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# taz.de -- Lann Hornscheidt im taz.lab-Interview: Schluss mit der Zweigeschlec…
> Sprachveränderungen können gesellschaftlichen Wandel ankurbeln, doch die
> Widerstände sind erheblich, erklärt Profx Lann Hornscheidt.
Bild: Aktivismus gegen normative Geschlechterzuschreibungen - die Motive des Bl…
taz: Lann Hornscheidt, wie erklären Sie sich die starke Abwehrhaltung gegen
Ihren Vorschlag, geschlechtsbestimmende Pronomen durch ein x zu ersetzen?
Lann Hornscheidt: Weil Zweigeschlechtlichkeit infrage zu stellen eine hohe
Irritation für viele ist. Das stellt eine große Wertvorstellung stark
infrage. Viele Menschen haben offenbar kaum gelernt, mit Irritationen
selbstkritisch und konstruktiv umzugehen. Sie lehnen sie stattdessen ab.
Besonders, wenn sie im Inneren sind und nicht woanders.
Zweitens gibt es eine allgemeine Tendenz, in der geschützten Anonymität des
Internets andere zu bashen. Besonders wenn es um kritische Inhalte geht.
Und weil ich eine Professur habe. Die x-Form habe ich ja nicht erfunden,
sie ist schon lange im Umlauf.
Solange sich so etwas nur in kleinen Gruppen befindet, interessiert sich
die Allgemeinheit nicht dafür. Wenn aber eine Person, die für die
Wissenschaft an der Universität steht, so etwas sagt, müssen Menschen
darüber nachdenken, was Wissenschaft 'darf'.
Warum fühlen sich Leute wenn es um Geschlecht geht schneller angegriffen
als bei anderen gesellschaftlichen Themen?
Ich sehe gerade eher eine Ähnlichkeit, wie sehr sie sich bei
Geschlechterthemen aufregen und wie stark bei Politik zu Geflüchteten. Der
Aufregfaktor ist besonders hoch bei Sachen, wo Menschen sich mit ihren
eigenen Privilegien auseinandersetzen müssen. Da spielen Rassismus und
Sexismus eine extrem große Rolle.
Sehen Sie auch bei der Debatte um Sprache im Geschlechterkontext
Überschneidungen mit der Debatte um diskriminierungsfreiere Sprache im
Migrationskontext?
Es gibt da sehr starke Überschneidungen. Bei beidem geht es um strukturelle
Diskriminierungen. Es geht darum, dass viele Personen oder Gruppen, die
privilegiert sind, versuchen, ihre Machtpositionen zu verteidigen.
Viele von diesen Personen haben vielleicht noch nie darüber nachgedacht,
dass sie auch nur eine bestimmte Position einnehmen, weil sie sich in allen
Kinder-und Schulbüchern wiederfinden konnten, in allem sich immer
wiederfinden können.
Wenn das herausgefordert wird, ist das Selbstbild stark im Schwanken. Das
gilt insbesondere für weiße Personen und Männer. Es findet sich aber auch
für Diskriminierung über Behindert werden in dieser Gesellschaft.
Und andere Sachen sind relativ gut vereinnahmbar gewesen. Zum Beispiel,
dass Homosexualität nicht mehr so ein starker Aufregfaktor heute in dieser
Gesellschaft ist – aber auch da gibt es Ausnahmen wie die Debatte zu
Sexualkunde in Baden-Württemberg zeigt.
Das hat aber ja auch lange genug gedauert.
Genau. So ist das mit sozialen Veränderungen. Wenn es nicht wichtig wäre,
oder wenn es überhaupt noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen
wäre, dass es hier – und nicht nur anderswo – wohl ein Problem mit Sexismus
gibt, dann würde da im Moment nicht so massiv gegen gehalten.
Da passiert gerade eine sehr große Veränderung. Und dadurch ist dann auch
die Gegenwehr teilweise so stark. Aber die Veränderungen, die anfangen,
sind nicht mehr zurücknehmbar auf irgendeiner Ebene.
