# taz.de -- „Auf den Mond, den Mond, der ist unbewohnt!“ | |
> ■ Rund 18.000 friedliche TeilnehmerInnen bei der „ultimativ letzten | |
> Anti-Olympia-Demo“ / Zehn Festnahmen | |
„Olympia en la luna; the Olympics on the moon; les jeux olympiques dans le | |
lune; aber niemals, niemals, niemals wieder in Berlin!“ Stunden später noch | |
blieb der selbstgetextete NOlympic-Reggae einer Band aus der besetzten | |
Kastanienallee den DemonstrationsteilnehmerInnen im Ohr. Vorausgegangen war | |
ein bunte, vielfältige und friedliche Demonstration gegen Olympia 2000 in | |
Berlin. An dem Zug vom Roten Rathaus zum Senefelder Platz in Prenzlauer | |
Berg beteiligten sich nach Angaben der VeranstalterInnen zeitweise bis zu | |
18.000 Menschen – mehr noch als bei der letzten Großdemonstration im April | |
diesen Jahres. Aufgerufen hatten zahlreiche Gruppen, unter anderem Bündnis | |
90/Die Grünen, die PDS und das Neue Forum. Die Polizei hatte 3.000 Beamte | |
im Einsatz. | |
Als „kraftvolles Zeichen in der Öffentlichkeit“ bewerteten die | |
VeranstalterInnen die Demonstration. Das zähle mehr als „all die | |
manipulierten Meinungsumfragen der letzten Monate“ und zeige, daß in Berlin | |
„trotz aller Kriminalisierungsversuche ein breites Bündnis gegen Olympia“ | |
existiere. | |
Der Auftritt des „Ersten Berliner Bäcker-Chores“ machte den Auftakt der | |
Demonstration vor dem mit Wasserwerfern und Sperrgittern abgeriegelten | |
Roten Rathaus. „Man kann Olympia nicht essen!“ ist die Message, doch, ach, | |
die Brezel wird geschlachtet, und Kekse kommen heraus. Entsetzt rufen die | |
Bäcker: „Man kann Olympia doch essen!“, und werfen die Kekse in die Menge … | |
nur elender Salzteig – „aber es schmeckt nicht!“ Tosender Beifall, und der | |
„Bäcker-Chor“ machte sich mit dem „Häuser- und Bauwagenlautsprecher“ … | |
den Weg an die Spitze des Zuges. | |
Olympia 2000 in Berlin, das ist Mietsteigerung, Kiezzerstörung, | |
Häuserspekulation, Geschäftemacherei, Ausbeutung, Rassismus, faschistische | |
Vergangenheit und überhaupt noch viel schlimmer, weil alles zusammen. | |
„Olympia – ungeheuer! Erstens Scheiße, zweitens teuer!“ All das steckt in | |
einem kleinen gelben Bärchen. Gelb ist die dominierende Farbe, mal guckt er | |
grimmig, der Bär, mal hat er blutende Wunden, mal hängt er am Galgen. Bei | |
aller Militanz, die die OlympiagegnerInnen in den letzten Monaten an den | |
Tag gelegt haben, um die Herren vom Internationalen Olympischen Komitee zu | |
überzeugen, daß sie in Berlin keine ruhige Stunde haben würden, dominierten | |
am Samstag radikale witzige Einfälle. Da marschierte eine Tunte im | |
Haushaltskittel mit einem Besen und dem Schild „Hausfrauen gegen Olympia“. | |
Da verlangte eine Arbeitslosen- und Sozialhilfe-Initiative „Weg mit Olympia | |
– Her mit der Kohle!“. Da lobte eine ältere Kiezbewohnerin aus Prenzelberg | |
den Papst: „Der hat jesacht, er is' für Peking – seitdem find' ick den Mann | |
jut!“ Und immer wieder gab es Sprechchöre: „No, No, No Olympic- City!“ D… | |
Zug führte nach der weitläufigen Innenstadt durch die engen Straßen des | |
Kiez bis nach Prenzlauer Berg, vorbei am Plattenbau wie an besetzten | |
Häusern. | |
Auch bei der Abschlußkundgebung am Senefelder Platz setzte sich die | |
heiter-radikale Stimmung fort. Zu den Klängen olympischer Geigen aus den | |
Lautsprechern verbrannten schwarz vermummte Gestalten auf dem Dach eines | |
besetzten Hauses, dem olympischen Fackelträger gleich, ein riesiges Plakat | |
mit Reichsadler und olympischen Ringen und entrollen sodann unter | |
rauschendem Beifall ein anderes: „UnsA Berlin 2000“. Einem riesigen | |
Olympia-Bären wurde unter „Hau ruck!“-Rufen der Frauen und gelegentlichem | |
„Aua, aua“-Gejammer der Männer der überdimensionale Phallus abgesägt, | |
danach fiel auch dieser Pappmaché-Teddy den Flammen zum Opfer. | |
Die Polizei, die an einigen Stellen des Zuges sehr eng Spalier gelaufen | |
war, hatte bereits bei Vorkontrollen zehn Personen festgenommen. Bis auf | |
einige Farbbeutel gegen das mit Gittern, Wasserwerfern und Räumfahrzeugen | |
zur Festung ausgebaute Gebäude der Olympia GmbH gab es aber keinerlei | |
gewaltsame Aktionen, lediglich aus den Lautsprecherwagen wurde nochmals | |
stolz die bisherige Anschlags-Chronik verlesen. | |
Nur dem besonnenen Verhalten der DemonstrantInnen sei es zu verdanken, daß | |
es zu keiner Eskalation gekommen sei, erklärten die VeranstalterInnen unter | |
Hinweis auf die starke Präsenz der Polizei. „Olympia – und tschüß!“ wa… | |
Motto. Euphorischer Abgesang auf ein totgehofftes Spektakel – aber | |
friedlich. „Man muß ja auch nicht noch mal nachtreten“, meinte pietätvoll | |
ein Teilnehmer. | |
Der Ehrenpräsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK), Willi Daume, | |
warf Berlin Fehler bei der Bewerbung vor, kritisierte die Zusammensetzung | |
der Delegation und bezeichnete Sydney als Favorit. Der Regierende | |
Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) schreibt Proteste einer „kleinen | |
Minderheit von kommunistischen Nostalgikern“ zu. Er sieht weiterhin gute | |
Chancen, daß die deutsche Hauptstadt den Zuschlag erhält. Berlin sei nicht | |
Favorit, aber es bestehe Aussicht, die Konkurrenten auf der Zielgeraden des | |
Entscheidungsprozesses noch zu überholen, sagte Diepgen. „Für Berlin geht | |
die Welt aber auch nicht unter, wenn es nicht Austragungsort der Spiele | |
sein wird.“ Bernd Pickert | |
20 Sep 1993 | |
## AUTOREN | |
bernd pickert | |
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