| # taz.de -- Über den musealen Rahmen hinaus | |
| > ■ Kunsthalle wird heute 125 Jahre alt / Eine kleine Galerie ihrer | |
| > Direktoren und ein Rückblick | |
| Heute vor 125 Jahren öffnete auf der ehemaligen Bastion „Vincent“ der | |
| Wallanlagen an der Alster der frei in der Parklandschaft stehende | |
| prunkvolle Klinkerbau der Hamburger Kunsthalle seine Pforten. In der | |
| Neo-Renaissance-Architektur schritt das sehr geschätzte Publikum aufwärts | |
| im großen Treppenhaus in die „der edlen Kunst geweihten Hallen“. | |
| Das Gebäude, der heutige Altbau, sollte als Denkmal der Kunst dienen. An | |
| der Fassade zitieren Terracotta-Statuen und Porträts der berühmtesten | |
| Künstler die ganze Kunstgeschichte herbei. Ohne Privatinitiative, Spenden | |
| und vermögende Sammler ging es nicht. Die Kunsthalle ist ein Kind des 1817 | |
| gegründeten Kunstvereins zu Hamburg. Die Sammlung und zwei Drittel der | |
| Baukosten waren Spenden des Hamburgischen Patriziats. Von dessen | |
| gründerzeitlichen Wohlwollen war die Kunsthalle lange abhängiger als von | |
| der Staatskasse. | |
| Die Reihe ihrer Direktoren ist eine viel zu wenig im Hamburger Bewußtsein | |
| verankerte Ansammlung überregional bedeutender Kunstwissenschaftler. Die | |
| Berufung Alfred Lichtwarks zum Direktor 1886 war ein richtungsweisender | |
| Glücksgriff. Bis zu seinem Tode 1914 leitete er das Haus und setzte bis | |
| heute fortwirkende Schwerpunkte: Malerei in Hamburg mit der Entdeckung der | |
| mittelalterlichen Altäre von Meister Bertam und Meister Francke, | |
| Neubewertung des romantischen Realisten Philipp Otto Runge und gezielte | |
| Aufträge an impressionistische Maler, Hamburg darzustellen. Erstmals | |
| präsentierte Lichtwark 1893 Fotografie in einem Kunsttempel und setzte die | |
| damalige Moderne gegenüber der Salonkunst durch. | |
| Auf Lichtwark folgte Gustav Pauli. 1919 weihte er den noch von seinem | |
| Vorgänger zusammen mit Baudirektor Albert Erbe unter Korrekturen von Fritz | |
| Schumacher entworfenen Neubau ein. Paulis Einsatz für die moderne Kunst und | |
| eine klar gegliederte Hängung in ateliermäßig hellen Räumen fand 1933 ein | |
| jähes Ende. 1937 fielen den „Modernisierungen“ der Nationalsozialisten 74 | |
| Gemälde und 1.200 Grafiken zum Opfer. Ab 1945 baute Carl Georg Heise, | |
| einstiger Vertrauter des legendären Hamburger Kulturwissenschaftlers Aby | |
| Warburg und Kämpfer für den Expressionismus, die moderne Sammlung wieder | |
| neu auf. Von 1955 bis 1969 leitete Alfred Hentzen das Haus, ihm folgte | |
| Werner Hofmann, der die Kunsthalle bis 1990 leitete. Diese Direktorenriege | |
| bewirkte, daß die Kunsthalle immer wieder weit über den Rahmen üblicher | |
| Museumsarbeit hinausgehende Impulse gab. In den 20er Jahren war im | |
| Sockelgeschoß das Kunstgeschichtliche Seminar beheimatet, das mit Professor | |
| Erwin Panofsky und dem Kreis um Aby Warburg als Hamburger Schule der | |
| Kunstgeschichte weltberühmt wurde. Mit Werner Hofmann wirkte in Hamburg | |
| einer der großen Vorreiter der kunstgeschichtlichen Themenausstellung. Sein | |
| Ausstellungs-Zyklus „Kunst um 1800“ wurde international zum Meilenstein. | |
