# taz.de -- Ein Symbol kommt auf den Schrotthaufen | |
> ■ Von der Torgauer Elbbrücke sind mittlerweile nur noch Trümmer übrig / | |
> Schneidbrenner zerlegen das Brückengerippe / Künftig soll ein Denkmal an | |
> das Denkmal erinnern | |
Dresden (taz) – Die historische Torgauer Elbbrücke liegt in Trümmern. Nur | |
noch zwei Segmente der filigranen Stahlkonstruktion verbinden die Ufer; | |
Gitter versperren beide Zugänge. Drüben, am Ostufer, auf der Wiese wird | |
emsig gearbeitet. Schneidbrenner zerlegen eilig das verbogene | |
Brückengerippe, Kräne verladen den Schrott auf Laster. Hüben, auf der | |
Terrasse unter Schloß Hartenfels, beobachten die Torgauer, wie das | |
Wahrzeichen ihrer Stadt in der Sommerglut zusammenschmilzt. Es ist ein | |
stummer Abschied von einem Symbol; nur noch selten gibt jemand einen | |
Kommentar zu dem lärmenden Geschehen ab. „Das hätte sich niemand träumen | |
lassen“, grübelt eine jüngere Frau, „daß die Brücke wegkommt. Die ist d… | |
ein Andenken.“ Wieder Schweigen, dann sagt ihr Begleiter: „Weißt du, | |
wieviel Touristen aus Amerika nur wegen dieser Brücke bis hierher kamen. Im | |
nächsten Jahr wären es fünfzig Jahre gewesen.“ | |
Ein dumpfer Knall führte am Donnerstag, dem 16. Juni, gegen 18.35 Uhr die | |
Diskussion um die Zukunft der „Begegnungsbrücke“ zu einem Finale. | |
Klammheimlich hatte ein Sprengkommando der Polizei seinen Job erledigt. Es | |
war das zweite Mal, daß die Elbbrücke in die Luft gejagt wurde, beide Male | |
von Deutschen, diesmal für immer. Am Morgen des 25. April 1945 hatten | |
Wehrmachtstruppen auf der Flucht hinter sich die Brücke zerstört. Stunden | |
später begegneten sich auf den Trümmern Soldaten der 1. Ukrainischen Front | |
und der amerikanischen 69. Infanterie-Division. Zwar waren die alliierten | |
Fronten zuvor im Raum Strehla, südlich von Torgau, zusammengetroffen. Aber | |
die Begegnung auf der Torgauer Elbbrücke, bei der sich Soldaten fernab | |
jeder Diplomatie Frieden schworen, wurde zum Symbol, das späterer | |
ideologischer Vereinnahmung widerstand. | |
Der Infanterie-Schütze und Chicagoer Taxifahrer Joe Polowsky hat sich 1983 | |
in Torgau beerdigen lassen. Zum jährlichen Elbe- Day spielen | |
Dixielandgruppen auf, Veteranen sehen sich wieder, und viel Volk ist auf | |
den Beinen. Der nächste Elbe-Day muß sich nun einen neuen Platz suchen. Und | |
die Fotografen ein neues Motiv. „Die Brücke gehörte einfach zur Stadt“, | |
weiß Silvia Meinel, die Leiterin der „Torgau-Information“. Schloß | |
Hartenfels mit der schlanken Stahlbrücke im Vordergrund, das war seit | |
hundert Jahren die beliebteste Ansicht der malerischen Renaissance-Stadt. | |
„Ewig wird denen das anhängen“, grollt Uwe Niedersen gegen die | |
Sprengmeister in Rathaus und Landesregierung. „Jedes Jahr zum Elbe-Day wird | |
man sich an die Brücke erinnern.“ Enttäuscht ist der umtriebige Sprecher | |
des Fördervereins Europa-Begegnung, aber nicht verbittert. Der Verein hatte | |
mit einem ganzen Bündel von Ideen bei Politikern und Wirtschaftsleuten für | |
die Brücke geworben. Bund und Land hatten abgewunken. Kein Geld für den | |
Bau, dessen Funktion als Verkehrsader nach dem Bau der neuen, nur einen | |
Steinwurf entfernten Stahlbetonbrücke hinfällig war. | |
Während Abrißstrategen zum finalen Rettungsknall ansetzten, prüfte das | |
Oberverwaltungsgericht Bautzen noch einen Antrag auf einstweilige Verfügung | |
gegen den Abriß, eingebracht vom Münchener Bauingenieur Philip Schreck. So | |
ist gleich noch ein laufendes Gerichtsverfahren geplatzt. Niedersen sieht | |
nun „keine Chance mehr, etwas von der Brücke zu retten“. Interessenten aus | |
New Orleans hätten sich zwar für einzelne Brückenbogen interessiert, doch | |
sie würden an den mit zwei Millionen Mark bezifferten Kosten scheitern. | |
„Wir haben getan, was wir konnten“, resümiert er die Arbeit des Vereins. | |
„Die Stadt hat sich eine große Chance kaputtgemacht und offenbar gar nicht | |
begriffen, worum es hier ging. Im Rathaus wurde nur die verrostete Brücke | |
gesehen, die neben dem Neubau keinen Sinn mehr habe.“ Gegen diese | |
Auffassung habe die Bürgerinitiative zwar eine „Niederlage“ eingesteckt, | |
„doch als Verlierer fühlen wir uns nicht. Wir haben viele Freunde gefunden | |
und eine Lektion erhalten im Umgang mit der Demokratie.“ Deshalb will sich | |
der Verein nicht in die Schmollecke zurückziehen. | |
Als sich die Rauchfahnen über der Elbe verzogen hatten, kam ein Angebot von | |
der Dresdner Landesregierung. Man könne doch mit einem Denkmal an das | |
Denkmal erinnern, auf einer Aussichtsplattform am einstigen Brückenkopf. Ob | |
der Verein vielleicht eine Idee habe. So flötete es aus Sachsens | |
Landeshauptstadt. Die Bürgerinitiative wußte im ersten Moment nicht recht, | |
ob sie den Zynismus schlucken sollte, doch dann beschloß sie, die Regierung | |
beim Wort zu nehmen. Das sei eben eine Lehre aus der Demokratie-Lektion, | |
erklärt Uwe Niedersen, man müsse sich einmischen, immer wieder neu. „Wir | |
haben vorgeschlagen, auf der Aussichtsplattform ein Glockenspiel | |
aufzustellen.“ Prominente Unterstützer hat die Idee schon gefunden, | |
darunter der Bundespräsident und die Bundestagspräsidentin, die | |
Generalkonsule Rußlands und der USA. Im Glockenspiel, so Niedersen, „soll | |
das Motiv des Elbe-Days erklingen, der Spiritual ,Down by the riverside‘. | |
Die Passanten werden fragen, was diese Melodie hier soll, werden über die | |
Elbe schauen und an die historische Begegnung und ihre humanistische | |
Botschaft erinnert.“ Detlef Krell | |
18 Jul 1994 | |
## AUTOREN | |
detlef krell | |
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