# taz.de -- Nur „No Future“, Bier und Gewalt? | |
> Südafrikas einst kämpferische schwarze Jugend blickt düster in die | |
> Zukunft / Pessimismus und Entpolitisierung / „Vielleicht wird es meinen | |
> Kindern besser gehen“ ■ Aus Sebokeng Willi Germund | |
Aus den Lautsprechern dröhnt Rap. La Mancha, reputation for braaivleis – | |
bekannt für Grillfleisch – wirbt eine verblaßtes Blechschild. Aber in der | |
verräucherten Kneipe mit gelben Plastikstühlen und Eisentischen fließt vor | |
allem Bier. Khulu Malindi, eine blaßgrüne Pudelmütze tief über die Ohren | |
gezogen, spielt etwas unschlüssig mit seinem halbvollen Glas: „Vielleicht | |
klappt es nächstes Jahr.“ Vor zwei Jahren hat der 22jährige das | |
südafrikanische Abitur bestanden. Was er nun studiert, ist ihm egal – | |
Hauptsache, das Geld reicht fürs Studium. | |
Die Hände in den Hosentaschen, stapft er in der Dunkelheit durch Sebokengs | |
staubige Straßen. Rauch aus Hunderten von Kohleöfen hängt über dem | |
Township, 80 Kilometer südwestlich von Johannesburg. In der Ferne leuchten | |
die Lampen des Stahlwerks Iscor. Sebokeng wurde einst vor allem für die | |
Arbeiter dieses staatlichen Konzerns gegründet. Khulu sucht sich einen Weg | |
zwischen Abfallhaufen und Straßengräben. Sein Ziel: ein großes Plastikzelt, | |
in dem sich knapp hundert Altersgenosen versammelt haben. In langen | |
Popelinemänteln und dicken Mützen ducken sie sich gegen den kalten Wind, um | |
einem Freund die letzte Ehre zu erweisen: Mzwake, plötzlich verstorben – | |
nach einer heftigen Grippe. | |
## „Erst Befreiung, dann Bildung“ – jetzt rächt sich diese Parole | |
Die trinkfreudigen Jugendlichen in La Mancha, die tristen Teilnehmer der | |
Totenwache – Südafrikas Öffentlichkeit hat für die Generation der 15- bis | |
30jährigen einen ebenso einprägsamen wie niederschlagenden Begriff geprägt: | |
die verlorene Generation, eine Gruppe, die etwa zehn Millionen Menschen in | |
einem Land von knapp 40 Millionen Einwohnern umfaßt. 1976 machten die | |
schwarzen Schüler erstmals von sich reden, als sie gegen die miserablen | |
Ausbildungsbedingungen des Apartheid-Regimes aufbegehrten. Auch die 80er | |
Jahre mit ihren massiven Protesten legten das Erziehungssystem weitgehend | |
lahm. Liberation, then education – erst Befreiung, dann Bildung – lautete | |
zeitweise das Motto. | |
Eine Generation, die sich im Kampf gegen die Apartheid verschliß und nun | |
keine Zukunftsperspektive besitzt? „Wir mögen den Begriff verlorene | |
Generation überhaupt nicht“, erzählt die Soziologin Silloane Matoase vom | |
„Joint Enrichment Program“ (JEP) in Johannesburg. Ihre bisher nicht | |
veröffentlichte Studie zeichnet tatsächlich ein differenzierteres Bild. | |
Danach haben rund ein Viertel aller jungen Leute keine Probleme. 43 Prozent | |
werden als „Risikogruppe“ eingeschätzt. Sie könnten jederzeit in die | |
folgende Kategorie der 27 Prozent umfassenden „marginalisierten | |
Jugendlichen“ abrutschen. Junge Leute ohne Arbeit, Ausbildung und Hoffnung. | |
Fünf Prozent, so die Umfrage, sind „verloren“ – ins kriminelle Milieu | |
abgerutscht. | |
„Auch ich gehöre zur verlorenen Generation“, erzählt Silloane Matoase. Zw… | |
Jahre boykottierte sie ab 1976 die Schule, holte auf Druck ihrer Eltern | |
schließlich die verlorenen Jahre nach und studierte schließlich in Kanada. | |
„Zufrieden bin ich nicht“, sagt Khulu Malindi in Sebokeng. „Aber vielleic… | |
wird es meinen Kindern einmal besser gehen.“ Auch sein Freund Teboho | |
Moepadiri hegt wenig Illusionen: „Ich glaube nicht, daß es uns | |
wirtschaftlich einmal besser gehen wird. Aber wenigstens im | |
Erziehungsbereich und bei der Gesundheitsversorgung kann hoffentlich etwas | |
für uns getan werden.“ Etwa 45 Prozent aller befragten jungen Leute | |
glauben, so die Studie des Joint Enrichment Program, daß sie in Südafrika | |
keine Zukunftsperspektiven besitzen. | |
Angesichts der Verhältnisse ist dies kein Wunder. Nur fünf Prozent der rund | |
400.000 Schulabgänger dieses Jahres werden eine Arbeitsstelle finden. Rund | |
drei Millionen Südafrikaner zwischen 15 und 30 Jahren sind bereits | |
arbeitslos. Während die Hälfte aller Jugendlichen aller Farben ihre | |
Ausbildung aus finanziellen Gründen aufgeben mußten, erreichen 14 Prozent | |
aller schwarzen Schüler – insgesamt 1,1 Millionen – nur die fünfte | |
Schulklasse. | |
Die wenigsten sehen einen Ausweg in der Politik. Ganze sieben Prozent haben | |
sich politischen Organisationen angeschlossen, während fast die Hälfte | |
aller jungen Frauen regelmäßig einen Gottesdienst besuchen. | |
Solche Zahlen bestätigen, was manche Wissenschaftler in Südafrika ohnehin | |
vermutet haben. Doch erst die Ausschreitungen nach dem Mord an | |
Kommunistenführer Chris Hani Anfang April brachte die Problematik auch den | |
Politikern ins Gedächtnis. ANC- Präsident Nelson Mandela schlug inzwischen | |
nicht nur die Gründung von „Brigaden“ zum Wiederaufbau Südafrikas vor, er | |
zieht neuerdings auch durch die Provinzen und wiederholt unermüdlich: „Ihr | |
müßt lernen.“ | |
Eine der Folgen vernachlässigter Jugendpolitik – die gewaltätige | |
Kriminalität – gehört in Townships wie Sebokeng längst zur Tagesordnung. | |
Als ein Kameramann kürzlich in dem Viertel Tembisa überfallen und von fünf | |
Schüssen getroffen wurde, weigerten sich Anwohner, ihm zu helfen. Sie | |
fürchteten sich vor der Rache der verantwortlichen Bande von 14jährigen | |
Gangstern, die alle mit Sturmgewehren bewaffnet sind. „Kriminalität“, | |
schreibt der Wissenschaftler David Everatt, „Bandenwesen und | |
Drogenmißbrauch greifen immer stärker um sich. Die Kriminellen werden immer | |
jünger.“ | |
Doch das Joint Enrichment Program hat die Hoffnung nicht aufgegeben: „Die | |
meisten Befragten sind sehr pessimistisch, aber die meisten beschreiben | |
sich selbst auch als motiviert. Diese positiven Aspekte sollen aufgegriffen | |
werden, um Südafrikas Jugend zu helfen, die negative Zukunft zu überwinden, | |
die sie für sich selbst erwartet.“ | |
19 May 1993 | |
## AUTOREN | |
willi germund | |
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