Gerade im Moment kommt die Vorstellung von was Europa ist, was Deutschland
ist, total ins Schwanken. Und das ist eben auch durch die Infragestellung
von Zweigeschlechtlichkeit sehr stark bedroht, weil diese Gesellschaft
darauf basiert, dass es Zweigeschlechtlichkeit auf vielen Ebenen gibt.
Was verbessert sich wirklich dadurch, Sprache diskriminierungsfreier zu
handhaben?
Über sprachliche Veränderungen fangen soziale Veränderungen an. Sie sind
kein schmückendes Beiwerk, sondern darüber können Perspektiven verändert
und neue Konzepte deutlich gemacht werden. Sprachveränderungen sind immer
schon zentral gewesen dafür, soziale Veränderungen anzukurbeln.
Deswegen muss auch der Widerwille dagegen so groß sein. Das wird dann
heruntergespielt, wie dass Sprache keine Rolle spiele, aber gleichzeitig
gibt es ein unglaubliches Aufregen darüber. Wenn es keine Rolle spielen
würde, müsste ich mich auch nicht so darüber aufregen.
Und was ändert sich konkret durch geschlechtsneutrale Sprache?
Ich würde mich nicht weniger auf Geschlecht beziehen, aber differenzierter.
Und genau überlegen, wann und wie Geschlecht eine Rolle spielt. Es sollte
nicht so getan werden, als könnten wir gerade eine geschlechterneutrale
Sprache haben, das würde Sexismus nur verdecken.
Eine geschlechtssensible Sprache kann dabei helfen, dass Menschen, die
diskriminiert sind, das Gefühl haben, sie können das ausdrücken, worüber
sie diskriminiert sind.
Wie viele E-Mails bekomme ich von Leuten, die gesagt haben, sie hätten ihr
Leben lang ein totales Unwohlsein gehabt damit, sich als weiblich oder
männlich sehen zu müssen, das aber noch nicht einmal benennen können. Und
was eröffnen sich für diese Personen jetzt für Möglichkeiten etwas so
einfach mit Hilfe von Sprachhandlungen in Frage stellen zu können und nicht
mehr hinzunehmen.
Neigen die Menschen nicht aber auch dazu, sprachlich eher abzukürzen und zu
vereinfachen?
Das ist ja eines der Standardargumente. Das eine ist, es sei nicht
ästhetisch, das andere, es sei nicht ökonomisch. Leute, die sich 800 Seiten
Historien-Romane durchlesen, sagen ja auch nicht, das könnte ich kürzer
zusammenfassen, was da steht.
Ich drücke mich natürlich so kurz wie möglich aus. Die Idee, wir könnten
Sachen kurz ausdrücken oder wir könnten für alle sprechen führt ja genau zu
den Problematiken, die dann in zwischenmenschlichen Bereichen und auf
politischen Ebenen stattfinden, weil wir uns nicht die Zeit dafür genommen
haben genau zu benennen, worum es eigentlich geht.
Die Diskussionen um das x sind Sie wahrscheinlich schon ein bisschen Leid.
Was wünschen Sie sich im Fokus von Geschlechterdebatten für die nächsten 15
Jahre?
Ich wünsche mir, dass der Fokus von Geschlecht weg hin geht zu sich
überschneidender Diskriminierung. Wenn ich glaube, ich kann Sachen
allgemein sagen, etwa, dass etwas für alle Frauen gilt, dann ist es sehr
wahrscheinlich, dass ich das aus einer privilegierten Position sage – und
so wieder Ausschlüsse produziere.
Ich wünsche mir mehr Differenzierung und stehenlassen von Differenz. Es ist
heute nicht mehr möglich über Geschlecht zu reden und Rassismus nicht
mitzudenken. Es spielt immer zusammen eine Rolle.
Genauso mit Diskriminierung aufgrund von Behinderung oder sozialer Klasse.
Ich will und kann nie forschen, ohne dass ich diese Diskriminierungsformen
alle für mich ständig mit zum Thema mache.
Das Interview führte MARION BERGERMANN
12 Mar 2015
## AUTOREN
Marion Bergermann
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