# taz.de -- Götterdämmerung für einen Urgroßvater | |
> Am kommenden Montag stellt sich eine der letzten Einparteiendiktaturen | |
> der Welt zur Disposition: Malawi stimmt über die Einführung der | |
> Demokratie ab. Einem afrikanischen Liebling Deutschlands stehen ungewisse | |
> Zeiten bevor ■ Von Erik Schadde | |
Als im Jahr 1982 der deutsche Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, | |
Reiner Offergelt (SPD), im Bundestag ankündigte, daß Gelder in Zukunft | |
verstärkt in die Länder fließen sollten, die sich um die Einhaltung der | |
Menschenrechte bemühen, erschien sogleich ein besorgter Artikel in einer | |
der beiden Tageszeitungen Malawis, die unter strenger Observanz der | |
Einheitspartei erscheinen. Man wußte warum. | |
Ein Jahr später aber schon konnte Malawi aufatmen: In Bonn regierten wieder | |
die Konservativen, 1983 wurde ein neues, großes Hilfspaket verabschiedet. | |
Während seines Malawi-Besuches 1985 lobte Minister Warnke (CSU) Malawi als | |
Modell für eine „afrikanische Politik frei von Ideologie und geleitet von | |
Pragmatismus“. Inhaftierungen ohne Gerichtsverfahren, systematische Folter | |
in den Gefängnissen, Morde an mißliebigen Politikern – das konnten | |
Menschenrechtsorganisationen dokumentieren soviel sie wollten, für die | |
Bundesregierung blieb Malawi „Modellpartner für Kooperation in Afrika“. Bis | |
1989 eine Bundestagsdelegation erschrocken feststellte, es sei „viel zu | |
wenig bekannt, daß Malawi eine angstmachende Diktatur mit politischen | |
Häftlingen, Geheimpolizei und Pressezensur ist.“ | |
Die BRD war das erste Land überhaupt, das die Entwicklungszusammenarbeit | |
mit dem 1964 unabhängig gewordenen Staat aufnahm, in dem schon damals der | |
inzwischen greise Diktator Hastings Kamuzu Banda alle Machtpositionen | |
besetzt hielt: Parteivorsitzender der Malawi Congress Party (MCP), | |
Premier-, Außen- und Landwirtschaftsminister und Oberfehlshaber der | |
Streitkräfte. Der Präsident ernennt die Regierung, er hat das Recht, | |
Abgeordnete zu ernennen und Minister zu berufen, die nicht ins Parlament | |
gewählt worden sind. Auch auf Ministerebene fand von Anfang an keine | |
Politik statt. Kaum ein Minister betreute länger als drei Jahre ein | |
Ressort. | |
Besonders gefährlich war der Posten des Generalsekretärs der | |
Einheitspartei. Als die Times of Zambia Generalsekretär Aleke Banda 1972 | |
als aufgehenden Stern in der malawischen Politik bezeichnete, erhielt er | |
vom Präsidenten die Aufforderung, in sein Dorf zurückzukehren. Ein anderer | |
Generalsekretär starb 1983 mit zwei Parlamentsmitgliedern nach einer | |
kritischen Parlamentsrede bei einem mysteriösen Autounfall. Daß der Posten | |
des Generalsekretärs daraufhin gar nicht mehr besetzt wurde, zeigt, daß | |
nicht einmal die Scheininstitutionen selbst mit der Machtpraxis des | |
Autokraten Banda koexistieren können. | |
Die Wirtschaftspolitik ist eine ungefähre Fortschreibung der kolonialen, | |
exportorientierten Plantagenwirtschaft. Durch die Schaffung rechtlicher | |
Handhabe zur Umwandlung traditionellen Stammeslands in Pachtland für | |
Plantagenbesitzer gelang es, die Exporte von Tabak und Tee um ein | |
Vielfaches zu steigern. Untersuchungen haben gezeigt, daß der Lohn der | |
Wanderarbeiter auf den Plantagen praktisch nicht zum Einkommen ihrer | |
Familien beiträgt, deren Arbeitsbelastung durch das Fehlen des männlichen | |
Familienoberhaupts aber beträchtlich zunimmt. Die dadurch geförderte | |
Prostitution scheint mit ein Grund für die selbst für afrikanische | |
Verhältnisse hohe Aids-Infektionsrate zu sein. | |
Im März 1992 veröffentlichten die katholischen Bischöfe völlig unerwartet | |
einen Hirtenbrief, der ausgerechnet am Ostersonntag in allen katholischen | |
Kirchen des Landes verlesen und in einer gedruckten Auflage von 16.000 | |
Stück im Land verbreitet wurde. Er prangerte die Niedriglohnpolitik, die | |
herrschende Korruption, Versagen in Bildungs- und Gesundheitspolitik, den | |
Mangel an demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten und Pressefreiheit und | |
die willkürlichen Verhaftungen an. Das Regime verhörte die Bischöfe und | |
