Mitte von alldem zu ziehen ist eine Fiktion geworden. Die territoriale | |
Grenze, Abgrenzung, das ist in unserer Zeit eine Unmöglichkeit geworden. | |
Die Leute, die das versuchen, werden leiden (lacht). Das ist so, als wenn | |
Sie den Atlantik mit einem Teelöffel leer schöpfen wollen. Die Menschen | |
werden sich treffen, egal was passiert, also müssen sie lernen sich zu | |
entdecken und zu respektieren. | |
Interview und Übersetzung: [1][MARION BERGERMANN], Redakteurin des taz.lab | |
16 Feb 2016 | |
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## AUTOREN | |
Marion Bergermann | |
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