# taz.de -- Kubaworkshop 2015: „An die große Öffnung glaube ich nicht“ | |
> Ein Interview über Kritik an der Regierung mit der Journalistin Elaine | |
> Díaz. | |
Bild: "Gar nichts" habe sich für Journalisten geändert seit der Annäherung a… | |
taz: Frau Díaz, auf Ihrem Blog Periodismo de Barrio verpflichten Sie sich | |
zu „gutem, unabhängigem und fairem Journalismus“. Wie unabhängig kann | |
Journalismus auf Kuba denn heutzutage sein? | |
Elaine Díaz: Mit unabhängig meine ich: nicht dem Staat unterstellt. | |
Finanziert werden wir von ausländischen NGOs, unter anderem aus Schweden, | |
aber die reden uns nicht in unsere Inhalte rein. Unsere Redaktion besteht | |
aus fünf Leuten, in zwei Wochen geht die Webseite online. Sie beschäftigt | |
sich mit Naturkatastrophen und deren Langzeitfolgen auf Kuba. Die Einzigen, | |
denen wir uns verpflichtet fühlen, sind die Leute, über die wir berichten. | |
Aber laut Artikel 53 der kubanischen Verfassung stehen alle Medien unter | |
staatlicher Kontrolle. | |
Nur Fernsehen, Radio und Zeitungen. Das Gesetz wurde geschrieben, bevor das | |
Internet nach Kuba kam. Deswegen konnten sich in den letzten Jahren einige | |
Blogs etablieren, auch regierungskritische. Sie registrieren ihre Webseite | |
im Ausland und tun so, als seien sie Korrespondenten dieses ausländischen | |
Medienbetriebs. Das ist absurd, aber es funktioniert. | |
Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Kuba | |
auf Platz 169 von 180, hinter dem Irak, Libyen und Ägypten. Demnach dürften | |
es regierungskritische Journalisten auch im Internet nicht leicht haben. | |
Das stimmt. Ich kenne einige Fälle von Bloggern, die im Gefängnis saßen, | |
verfolgt oder bedroht wurden. Mir selbst ist das noch nie passiert. Ich | |
habe 2008 angefangen zu bloggen, damals auch über Politik und Gesellschaft. | |
Es kam schon vor, dass mein Boss oder mein Professor aus der Uni anrief und | |
sagte: „Das solltest du so nicht schreiben“ oder: „Bitte lösch diesen | |
Eintrag.“ Darauf habe ich nie gehört und hatte Glück. Freunde von mir haben | |
wegen kritischer Einträge ihren Job verloren. | |
Was hat sich für Journalisten geändert seit der Annäherung mit den USA? | |
Gar nichts. Ich denke, die Medien werden der letzte Bereich sein, den die | |
Regierung öffnet. Sie wollen das Monopol auf Meinungsbildung und die | |
Verbreitung ihrer Ideologie behalten, deswegen halten sie an den | |
Staatsmedien fest. An die große Öffnung der kubanischen Presse glaube ich | |
sowieso nicht. Ich glaube eher, dass immer mehr Räume entstehen werden, in | |
denen unabhängige Journalisten publizieren können. | |
Passiert das schon? | |
Ganz langsam. Seit etwa einem Jahr toleriert der Staat immer mehr private | |
Medieninititiaven. So fangen kleine Redaktionen an, dünne Zeitungen oder | |
Blättchen herauszugeben. Die meisten beschäftigen sich mit Sport, Stars, | |
Musik und Restaurants. Oppositionelle oder politische Medienmacher sind | |
aber nicht darunter. | |
Was hat sich für Sie persönlich geändert? | |
Die Einstellung zu meiner Arbeit: Wenn meine Regierung mit der US-Regierung | |
verhandelt, dann habe ich auch das Recht, ein Medium zu gründen und Geld | |
von ausländischen NGOs zu nehmen. Das können sie mir nicht mehr verbieten. | |
Aber die Verbreitung wird schwer: Nur 5 Prozent der Kubaner haben Zugang | |
zum Internet. Wie wollen Sie Ihren Blog bekannt machen? | |
Es stimmt, dass sich nur reiche Kubaner Internet leisten können. Eine | |
Stunde im Internetcafé kostet 2 Dollar – und das bei einem | |
Durchschnittslohn von monatlich 25 Dollar. Öffentliches Wifi gibt es so gut | |
wie nicht. Auf Kuba haben sich deshalb die sogenannten Paquetes semanal | |
etabliert. Da laden Leute jede Woche Inhalte aus dem Internet, also | |
Fernsehserien, Apps, Spiele und Nachrichten auf Festplatten, die man gegen | |
eine Gebühr ausleihen kann. Ich bekomme mein Paquete immer sonntags für 1 | |
Dollar bei mir im Viertel. Ich bin gerade dabei, mit den Verkäufern der | |
Paquetes zu verhandeln: Wenn sie die neuesten Einträge unserer Webseite | |
jede Woche auf die Paquetes laden, dann werden wir schnell bekannt. Das | |
bedeutet allerdings, dass wir überlegen müssen, wie wir uns auf den | |
Paquetes präsentieren. Bei uns heißt es deshalb nicht „mobile first“, | |
sondern „paquetes first“. | |
Das heißt, Sie sehen in den Paquetes eher die Zukunft? | |
Nein, aber ich glaube, es wird lange dauern, bis das Internet günstiger und | |
leichter verfügbar wird. Der Staat hat ja auch Interesse daran, den Ausbau | |
zu verhindern. Die sozialen Netzwerke sind in den vergangenen Jahren immer | |
wichtiger für unsere Meinungsbildung geworden. Seit 2008 gibt es Facebook | |
auf Kuba – das hat viel verändert. Am Anfang hatten die Leute dort noch | |
Profile mit Pseudonymen, um über Politik zu diskutieren. Heute tun sie das | |
mit ihrem Klarnamen. | |
Beobachten Sie so eine Lockerung bei dem, was staatliche Journalisten | |
schreiben? | |
Nicht direkt in den Zeitungen oder Sendern. Aber ich kann Ihnen ein | |
Beispiel erzählen: Wir haben mit unserer Gruppe hier in Berlin den | |
Bundestag besucht und gesehen, wie einige Abgeordnete mit dem Fahrrad zur | |
Arbeit kamen. Wir haben das alle fotografiert und bei Facebook hochgeladen. | |
Selbst meine Kollegen, die für staatliche Medien arbeiten, haben dazu | |
geschrieben: „Ich wünschte, unsere Abgeordneten würden mit dem Rad zur | |
Arbeit kommen.“ Selbst eine solch harmlose Aussage hätte sich vor vier | |
Jahren noch niemand getraut. | |
Das Interview führte Anne Fromm (taz-Medienredakteurin). | |
17 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Anne Fromm | |
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