setzte sie unter Hausarrest. Die Druckerei, in der der Brief vervielfältigt | |
worden war, wurde von unbekannten Tätern angezündet. | |
Wenige Wochen später fand in Lusaka, Sambia, ein Kongreß der von jeher | |
zerstrittenen Opposition statt. Chikufwa Chihana, ein 52jähriger | |
Gewerkschafter und einer der wenigen Oppositionspolitiker, die aus Malawi | |
selbst angereist waren, bekam ein formales Mandat, einen Kongreß | |
demokratischer Kräfte in Malawi zu organisieren und wurde bei seiner | |
Rückkehr auf dem Flughafen von Malawis Hauptstadt Lilongwe verhaftet. | |
Anfang Mai schließlich beginnen 3.000 Arbeiter die größte Textilfabrik | |
Blantyres, der Handels- und Industriemetropole des Landes, zu bestreiken. | |
Die anrückende Polizei schloß die Fabrik und schickte alle Arbeiter nach | |
Hause. Trotzdem kam es in den folgenden Tagen zu Demonstrationszügen: | |
Filialen der Supermarktkette PTC, die dem Präsidenten gehört, wurden | |
geplündert, 40 Demonstranten von der Polizei erschossen. | |
Wenige Tage später verkündete der Direktor Südliches Afrika der Weltbank, | |
geplante 74 Millionen Dollar Entwicklungshilfe seien eingefroren, bis | |
Malawi grundlegende Fortschritte auf dem Gebiet der Menschenrechte mache. | |
Damit wurde der Regierung Banda die entscheidende Niederlage beigebracht. | |
Noch Ende Mai 1992 wurde der lange eingefrorene Mindestlohn erhöht; Chihana | |
wurde auf Kaution entlassen. Ende Juli wurden im Parlament Nachbesserungen | |
der Verhaftungs-, Enteignungs- und Beleidigungsparagraphen eingebracht. So | |
sank die Höchststrafe für Beleidigungen für Journalisten von lebenslänglich | |
auf fünf Jahre. | |
Im Oktober kündigte Banda ein Referendum über die Einführung einer | |
Mehrparteiendemokratie an und ging damit auf Forderungen ein, die eine | |
Gruppe von Oppositionellen namens „Alliance for Democracy“ (Aford) | |
ausgesprochen hatte. In seiner Neujahrsansprache setzte er als Termin den | |
15. März fest – was Aford aber als zu kurzfristig ablehnte. Sie forderte | |
Beteiligung an der Wählerregistrierung, sprach sich dagegen aus, daß bei | |
der Wahl zwei getrennte Wahlurnen für Pro- und Contra-Stimmen verwendet | |
werden – ein inzwischen zurückgezogener Regierungsvorschlag – und forderte | |
eine Aufhebung der restriktiven Sicherheitsgesetze für die Zeit des | |
Wahlkampfes. Zudem solle die Regierung sich verpflichten, im Falle eines | |
Votums für ein Mehrparteiensystem zugunsten einer Übergangsregierung | |
zurückzutreten. | |
Der Erfolg war die Verschiebung des Referendum auf den 14. Juni. Während | |
die Oppositionsgruppen nun in aller Eile versuchen, Informationen über das | |
Referendum insbesondere an die Landbevölkerung zu bringen, hat die Partei | |
ihren Apparat in Bewegung gesetzt, um für die Beibehaltung des | |
Einparteiensystems zu werben. Ihr kommt dabei zugute, daß viele Strukturen | |
von Partei und Staat identisch sind: die Vorsitzenden der Ortskommitees | |
erfüllen die Funktion der Bürgermeister, die Parteimitgliedskarte dient als | |
Personalausweis. | |
Zumindest die Bewohner der Städte treiben die Parolen der Opposition auf | |
die Straße. Sogar die Regierungspresse nannte im Januar die Zahl von 30.000 | |
bei einer Oppositionsveranstaltung in Lilongwe, während die Opposition | |
selbst von der fünffachen Menge sprach. Bei einer Wahlkampfreise des | |
Präsidenten im Norden konnten demgegenüber einige Hundert herbeigekarrte | |
Schulkinder und Verwaltungsangestellte die Leere der großen Stadien und die | |
Unbeliebtheit des alten Regimes kaum mehr verhüllen. | |
Der Norden steht seit jeher kritischer zu Banda: Fast alle bedeutenden | |
Oppositionellen kommen aus dieser Region, die sich durch Quotierung | |
bestimmter Berufsgruppen und des Universitätszugangs benachteiligt fühlt. | |
Das große Schweigen der Oppositionsgruppen zur Gefahr tribalistischer | |
Auseinandersetzungen nach der Beseitigung der Gewaltherrschaft läßt nichts | |
Gutes ahnen. In den weißen Manager-Enklaven steht deshalb alles zur | |
rettenden Flucht mit dem Flugzeug oder über die Landgrenze nach Sambia | |
bereit. | |
10 Jun 1993 | |
## AUTOREN | |
erik schadde | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |