# taz.de -- „Einheit Nackter Arsch“, bitte melden! | |
> Nach über vier Jahren Bürgerkrieg ist das westafrikanische Liberia zu | |
> einem Flickenteppich rivalisierender Kleinstarmeen geworden / Kein Mensch | |
> glaubt dort noch an die eigentlich für kommenden Mittwoch vorgesehenen | |
> Wahlen ■ Von Cindy Shiner | |
Owens Grove (wps) – Die Sonne warf sengende Hitze auf General George Boley, | |
als er zu einer schweißtreibenden Inspektion seiner Dschungeltruppen | |
aufbrach. „General War“ entbot einen zackigen Gruß und führte Boley an | |
einer Reihe von Kommandoposten mit verfaulenden Matratzen vorbei, wo | |
Soldaten mit Namen wie „US Cobra“, „Junger- Leutnant-läßt-Rebellen-leic… | |
sterben“ und „Captain Operation Possible“ sich eingerichtet hatten. | |
Irgendwo hinter dem grünen Horizont warteten die Kämpfer von der „Einheit | |
Nackter Arsch“. Sie erschrecken ihre Gegner mit FKK- Angriffen, erklärte | |
die Generälin Ruth Ateelah, die sich für die Inspektion ein rotes T-Shirt | |
und eine Badekappe geleistet hatte. | |
Die schräge Ansammlung aus Soldaten beider Geschlechter und beliebigen | |
Alters gehört zum sogenannten „Liberianischen Friedensrat“ (LPC), einer | |
Rebellengruppe, die Boley von seiner früheren Heimat im US-Bundesstaat | |
Maryland aus gegründet hat, um der stärksten liberianischen Guerilla, | |
„Nationalpatriotische Front“ (NPFL), unter Charles Taylor entgegenzutreten. | |
Boleys LPC ist eine der neueren und erfolgreicheren bewaffneten Gruppen in | |
Liberias Bürgerkrieg. Sie hat sich mit der Armee des 1990 ermordeten | |
Präsidenten Samuel Doe, den „Armed Forces of Liberia“ (AFL) sowie kleinen | |
Stammesarmeen namens „Lofa Defense Force“, „Bomi Defense Force“ und | |
„Nimba-Rettungsrat“ zur „Vereinigten Befreiungsbewegung der Demokratie“ | |
(Ulimo) zusammengetan, um ein eigenes Stückchen vom diamanten- und | |
goldreichen Kuchen des westafrikanischen Landes zu erhaschen. Eigentlich, | |
behauptet Boley unverdrossen, ist seine Gruppe natürlich mit dem „Kampf für | |
den Frieden“ beschäftigt. | |
Nach über vier Jahren Bürgerkrieg, in dem Taylors NPFL einmal fast gewonnen | |
hätte, ist Liberia ein Flickenteppich verschiedenster Banden und Armeen, | |
die um Macht und Einfluß in einer zukünftigen Friedensordnung rangeln. Dazu | |
kommen die Beobachter der UNO, die von Nigeria kommandierte Eingreiftruppe | |
der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Ecomog) und eine in der | |
Hauptstadt Monrovia amtierende „Übergangsregierung“. | |
Boley war unter dem früheren Präsidenten Doe Kabinettsminister aus der | |
damals herrschenden Krahn-Ethnie, die zum Hauptfeind der NPFL-Guerilla bei | |
ihrem im Dezember 1989 im Dschungel der Nimba-Berge begonnenen bewaffneten | |
Kampf wurde. Mehrere Friedensverträge wurden in den letzten Jahren | |
unterzeichnet, alle mit dem Ziel der Bildung einer allseits anerkannten | |
Übergangsregierung – keiner wurde bislang eingehalten. Boley versucht nun, | |
aus dem neuesten Chaos Nutzen zu ziehen und ein Machtvakuum auszufüllen, | |
das aus dem Zusammenbruch des Friedensvertrages von Juli 1993 entstanden | |
ist. | |
Noch im vergangenen März war im Einklang mit diesem Vertrag eine | |
Dreiparteienregierung gebildet und ein allgemeiner Entwaffnungsprozeß in | |
Gang gesetzt woren. Der geriet jedoch schnell ins Stocken – zum einen wegen | |
anhaltenden Mißtrauens zwischen den verschiedenen Gruppen, zum anderen | |
wegen Kämpfen zwischen verschiedenen Ulimo-Fraktionen. Kein Menschen glaubt | |
daher noch, daß die eigentlich für den kommenden Mittwoch vorgesehenen | |
Wahlen stattfinden werden. | |
Mindestens zehn UNO-Fahrzeuge sind in letzter Zeit „verlorengegangen“, | |
mehrere Ecomog- Soldaten sind als Geiseln genommen worden. Raubüberfälle | |
und Geiselnahmen werden aus dem ganzen Land gemeldet – und nach Berichten | |
von Hilfsorganisationen auch Fälle von Kannibalismus. „Ich weiß nicht, ob | |
die irgendwas in Richtung von Kontrolle über ihre Leute haben“, berschreibt | |
