# taz.de -- Mit Harald Welzer im Gespräch: Ändere das! | |
> Die Hyperkonsumgesellschaft schafft ihre Bedürfnisse selbst. Das muss ein | |
> Ende haben, meint Harald Welzer im taz.lab-Interview. | |
Bild: Was du heute kannst besorgen... wirst du morgen nur noch selten brauchen. | |
taz: Herr Welzer, Ihre These lautet, dass wir unsere Bedürfnisse radikal | |
einschränken müssen, damit die Menschheit überleben kann. Wie bringt man | |
die Leute dazu, das zu machen? | |
Harald Welzer: Die Leute in den Hyperkonsumgesellschaften müssen ihre | |
Bedürfnisse einschränken. Viele dieser Bedürfnisse sind nagelneu. | |
Bedürfnisse, von denen die Leute noch gar nicht wussten, dass sie sie haben | |
würden, bis das entsprechende Produkt da gewesen ist. | |
Haben Sie ein konkretes Beispiel für so ein Produkt? | |
Es gibt ein ganzes Universum davon: angefangen von Nespresso übers iPad bis | |
zum Stadtgeländewagen. Das sind alles Produkte, von denen niemand gewusst | |
hat, dass er sie haben wollte, und deren Existenznotwendigkeit ja auch noch | |
beweispflichtig ist. | |
Ich stelle mir gerne den Historiker des Jahres 2300 vor, der versucht, | |
herauszufinden, was der Sinn von bestimmten Produkten gewesen ist. Der | |
scheitert natürlich am Stadtgeländewagen oder an der Nespressokapsel. | |
Woher rührt denn Ihr Optimismus, dass die Gesellschaft sich einschränken | |
wird? | |
Wir sehen immer beides parallel. Dieser Hyperkonsum, der eine Rekordmarke | |
nach der nächsten reißt. Das bedeutet: Das Zeugs kaufen unendlich viele | |
Leute. Wir haben dieselben Phänomene der unendlichen Steigerungen der | |
Produktmengen im Textilbereich, im Nahrungsmittelbereich, das ist sehr | |
negativ. | |
Aber andererseits haben wir eine Gegenbewegung, die das genaue Gegenteil | |
propagiert: Foodsharing, Sachen zu tauschen, nichts Neues mehr zu kaufen. | |
Wie relevant so was am Ende wird, das kann man nicht sagen. | |
Wie meinen Sie das? | |
Wir haben historische Erfahrung mit der Absorptionsfähigkeit des | |
Kapitalismus: Der ist wahnsinnig gut, Gegenbewegungen in das System zu | |
integrieren. Am deutlichsten sieht man das in der Share Economy, in die | |
große Hoffnungen gesetzt worden sind. | |
Deswegen hat man auch daran vorbeigeguckt, dass es Share Economy heißt. Im | |
Grunde genommen ist hier auch noch das letzte Sozialverhältnis marktförmig | |
gemacht worden. Das sind so diese Dialektiken. | |
Es geht auch mehr um die Suche nach dem, was sich der Vermarktung sperren | |
könnte, was dem widerständig wäre, nicht so sehr um das Klein-klein, | |
sondern um den politischen Rahmen. | |
Sie schlagen vor, von der Zukunft her zu denken. Warum? | |
Das Problem ist, dass, wenn ich nur vom Gegebenen her denke, ich dann immer | |
an das Gegebene gebunden bleibe. Deshalb kommt ja auch immer so etwas | |
Absurdes zustande: Das Falsche wird optimiert. Für mich ist zum Beispiel | |
das Elektroauto die Optimierung des Falschen. | |
Oder die recyclebaren Nespressokapseln, das ist auch Optimierung des | |
Falschen. Wenn man von der Zukunft her denkt, würde man immer erst einmal | |
von einem wünschbaren Zustand her denken und sich dann die Frage stellen: | |
Wie komme ich da hin? | |
Wir sollen unsere Optik verändern, um unseren Planeten enkeltauglich zu | |
machen. Was meinen Sie damit? | |
Wir leben unter einer Diktatur der Gegenwart. Das sieht man daran, dass so | |
etwas wie die Folgen des Klimawandels so kommuniziert werden, als würden | |
sie irgendwann später kommen. | |
Zwei Grad bis zur Jahrhundertmitte. Meeresspiegelanstieg bis zum Jahr 2100. | |
Wenn man so kommuniziert, sind natürlich die Maßgaben der Gegenwart – ich | |
will jetzt ein neues iPhone, ich will jetzt nach New York fliegen – immer | |
viel dominanter als etwas, was verschwommen in der Zukunft auf der | |
Grundlage der Folgen des heutigen Handelns da ist. | |
Wir haben auch wirtschaftlich die reine Diktatur der Gegenwart, weil | |
natürlich sowohl von den Quartalsberichten wie auch von den Wahlperioden | |
die Kurzfristigkeit der Entscheidung immer in den Vordergrund rückt, | |
niemals die Langfristigkeit. | |
Generell hat man dies bei solchen Phänomenen, dass die Umweltkosten von | |
Herstellungsverfahren nie eingerechnet werden. Das ist ja genau das | |
Gleiche, wo nur die reine Gegenwärtigkeit zählt und die Kosten | |
irgendwelchen späteren Generationen aufgebürdet werden. | |
Wie können wir das verändern? | |
Indem man nicht die Frage stellt, wie wir das verändern können, sondern | |
indem man's verändert. | |
Was zählt für Sie wirklich? | |
Ich bin versucht, etwas Poesiealbummäßiges zu sagen: Was wertvoll ist, aber | |
nichts kostet. | |
Das Interview führte taz.lab-Redakteurin MAREIKE BARMEYER. | |
9 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Mareike Barmeyer | |
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