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> ■ Zum 100. Geburtstag von Wladimir Majakowski
Ein Dorf in Georgien heißt Majakowski. Vor hundert Jahren, als das Dorf
noch Bagdadi hieß und der Dichter noch kein Dichter war, wurde Wladimir
Majakowski dort geboren, am 19. Juli 1893. Heute leuchtet die vergriffene
Gesamtausgabe hin und wieder rot im Schaufenster eines Antiquariats. Darin
Gedichte, Prosa, Kurzdramen, Satire, das futuristische Pamphlet „Eine
Ohrfeige dem öffentlichen Geschmack“; ebenfalls vergriffen sind die
handlich-quadratischen Arche-Bändchen, „Vers und Hammer“ und Majakowskis
„Entdeckung Amerikas“. Wie es sich für jeden anständigen Reisebericht aus
den USA der 20er Jahre gehört, geht es darin auch um die Prohibition:
„Whisky wird überall verkauft. So werden unter dem Aspekt des Dollars auch
die subtilsten Züge des amerikanischen Lebens verändert.“
Unter dem Aspekt des Dollars seit dem Ende der UdSSR hat sich auch die
Rezeption der russischen Avantgarde verändert, zu deren bekanntesten
Dichtern Majakowski zählt. Archive stehen nun offen und geben neuen
Aufschluß – wie lange ist allerdings die Frage. Bestände nämlich werden in
alle Himmelsrichtungen verhökert und werden so bald aufs neue unzugänglich
sein. Die Avantgarde der 20er Jahre hat derweil Hochkonjunktur; das bezeugt
die letztjährige Ausstellung in Frankfurt, „Die große Utopie“ ebenso wie
Interviews mit bislang vergessenen Persönlichkeiten wie der Geliebten
Majakowskis, Tatjana Liberman, in „Vanity Fair“. Kamerateams pilgern zu
Vera Laurier, einer seit den 20er Jahren in Berlin lebenden Exilrussin und
Dichterin, Nina Berberovas Romane sind Bestseller in Frankreich, und auch
der Lyriker Ossip Mandelštam wird verlegt.
Majakowski ist der sperrigste unter den russischen Poeten der 20er Jahre.
Im öffentlichen Bewußtsein gilt er weithin als Sprachrohr der Partei;
Gedichte mit so programmatischen Titeln wie „Linker Marsch“ – von Hanns
Eisler vertont – und „Ode an die Revolution“ sind parteilich, politisch:
„Genug vom Gesetz aus Adams Zeiten./ Gaul Geschichte, du hinkst.../ Wolln
die Schindmähre zu Schanden reiten./ Links! Links! Links!“ Kunst sollte bei
der Erneuerung des gesellschaftlichen Lebens keine kulinarische Zutat sein,
sondern Produktivkraft. Die Sprengung ästhetischer Normen durch neue
künstlerische Formen sollte Zündfunke für eine totale Befreiung aus
sinnentleerten Konventionen sein. Das Stakkato mündlich vor einem
Arbeiterpublikum vorgetragener Zeilen war zweifellos zeitgemäß, Dichtung
wurde zur Aktion für die Massen. Als Inhalt interessierte nicht mehr die
bourgeoise Langeweile der „Drei Schwestern“, sondern die Lebenswirklichkeit
der neuen, klassenlosen Gesellschaft. Alles Traditionelle sollte
hinweggefegt werden – gegenüber dem Westen war Rußland unglaublich
rückständig. Ein ferner Zauber schien die Lichterstadt Paris, in die es
auch Majakowski immer wieder zog: „Jawohl, in Paris möcht ich leben und
sterben,/ gäbs nicht auf Erden, Moskau, dich!“ Schon mit zwölf Jahren nahm
Majakowski an revolutionären Versammlungen teil, war aktiver Propagandist,
wurde mehrmals verhaftet. Die Sprache sah er als seine „Waffengattung“ im
Dienste der Revolution, und die Popularität seiner Verse wuchs. „Alles für
jeden in Mosselprom-Läden!“ Der staatliche Lebensmittel-Trust ist eben
einer Gedichtzeile durchaus würdig – heutige Werbespots und ästhetisch
aufbereitete Reklame-Clips haben, als Massenkunst betrachtet, darin ihren
Vorläufer.
