# taz.de -- Kraftmeierei als Vorbild | |
> ■ Gespräch mit Günter Netzer (48), Symbol für schönen Fußball, der a… | |
> Manager einer Werbeagentur die Fußball-Nationalmannschaft auf der | |
> Amerikareise begleitet | |
taz: Herr Netzer, wie hat Ihnen beispielsweise das Spiel gegen Argentinien | |
gefallen? | |
Günter Netzer: Überhaupt nicht. Alles hat gefehlt, was ein gutes Spiel | |
ausmacht. Dieser Fußball hat keine Seele, keine Kultur, keinen | |
Unterhaltungswert. Was die deutsche Mannschaft gezeigt hat, waren Kampf, | |
Wille, Athletik. Das sind die deutschen Tugenden, von denen die DFB-Elf | |
lebt, aber die machen nicht die Schönheit des Fußballs aus. Das ist | |
Fußballarbeiten. | |
Dürfen wir noch hoffen? | |
Bis zur WM im nächsten Jahr wird es keine Änderung mehr geben. Der Kader | |
steht und damit auch der Fußballertypus. Konform wie sein Privatleben. Der | |
letzte Hoffnungsschimmer war Uwe Bein, der für eine neue Spielkultur | |
wichtig gewesen wäre. Aber er hat sich selbst zu Fall gebracht. Berti Vogts | |
hat ihm alle Freiheiten gegeben, er hat sie nicht genutzt. Diese Position | |
hätte er sich auch verbal erkämpfen müssen, aber mit seiner | |
Introvertiertheit steht sich Bein selbst im Weg. | |
Sie machen Vogts nicht fürs Fußballarbeiten verantwortlich? | |
Nein. Warum hat er sich denn so um Bein bemüht? Wenn ich zum Beispiel ein | |
Spiel wie gegen Argentinien sehe, tut es mir um Berti leid. Vom | |
Fußballverstand her betrachtet, gibt es nämlich nichts Besseres als ihn. | |
Doch er muß mit denen arbeiten, die er vorfindet, und das sind alles | |
Produkte der Bundesliga. Dort hat die Kraftmeierei Vorbildcharakter. Uns | |
sind spielerische Fähigkeiten noch nicht abgewöhnt worden. Heute kriegen | |
die Jungs eingetrichtert: Du bist zu langsam, du hast zu wenig Muskeln. | |
Sehen Sie außer Bein noch einen Spielmacher in Deutschland? | |
Nein, dieser Typus ist ausgestorben beziehungsweise man hat ihn aussterben | |
lassen, weil die Trainer nicht den Mumm gehabt haben, solche Spieler | |
heranzuziehen. Dem Erfolg wird alle Kreativität untergeordnet. Und dabei | |
wären ihre Chancen mindestens so groß wie zu meiner Zeit. Was will denn der | |
Zuschauer? Er will das Besondere, das Überraschende, nicht das, was er zu | |
Hause oder im Büro hat. Es müßte wieder dringend jemand kommen, der ein | |
Gesicht hat, der geliebt wird. | |
Kann es sein, daß Sie gut reden haben, weil sie einen Hacki Wimmer hatten, | |
der für Sie gelaufen ist? | |
Ich habe Hacki von Anfang an gesagt: Du kannst das eine und ich das andere. | |
Ich bin faul und kann meine Kraft nicht vergeuden, du kannst drei Tage lang | |
rennen. Hacki war für das Spiel der Mannschaft elementar wichtig, aber | |
richtig war auch, daß ich Dinge gemacht habe, die er nie hingekriegt hätte. | |
Hacki war Alltag, ich war der Festtag. | |
Sie hatten auch das Glück, daß Deutschland zu ihrer Zeit im Aufbruch war. | |
Ich war nie ein Rebell um der Rebellion willen. Auch mir ist nichts | |
geschenkt worden. Ich habe mich mit Hennes Weisweiler sachlich | |
auseinandergesetzt, weil er manchmal nicht verstanden hat, wie man gut | |
Fußball spielt. Ich habe für meine Idealvorstellung eben gekämpft. In der | |
Nationalmannschaft habe ich das auch getan, worauf mir Overath und | |
Beckenbauer immer gesagt haben, ich soll ruhiger werden. Diese Bereitschaft | |
zu kämpfen, anzuecken, gibt es heute kaum mehr, der Widerspruch ist heute | |
nicht mehr gefragt. Das ist tatsächlich ein Zeichen einer anderen Zeit. | |
Hätten Sie heute eigentlich noch eine Chance als Spielmacher? | |
Ich weiß, daß das gern in Abrede gestellt wird. Wolfgang Overath wird auch | |
immer ganz wild, wenn er das hört. Wir sind doch im Mittelfeld nicht | |
spazierengegangen. Wir haben Sonderbewacher gehabt, denen der Trainer | |
befohlen hatte, uns bis ins Klo zu verfolgen. Hat ein Mittelfeldspieler | |
heute einen Sonderbewacher? Ich kann nur sagen: Wir haben uns damals | |
durchgesetzt, wir würden uns auch heute durchsetzen. | |
Bernd Schuster für Deutschland? | |
Ich hätte mir gewünscht, daß Schuster auf dieser Tournee ausprobiert worden | |
wäre. Er ist nach wie vor ein hervorragender Spieler und könnte die | |
Qualität des Spiels entscheidend verbessern, wenn er von der Mannschaft | |
aufgenommen würde. | |
Würden Sie sich eigentlich als politischen Kopf bezeichnen? | |
Nein, da ist viel hineininterpretiert worden. Die langen Haare habe ich nur | |
gehabt, weil meine damalige Freundin Hannelore Girrulat meinte, daß ich mit | |
kurzen Haaren bescheuert aussehen würde. Interview: | |
Josef-Otto Freudenreich | |
21 Dec 1993 | |
## AUTOREN | |
josef-otto freudenreich | |
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