# taz.de -- Der Muff von 351 weißen Jahren | |
> In Kapstadt nahm gestern Südafrikas Allparteien-Übergangsrat seine Arbeit | |
> auf und beendete damit formell die weiße Alleinherrschaft / Der Rat soll | |
> Wahlen im April vorbereiten ■ Aus Kapstadt Willi Germund | |
Der schwarze Südafrikaner Cyril Ramaphosa, Generalsekretär des | |
„Afrikanischen Nationalkongresses“ (ANC), fühlte sich offenbar äußerst | |
wohl. Gerade hatte er auf dem graublauen Sessel Platz genommen, wo einst | |
ein Verfechter der Apartheid bequem gesessen haben mag. Im Gebäude des | |
President's Council, einem ehemaligen Kapstädter Theater, wurde gestern | |
morgen die Uraufführung der südafrikanischen Zukunft gegeben: Der | |
„Transitional Executive Council“ (TEC), auf deutsch Übergangsrat, der | |
Südafrika bis zu seinen ersten allgemeinen Wahlen am 27. April verwalten | |
soll, nahm seine Geschäfte auf. Ramaphosa: „Das ist der Anfang vom Ende der | |
weißen Minderheitsherrschaft.“ | |
Zum ersten Mal in der Geschichte Südafrikas erhielten Vertreter der | |
schwarzen Bevölkerungsmehrheit formell ein Mitspracherecht in der Regierung | |
ihres Landes. Wenige Schritte vom Town House, dem Sitz des Präsidenten, und | |
vom südafrikanischen Minderheitsparlament entfernt, saßen sie zum ersten | |
Mal im Zentrum der Macht, hinter den Eisentoren des Regierungsviertels von | |
Südafrikas „Sommerhauptstadt“ Kapstadt. | |
Wenn es nach Staatspräsident Frederik Willem de Klerk geht, besitzt der | |
Übergangsrat nur beratende Funktion. Er soll das „Spielfeld für die Wahlen | |
ebnen“, wie Verfassungsminister Roelf Meyer vor der Eröffnung noch einmal | |
beharrte. „De jure hat der TEC nur beratende Funktion, de facto handelt es | |
sich um eine Übergangsregierung, denn de Klerk kann nun schwer allein oder | |
gegen den TEC entscheiden“, sagt dagegen Koebus Jordaan. Er ist | |
Abgeordneter der liberalen Oppositionsgruppierung Demokratische Partei im | |
Dreikammerparlament. Jordaans Büro liegt im vierten Stock des Parlaments | |
neben den Gärten, die im 16. und 17. Jahrhundert den holländischen | |
Seefahrern, die als erste das Kap der Guten Hoffnung umrundeten, als | |
Gemüsebeete dienten. | |
Beim Blick auf die Vergangenheit sieht der Abgeordnete aus der Provinz | |
Natal der südafrikanischen Zukunft gelassen entgegen. In den 60er Jahren | |
noch Missionar, diente er dem Apartheid-Regime später als Beamter im | |
Ministerium für Verfassungsangelegenheiten. „Ich wollte das System von | |
innen ändern“, sagt er heute. Doch 1988 wurde ihm auf Initiative des | |
heutigen Chefreformers der Regierung, Roelf Meyer, und des damaligen | |
Geheimdienstchefs Neil Barnard die security clearance entzogen, der | |
Sicherheitsnachweis, sozusagen die amtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung | |
des Apartheid-Regimes. Der Grund: Koebus Jordaan hatte in einer Studie | |
genau den Reformkurs empfohlen, den de Klerks Regierung inzwischen | |
vollzieht. | |
Jordaan: „Ich mache mir keine Sorgen um die Zukunft.“ Aber einen Teil | |
seiner Kollegen, die in der noch regierenden Nationalen Partei geblieben | |
sind, plagt die Existenzangst. „89er“ werden jene genannt, die damals | |
inmitten erster Reformhoffnungen frisch ins Apartheid-Parlament gewählt | |
wurden. Nun müssen sie damit rechnen, nicht nur im kommenden April nicht | |
wiedergewählt zu werden, sondern auch kein Anrecht mehr auf lukrative | |
Pensionen zu haben. | |
Und was wird mit dem überlebensgroßen Denkmal des Buren- Generals Luis | |
Botha („Bure, Kriegsmann, Staatsmann“ lautet die Inschrift) vor dem Eingang | |
zum Parlament geschehen? Auch das Innere des in dunkelbraunes Holz | |
gekleideten Parlaments gleicht der Geriatrie des Apartheid-Regimes: Die | |
Wände hängen voller Ölgemälde mit ernst dreinblickenden weißen Führern | |
unter schulterlangen wallenden weißen Perücken. Aus einer Ecke starrt der | |
britische Kolonialherr Cecil Rhodes, der im späten 19. Jahrhundert die | |
britische Herrschaft im südlichen Afrika beträchtlich ausweitete und | |
schließlich in Ungnade fiel, strengen Blicks der Nachwelt hinterher. Die | |
noch geltende südafrikanische Fahne, 1928 erstmals gehißt, kündet hinter | |
Glas und eingerahmt von Geschichte. Weiße Boten in undefinierbaren | |
Altersstadien jenseits der 60 schlurfen über knarrende Holzflure. | |
„Wir haben gegen den alten Gestank angelüftet“, schwärmte jedoch Ramaphosa | |
gestern unter Kristalleuchtern und rosaweißem Deckenanstrich im ehemaligen | |
President's Council. Aber der Muff von 351 Jahren weißer Vorherrschaft | |
bleibt unverkennbar. Nicht zuletzt wegen eines wandgroßen Gemäldes, das an | |
einem Nebeneingang das Kabinett des Altpräsidenten und hartnäckigen | |
Apartheid-Verfechters P. W. Botha verewigt. Stehend blickt ihm voller | |
Verehrung sein Nachfolger Frederik W. de Klerk entgegen. | |
P. W. Botha hatte als erster südafrikanischer Präsident die Notwendigkeit | |
von Reformen betont – und war schließlich weit hinter allen Hoffnungen auf | |
ein Ende der Apartheid zurückgeblieben. Es blieb dem 1989 nachgefolgten de | |
Klerk, im Parlament als „Tricky Freddie“ bekannt, überlassen, nicht nur | |
seinen politischen Ziehvater zu entmachten, sondern auch das Ende der | |
formalisierten Rassendiskriminierung einzuleiten. | |
(Kommentar Seite 10) | |
8 Dec 1993 | |
## AUTOREN | |
willi germund | |
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