Um menschliches Maß und ironische Kritik des poetischen Engagements von
Majakowski zu erkennen, muß man die Zwischentöne vernehmen. Die „Verse vom
Sowjetpaß“: „Mit Wolfszähnen wollt ich den Amtsschimmel fassen,/ ich spot…
jedes gestempelten Scheins./ Jedes Schriftstück möcht ich allen Teufeln
überlassen.“ Das Gedicht „Erzählung des Gießers Iwan Kosyrew vom Einzug …
die neue Wohnung“: „Fühl unter den Sohlen statt schlüpfriger Bohlen/ die
samtene, sanfte, die Korkfasermatte./ Dann wirst du deiner im Spiegel
ansichtig/ und fährst in saubere Hemd mit Bedacht./ Ich tus und denke bei
mir. ,Sehr richtig/ ist diese unsere Sowjetmacht.‘“ Als diese Verse 1929
entstanden, hatten Bürokratie und ökonomische Neuordnung allerdings bereits
um sich gegriffen, denn schon 1922, mit Einführung der „Neuen Ökonomischen
Politik“, wurden in der Sowjetunion Schritte zur Kanalisierung der Kunst
unternommen. Die Schriftstellervereinigung LEF, die „Linke Front der
Kunst“, in der formale Experimente mit politischen Stellungnahmen verbunden
wurden und der auch Majakowski angehörte, wurde aufgelöst, als die RAPP,
die „Russische Assoziation proletarischer Schriftsteller“, um 1930 eine
Vormachtstellung erlangte. Die RAPP vertrat eine Position, die den
Vorstellungen des späteren Sozialistischen Realismus schon sehr nahe kam:
glückliche Arbeiter und pausbäckige Bäuerinnen posieren für den
unaufhaltsamen Aufstieg ihres sozialistischen Vaterlands. Majakowski aber
schrieb bereits gegen den Stalinismus an. Ehrenburg hat über Majakowski
gesagt, er habe „ganz einfach eingesehen, daß die Technik den Menschen
beißen wird, falls man ihr keinen humanistischen Maulkorb anlegt.“ Längst
klingt aus Majakowskis hymnischem Gesang auf den ersten Fünfjahrplan und
auf die Rote Armee Skepsis.
Am 14. April 1930 nimmt er sich per Revolverschuß das Leben und kommt damit
den Säuberungsaktionen der 30er Jahre zuvor, denen Ossip Mandelštam und
Isaak Babel zum Opfer fielen. „Doch ich bezwang mich, trat bebenden Hauchs/
dem eigenen Lied auf die Kehle“, schrieb Majakowski 1930, dem die Sprache
nun immer weiter eingeengt wurde.
Dem Kommunismus war jeder humanistische Funke ausgelöscht worden.
Majakowski wurde zwar schon bald nach seinem Tod in der UdSSR hochgelobt;
deutlich kritische Werke wie „Die Wanze“ (1928) und „Das Schwitzbad“ (1…
wurden aber unter Verschluß gehalten. Spekulationen über das Motiv seines
Freitods gibt es zuhauf – Majakowski setzte vielleicht, um hier eine zu
ergänzen, seinem Leben ein Ende, weil er mit der Vereinnahmung der
revolutionären Ideale durch die staatliche Macht das eigene Herzland
untergehen sah. Ab 1932 lagen die Publikationsmöglichkeiten für Autoren in
der Hand der zentralen Organisation, die der Staatsmacht direkt unterstellt
war. Die Unabhängigkeit literarischer Entwicklungen war damit endgültig
beendet. Um mit Majakowski zu sprechen, jubileiert nicht: „Ich gäb der
Revolution dieselben Namen,/ wie den Gebliebten man sie gibt am ersten
Tag!/ Nur, sind denn jetzt am Platze solche Worte?/ Nur, sind die Zeiten
jetzt ruhig geworden?“ Unda Hörner
17 Jul 1993
## AUTOREN
unda hörner
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