| Die jährlichen Besucherzahlen stiegen in die Zigtausende. | |
| Auch die Sammlung der Kunsthalle hat ihre eigene Geschichte von | |
| wahrgenommenen und verpassten Chancen. 1886 schenkte der Londoner Kaufmann | |
| Gustav Christian Schwabe der Stadt 128 meist englische Gemälde. Das brachte | |
| ihm zwar – nach Fürst Bismarck und Graf Moltke – die Ehrenbürgerwürde ei… | |
| drängte aber die Kunsthalle zur Salonkunst. Die Bilder trafen den | |
| Zeitgeschmack und verschwanden nach und nach als drittrangig im Depot. | |
| Ähnlich erging es der Stiftung des Freiherrn Johann Heinrich von Schröder | |
| von 1910. Als das Material 1984 für eine zeitdokumentarische | |
| Wiederausstellung gesichtet wurde, entdeckte man, daß sich unter den zuvor | |
| kaum beachteten Marmorköpfen die erstrangige Kardinalsbüste des römischen | |
| Genies Gianlorenzo Bernini von 1622 befand, die nunmehr als Glanzstück den | |
| Barocksaal ziert. Noch immer sind die Archive und düsteren Depots | |
| Fundgruben für jede neue Generation von Kunstgeschichtlern. | |
| Schenkungs- und Ankaufspolitik ist seit je ein strittiges Thema in der | |
| Museumsszene. 1912 ließ sich die Kunsthalle die berühmte, damals größte | |
| deutsche Privatsammlung von Consul Eduard F. Weber entgehen. Weber bot die | |
| 354 Bilder der Stadt für drei Millionen Goldmark an: darunter 20 | |
| italienische Renaissance-Gemälde, sieben Tiepolos, vier Canalettos, drei | |
| Goyas, vier Rembrandts und drei Rubens. Da Lichtwark nur einzelne Bilder | |
| wollte, wurde alles in Berlin für fast fünf Millionen Goldmark versteigert, | |
| auch ein Madonnenbild des Frührenaissance-Meisters Andrea Mantegna allein | |
| für 590.000 Goldmark, heute hängt es in der National Gallery in Washington. | |
| Die Kunsthalle ersteigerte damals einen Rembrandt und einige | |
| niederländische Bilder, denn Lichtwark war der nordeuropäische und | |
| regionale Kontext wichtiger als ein Universalmuseum. So blieb bis heute die | |
| große italienische Malerei in der Kunsthalle eine eher zufällige Beigabe. | |
| Gewünscht sei dem jetzigen Direktor Uwe M. Schneede weiterhin eine gute | |
| Hand bei der Umgestaltung des Hauses, beim Kunst-Ankauf und bei der | |
| Neueinrichtung eines zeitgemäß internationalen Museums, ohne daß der | |
| typisch regionale Charakter ganz verloren geht. Hoffen muß man auf | |
| Jubiläumsgaben heutiger Großverdiener. Und da weder ein Kunstwerk noch eine | |
| Sammlung je fertig oder abgeschlossen ist, brauchen beide Platz und Pflege | |
| und vor allem kritische Benutzer: Denen seien viele weitere Jahrzehnte | |
| Kunsterfahrung gewünscht. Hajo Schiff | |
| Aktuelle Sonderausstellungen: „Meisterwerke aus dem Guggenheim-Museum“; | |
| Joseph Beuys „Arena“ bis 25. September | |
| Neue Bücher: Helmut R. Leppin, Uwe M.Schneede (Hrsg.), „Meisterwerke“, | |
| Edition Braus, 128 Mark; „Hamburger Kunsthalle“, Museumsführer, Prestel, | |
| 19,80 Mark; Ulrich Luckhard „...diese der edlen Kunst gewidmeten | |
| Hallen...“, Zur Geschichte der Hamburger Kunsthalle, Hatje, 16 Mark | |
| 30 Aug 1994 | |
| ## AUTOREN | |
| Hajo Schiff | |
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