# taz.de -- Ist taz.de unabhängig?: Versuchung Facebook | |
> Die taz hat mehr Facebook-Follower als Abonnenten. Was heißt es für den | |
> Onlinejournalismus, wenn viele Leser über das soziale Netzwerk zur | |
> Zeitung finden? | |
Bild: Wie viel ist taz.de wert? | |
„Selbstbestimmung wird wohl nicht mehr großgeschrieben. Der Staat regiert | |
jetzt auch schon im Kinderzimmer. Bravo”, schreibt Facebook-User Carsten | |
Hobracht. Ein zynischer Kommentar zu einem der vielen taz-Texte zum Thema | |
Masern-Impfung, die in den vergangenen Tagen erschienen sind. Einer von | |
vielen, in denen Besucher der Facebook-Seite der taz ihrem Ärger über die | |
Berichterstattung der Zeitung Luft machen. So wie auch Birgit Weidmann. | |
„Habt ihr schon mal den Aktienverlauf der Pharmaindustrie seit dieser | |
Kampagne beobachtet? Na? Dämmerts?”, kommentiert sie. | |
Aber nicht nur die Masern-Impfung oder Pegida sorgen hier auf der | |
Facebook-Seite der taz, die die taz wie alle ihre | |
[1][Community-Aktivitäten] liebevoll taz.kommune nennt, für hitzige | |
Debatten. | |
Offline ist vom Kampf der Meinungen wenig zu spüren. Petra Dorn und Kaspar | |
Zucker, die beiden Social-Media-Redakteure sitzen an ihren Schreibtischen | |
im zweiten Stock der taz und moderieren die Gespräche auf Facebook und | |
taz.de. Um sie herum befüllen taz.de-RedakteurInnen die taz-Webpage, zwei | |
Zimmer weiter werden die Auslandsseiten produziert. | |
## Langwierige Diskussionen | |
Petra blickt auf ihre beiden Bildschirme, wo sich die langwierigen | |
Diskussionen ausbreiten. Erst ein andauerndes Kratzen vom Drehen am Rad | |
ihrer Computermaus, dann wieder ein Klicken. Dieser Takt bestimmt den | |
Rhythmus der Social-Media-Redakteurin. Gerade verfolgt sie eine Debatte | |
über den Mord an Boris Nemzow. Wenn das Kratzen verstummt, reagiert Petra. | |
Mal mit einem Schmunzeln, manchmal auch mit einem wütenden Ausruf. | |
Humorvolle Kommentare, ernste Kommentare, wertvolle Hinweise, völlig | |
sinnlose Sätze – all diese Leserreaktionen fliegen über ihren Bildschirm. | |
Nicht nur taz.de, auch Facebook ist immer häufiger Arena für ausufernde | |
Debatten von taz-Texten. Manchmal gehen Meinungsäußerungen auch zu weit. | |
Dann müssen Petra und Kaspar eingreifen und Kommentare löschen. „Es wurde | |
sogar schon zum Mord an einer Person aufgerufen”, sagt Petra. | |
## Mehr Fans als Abonnenten | |
152.000 NutzerInnen haben den „Gefällt mir”-Knopf gedrückt und verfolgen | |
die Posts der taz auf Facebook. Die Printzeitung hat weit weniger | |
Abonnenten. Aus den Texten, die in der taz erscheinen, wählen Petra und | |
Kaspar aus und posten sie auf Facebook. Was sich häufig massiv auf die | |
Klickzahlen dieser Texte auswirkt. Und der Einfluss des sozialen Netzwerks | |
für die taz wächst: Von den taz.de-Besuchern kommen zwischen 12 und 14 | |
Prozent über Facebook. Das sei ein geringerer Anteil als bei anderen | |
News-Seiten, sagt Daniél Kretschmar, Onlinechef der taz. Und doch geht der | |
Trend weg davon, dass die Leser direkt über taz.de oder Suchmaschinen den | |
Weg zu Texten finden. | |
Für die taz wirft das Fragen auf. Macht man sich nicht ein Stück weit | |
abhängig von Facebook? Wenn es in der Zeitung eine Tradition gibt, dann die | |
der publizistischen Unabhängigkeit. Mit der Genossenschaft im Rücken ist | |
die Abhängigkeit von Werbekunden hier weniger groß als bei anderen | |
Printmedien. Die Zeitung versucht, sich weniger davon treiben zu lassen, | |
was den Google-Algorithmen schmeichelt. Wie passt da, dass mehr als jeder | |
zehnte Leser über Facebook zu taz-Texten findet? | |
## Geheimer Algorithmus | |
„Etwa alle eineinhalb bis zwei Stunden folgt ein neuer Post”, sagt Kaspar. | |
Jetzt möchte er einen Artikel über eine transsexuelle Bosnierin, der Asyl | |
in Deutschland verweigert wird, posten. Ein wichtiges Thema, für das die | |
passende Anmoderation auf Facebook gefunden werden muss. Gemeinsam mit | |
Petra und der Autorin tauscht er Ideen aus. Ein Zitat als Überschrift? Oder | |
besser eine sachliche Information? Dann landet der Post auf Facebook. Nach | |
welchen Kriterien Facebook diese Posts dann im Newsfeed taz-Fans anzeigt, | |
ist unklar – denn wie der Facebook-Algorithmus, der das organisiert, genau | |
funktioniert, ist nicht im Detail bekannt. | |
Angeblich 150.000 Kriterien sollen Facebooks Algorithmus beeinflussen. | |
Besonders häufig posten? Bestimmte Wörter verwenden? Es gibt diverse | |
Stellschrauben, an denen auch eine Redaktion drehen könnte, um den | |
Algorithmus zu bezirzen. Wie genau das aussehen könnte, dafür geben die | |
sozialen Netzwerke selbst Seitenbetreibern sogar Tipps. | |
## Brüste und Katzenbabys | |
Eine andere Möglichkeit: Facebook dafür bezahlen, eigene Inhalte zu | |
bevorzugen. Petra und Kaspar geben sich zurückhaltend, wenn es darum geht, | |
sich von Facebook die Regeln diktieren zu lassen. „Das widerspricht völlig | |
unserer Philosophie”, sagt Petra. Ziel ist es, dass jeder Post die Arbeit | |
der taz-Redaktion widerspiegelt. | |
Nackte Brüste und Katzenbabys sind kein Argument für einen Facebook-Post. | |
Genauso wenig wollen die beiden mit boulevardesken Überschriften wie „Das | |
haben Sie ja noch nie gesehen” auf ihre Posts aufmerksam machen. „Auch auf | |
Facebook braucht es richtigen Journalismus”, findet Petra. Sonst klicken | |
die User zwar auf den Link, verlassen die Seite aber enttäuscht. | |
Mitspielen oder auf Klicks verzichten? Facebook ist für Onlineredaktionen | |
ein zweischneidiges Schwert. Auch die taz kommt um Facebook nicht herum. | |
Obwohl es schon immer in Redaktion und Genossenschaft Diskussionen über die | |
taz.kommune auf Facebook gab, wie Kaspar sich erinnert. „Realität ist, dass | |
Leute sich da aufhalten. Da kann man nicht nicht drauf reagieren”, sagt | |
Daniél. Auch die taz muss zwischen ihrer Unabhängigkeit und der Bedeutung | |
von Facebook für die Reichweite verhandeln. | |
JOHANNES LOHMAIER | |
6 Mar 2015 | |
## LINKS | |
[1] /!p4846/ | |
## AUTOREN | |
Johannes Lohmaier | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |