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# taz.de -- taz.lab-Interview mit Kaminer: Putin hat keine Idee
> Russen sind ganz normale Menschen und was nach Putin kommen wird, ist
> noch viel schlimmer. Ein Gespräch mit dem Schriftsteller Wladimir
> Kaminer.
Bild: Wladimir Kaminer: „Niemand will mit diesem kleinen dreckigen Teich Russ…
## taz: Herr Kaminer, Sie sind wohl der bekannteste Russe in Deutschland.
Spüren Sie den Lasten der Verantwortung, den Deutschen den Russen zu
erklären?
Wladimir Kaminer: Dieser Aufgabe bin mir ich bewusst, und sie wird immer
schwieriger und wichtiger. Dafür bekomme ich jede Menge Ärger und Häme.
Aber gut: besser ich erkläre das als diese bezahlten Lügner von den
russischen Staatsmedien.
## Und, wie sind sie nun die Russen?
Mit dem Fall des Sozialismus haben die Russen bestimmte Erwartungen
verknüpft – Wohlstand, Fortschritt, ein Platz in der ersten Reihe, neben
China und Amerika. Stattdessen mussten sie wie im Arbeitsamt eine Nummer
ziehen – und bekamen die Nummer 138 irgendwo hinter Brasilien und der
Türkei. Es folgte ein wahrer Nervenzusammenbruch. Durch das unfähige
politische Personal bekam die Sache ein unangenehmes Eigenleben.
## Versteht man denn die Russen in Deutschland?
Russen und Deutsche reden aneinander vorbei. Ein Beispiel: die Sendung von
Jauch nach dem Tod von Boris Nemzow. Auf einer Seite - seine Tochter, ein
junges Mädel im tiefsten Trauer. Und daneben?
Deutsche Politiker und Finanzexperten, die sich ihr Leid aufmerksam anhören
und dann fragen: „Was heißt das nun für die deutsche Wirtschaft?“ Es fehlt
die Bereitschaft, sich mit der inneren Situation in Russland
auseinanderzusetzen. Deutsche Politik und Wirtschaft sehen Russland oft nur
als Handelspartner. Dahinter verbergen sich aber Millionen von menschlichen
Tragödien.
## Haben Sie vor, in die Politik zu gehen? Berliner Bürgermeister wollten
Sie ja schon mal werden.
Im heutigen politischen System gibt es kaum Chancen, tatsächlich auf die
Situation einzuwirken. Parteien denken nur an Eigenwerbung. So wie die
Linken: Abgeordnete der Bundestagsfraktion reisen in die Ukraine und posen
mit russischen Aufständischen in Donezk.
Was sollen sie da überhaupt? Das ist doch nicht die Linke, wie sie Europa
sie braucht. Das sind eher so die Stasi-Linke, die man hier verabscheut.
Die Partei hat viel getan, um sich von ihrer Stasi-Vergangenheit zu
distanzieren – und nun sowas.
## Braucht Russland einen Diktator, eine starke Hand?
Die Idee der Volksstimme? Die ist sehr umstritten. Das gehört zur Strategie
von KGB und Putin – bezahlte Demonstranten auf die Straße zu schicken, die
genau das Gegenteil behaupten, was die liberale Opposition fordert. Wer
gegen die verkleidete Armee gegen die Meinungsfreiheit protestiert, hat
dann sofort etwas Beleidigtes an sich.
## Warum gibt es denn in Russland so wenig Protest? In Deutschland wurde
man nach paar Stunden ohne warmes Wasser auf die Straßen gehen. In Russland
dreht man es regelmäßig ab – und niemand protestiert.
In Deutschland wird erwartet, dass alles von oben geregelt wird. In
Russland traut man dem Staat längst nicht mehr. Man löst seine Probleme, so
gut es eben geht, alleine. Man klaut: Wasser, Strom, Ziegelsteine von
Baustellen. Der Staat wird verarscht und man kommt trotzdem auf seine
Kosten. Es ist wie damals in der Sowjetunion, eine korrupte
Bedien-Dich-Selbst-Gesellschaft.
## Was kann man denn von hier aus etwas dagegen unternehmen?
Sehr viel! Die vielen russischen Studenten, die nach Deutschland kommen,
aufklären. Irgendwann kehren zurück nach Russland, spielen da eine wichtige
Rolle und wissen: es kann auch anders gehen.
## Klärt man die russischen Studenten auf, bleiben alle in Deutschland.
Was sollten sie hier suchen?
## Eine bessere wirtschaftliche Situation, Meinungsfreiheit,
Zukunftschancen, soziale Sicherheit.
Aber wenn sie zurückkommen, werden sie doch da viel wichtiger sein, als
hier in Deutschland.