General Daniel Opande, Kommandeur der 368köpfigen UNO-Beobachtermission in | |
Liberia, die verschiedenen Gruppen und seufzt: „Ich würde ungern eine Armee | |
kommandieren, in der jeder macht, was er will.“ | |
Richtige Kampfhandlungen sind dagegen selten geworden – anders als zu | |
Beginn des Bürgerkrieges. Damals stieß Taylors NPFL nach den ersten | |
Angriffen zu Weihnachten 1989 schnell aus den Bergen in die Hauptstadt | |
Monrovia vor. Dort wurde Staatschef Doe im September 1990 von dem | |
Taylor-Rivalen Prince Johnson persönlich umgebracht. Die Kämpfe kosteten | |
150.000 Menschen das Leben; um Taylors Machtergreifung zu verhindern, | |
schickte die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ihre | |
„Ecomog“-Eingreiftruppe. Die Fronten blieben daraufhin zwei Jahre lang | |
friedlich, bis im Herbst 1992 die NPFL einen neuen Versuch unternahm, | |
Monrovia zu erobern. Die Ecomog warf die Taylor-Soldaten zurück und | |
vermittelte schließlich im Juli 1993 den Friedensvertrag, dessen Umsetzung | |
jetzt nicht klappt. „Der politische Friedenswille ist da“, sagt Opande. | |
„Aber er wird nicht umgesetzt. Die Hoffnung, die die Leute hatten – und sie | |
hatten viel Hoffnung –, verschwindet.“ | |
Nur 3.300 der insgesamt 60.000 Soldaten aller Seiten haben sich von der | |
„Ecomog“ entwaffnen lassen. Neue Kämpfe zwischen Boleys Ulimo und Taylors | |
NPFL im Südosten Liberias haben Tausende Zivilisten in die Flucht | |
geschlagen. Fast die ganze Bevölkerung, die auf 2,6 Millionen geschätzt | |
wird, lebt von ausländischer Lebensmittelhilfe. Es ist nicht einmal klar, | |
wie lange die Ecomog noch in Liberia bleibt. Die Truppe hat in ihren vier | |
Jahren Existenz jährlich 80 Millionen Dollar gekostet – und die | |
Truppenentsender sind selbst arm. In zwei von ihnen – Sierra Leone und | |
Gambia – haben zurückgekehrte Ecomog- Soldaten die Regierung gestürzt. | |
Nigerias Militärjunta, tragende Säule der Ecomog, muß mit Massenstreiks und | |
einer kollabierenden Wirtschaft fertig werden. | |
Boleys Kommandoposten bei Owens Grove ist gerade einen Kilometer von einem | |
Ecomog-Stützpunkt entfernt, der wiederum am Rande der größten | |
Kautschukplantage der Welt liegt – die US- geführte Firestone-Plantage, die | |
seit Jahren nicht mehr normal arbeiten kann. Als die NPFL 1990 das Gebiet | |
eroberte, zwang sie die „Liberia Agriculture Company“ zur regelmäßigen | |
Herausgabe von Reis, Benzin und Steuergeldern. Seitdem die Ulimo im | |
vergangenen Jahr hier eingerückt ist, werden nach Angaben aus | |
Wirtschaftskreisen die verbliebenen nützlichen Installationen demontiert | |
und auf nigerianischen Schiffen außer Landes gebracht. Erst im Juli | |
stoppten die liberianischen Behörden ein nigerianisches Schiff im Hafen von | |
Monrovia, das Ecomog-Friedenstruppen mit geplünderten Gütern vollgeladen | |
hatten. | |
„Das sind Unterstellungen“, ärgert sich Ecomog-Sprecher Oyone Edema-Sillo. | |
„Wir haben das immer dementiert. Können Sie sich vorstellen, daß jemand ein | |
Vorzeigehaus baut und dann nachts die Türen und Fenster klaut? Wie können | |
wir ein Haus auseinandernehmen, das wir aufbauen?“ | |
Doch klar ist, daß die Übergangsregierung Liberias sehr wenig Macht hat. | |
Der fünfköpfige „Übergangsrat“ mit Vertretern der Übergangsregierung, d… | |
NPFL und Ulimo hat seine Autorität nicht über Monrovia hinaus ausdehnen | |
können, während mindestens drei Kriegsherren in der Hauptstadt leben. Auch | |
intern ist die Regierung gespalten und streitet sich vor allem um | |
Luxusautos. Als der Finanzminister kürzlich gegen eine neue | |
Limousinenbestellung sein Veto einlegte, weil er lieber den Staatsbeamten | |
die letzten fünf ausstehenden Monatsgehälter zahlen wollte, wurde er vom | |
Ratsvorsitzenden entlassen. Er bekam seinen Posten später wieder – aber das | |
Signal war deutlich. | |
3 Sep 1994 | |
## AUTOREN | |
cindy shiner | |
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