## Wer wil schon ein großer Fisch im kleinen, dreckigen Teich namens
Russland sein?
Niemand will mit diesem kleinen dreckigen Teich Russland Kriege führen.
Aber wie geht man mit einem Land voller Verbrecher um? Du kannst doch nicht
das ganze Land in den Knast stecken. Wir müssen hier in Deutschland ständig
und immer wieder aufklären, dass Russen ganz normale Menschen sind.
## Und die Ukrainer...
...die stehen ja auch unter dem Druck der russischen Propaganda. Sie sind
dazu gezwungen, sich ständig erklären zu müssen: dass sie kein
faschistischer Staat und keine Nationalisten sind. Dabei ist die Ukraine
nur eins ein Volk, dass in einem europäischen Land leben will.
## Wie konnte es denn zu einem Krieg zwischen Russland und der Ukraine
kommen?
Eins vorab: das ist kein Krieg zwischen zwei Ländern, Es handelt sich um
einen Überfall der russischen Regierung auf ein Nachbarland. Alleine
verantwortlich ist Präsident Putin, der nie gewählt wurde und über
unbeschränkte Macht verfügt. Tagtäglich wird ihm von allen Seiten
nachgesagt, er sei der mächtigste Mensch der Welt. Forbes und Times
bewerfen ihn mir Titel „Mann des Jahres“, seine Freunde in der russischen
Elite sowieso.
Er will in diese alte Welt zurück, wo große Imperien immer noch die
Weltbereiche wie einen Kuchen unter sich aufteilten – wie damals Stalin,
Roosevelt und Churchill. Am liebsten so: Hast Du ein Stift? Schau mal –
hier meins, da deins! In diese Welt will er zurück. Er will es allen
beweisen: Hallo, Forbes, bin ich immer noch der mächtigste Mann der Welt?
## Und mit der Idee kommt er gut voran...
Er hat keine Idee – es ist nur ein Gefühl! Gefühle sind stärker als Ideen.
Gefühle machen Menschen oftmals handlungsunfähig. Aus einem Gefühl heraus
kann man sehr schnell viel mehr Scheiße bauen, als wenn man einer Idee
folgt!
## Diese Gefühl wird von vielen Menschen in Russland mitgetragen.
Abwählen geht ja nicht, einen anderen gibt es nicht. Aber auch sonst ist
dieses Gefühl den Russen nicht fremd. Alle denken: das kann doch nicht
sein, dass so ein großes Land, mit Unmengen an begabten Menschen so eine
unglaubliche Niete ist. Und Putin ist der, der sagt: „Wir hier sind die
Avantgarde der Menschheit, die Retter der Welt.“ Und eins ist ganz wichtig:
Menschen sind keine Tiere, die leben nicht nur vom Essen. Autos und Gefühle
sind eben auch wichtig!
## Haben Sie einen Rat für die deutsche Regierung?
Ich würde mit dem Mann reden, auch wenn es sehr schwierig ist. Er will ja
Europa und Amerika auseinander bringen. Und genau das muss Frau Merkel ihm
vorspielen, einfach mal sagen: „Wladimir, diese Amerikaner, diese
Hinterwelter, diese Insulaner! Aber wir beide, ich und du, wir kommen doch
beide aus dem Sozialismus! Vergiss alle Papiere, wir regeln das per
Handschlag.“
So will er das. So versteht er das. Und gleichzeitig müssen die Sanktionen
verschärft werden. Der Mann ist ja schon über 60. Was würden Sie an seiner
Stelle wollen: sterben wie ein Sklave, von allen angepisst oder mit einem
großen Abgang?
## Bleibt uns also nur zu warten, bis er stirbt.
Nein. Die drehen da gerade komplett durch! Haben Sie etwa nicht verstanden,
was es wirklich mit dem Mord an Nemzow auf sich hat? Das ist doch eine
Herausforderung für Putin. Es war kein Mord für Putin, sondern ein Signal
an ihn: Du bist zu schwach geworden, nicht radikal genug, zu liberal. Es
entsteht gerade eine gefährliche Spirale. Bald kommt ein jüngerer,
stärkerer und radikalerer.
Er wird behaupten, er müsse Putin ersetzen. Nur so könne Russland seine
Einheit behalten. Hinter diesem Neuen, Jüngeren und Stärkeren, steht
wiederum ein anderer - noch radikaler, noch stärker, und so weiter. Dann
haben wir eine Killer-Schlange.
## Eine russische Matroschka, bei der jede weitere Puppe noch radikaler und
gewaltiger ist, als die, die in der sie steckte.
Genau so!
Das Gespräch führte DMITRY SHIGAEV. Mitarbeit: Andreas Rüttenauer
24 Apr 2015
## AUTOREN
Dmitry Shigaev
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