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# taz.de -- Nieder mit der Hilfe!
> Humanitäre Hilfe schafft keinen Frieden, sondern verlängert Krieg. Die
> Kämpfer profitieren mehr als die Zivilbevölkerung. Eine Polemik  ■ Von
> Willi Germund
Ende dieses Monats erlebt Afrika etwas Positives: In Mosambik finden die
ersten freien Wahlen statt, die Zeit der Konfrontation zwischen der einst
marxistischen Frelimo-Regierung und den von rechten Mächten gestützten
Renamo-Rebellen geht zu Ende. Es wäre nach dem Ende der Apartheid in
Südafrika der zweite große Durchbruch im südlichen Afrika. Wenn nicht – wie
1992 in Angola – der Krieg wieder aufflammt. Damals erkannte Angolas
Rebellenführer Jonas Savimbi seine Wahlniederlage nicht an, neue Kämpfe
brachen aus, und erst heute, zwei Jahre und 100.000 Tote später, scheint
Frieden möglich.
In Mosambik endete 1992 der 17 Jahre alte Bürgerkrieg ziemlich abrupt, als
sich Tausende von Menschen, die in Regionen unter Renamo-Kontrolle lebten,
auf die Flucht vor dem Hunger machten und den Rebellen damit die Basis
entzogen. Philip Clarke, Leiter des „World Food Programmes“ in Mosambik,
sagt heute: „Renamo erhielt nie Nahrungsmittelhilfe. Deshalb mußten die
Rebellen auch den Krieg beenden.“ Vor zwei Jahren erlebte das südliche
Afrika eine Jahrhundertdürre. Pflanzen verdörrten, Flüsse trockneten aus –
das Leben in den Bergen Mosambiks wurde ohne Unterstützung von draußen
unmöglich. Zivilisten und Renamo-Kämpfer verhungerten. Humanitäre
Organisationen konnten die abgelegenen, durch Minenfelder abgeschirmten
Regionen nicht versorgen. Renamo wurde regelrecht ausgehungert.
Das könnte ein wichtiger Grund sein, warum Mosambik heute in eine
friedlichere Zukunft blicken kann als vor zwei Jahren Angola. Auch Angola
erlangte 1975 die Unabhängigkeit von Portugal. Auch dieses afrikanische
Land wurde zum Schauplatz eines brutalen Bürgerkriegs mit einer halben
Million Toten. Auch Angola litt unter der Dürre von 1992. Aber anders als
Mosambik erlebte es in der Dürrezeit eine mehr als einjährige Waffenruhe.
Humanitäre Organisationen belieferten die Zivilbevölkerung unter Kontrolle
der Rebellenbewegung Unita oder verteilten in Regierungsgebieten. So
blieben beide Seiten intakt.
Die Hilfe ging weiter, auch als der Krieg im Herbst 1992 wieder aufflammte.
Der Mitarbeiter einer Hilfsorganisation, der seinen Namen nicht nennen
möchte, beschreibt seine „menschliche Tätigkeit“ so: „Wir päppeln hier…
Angola doch nur die Kinder auf, damit sie dann von beiden Seiten im Alter
von 13 bis 14 Jahren als Soldaten zwangsrekrutiert werden können.“ Er will
es nicht aussprechen und doch klingt durch: Der humanitäre Einsatz von
Hilfsorganisationen trägt zur Verlängerung der Konflikte bei und macht
Kriege zum Teil erst möglich.
Christoph Harnisch, Delegationsleiter des Internationalen Roten Kreuzes
(IKRK) in Angolas Hauptstadt Luanda, hält das für Unsinn: „Das stimmt
alleine deshalb nicht, weil humanitäre Organisationen sich zwar bemühen,
entstehende Löcher zu stopfen, aber nicht effektiv genug sind.“ Doch just
seine Organisation ist Teil eines Beispiels, das das Gegenteil nahelegt.
Das IKRK unterhält ein Büro in der Stadt Huambo im zentralen Hochland von
Angola. Nach monatelangen Kämpfen war Huambo Anfang 1993 von der Unita
erobert worden – zu einem brutalen Preis: Die komplette Innenstadt wurde
zerschossen, die Häuser geplündert. Huambos Einwohner flohen während der
Kämpfe, die zwischen 15.000 und 20.000 Menschenleben kosteten. Nach der
Unita-Eroberung kehrten die Bewohner zurück, und bei einem Besuch im April
1993 erklärte einer der Unita-Funktionäre von Huambo: „Ohne Hilfe von außen
können wir die Menschen hier nicht ernähren.“
Unita ist auf humanitäre Unterstützung angewiesen, um die Bevölkerung über
Wasser zu halten. Die Landwirtschaft in der Umgebung funktioniert nicht
mehr, der Krieg hat alle Reserven aufgebraucht, Saatgut ist kaum vorhanden.
Acht Hilfsorganisationen waren daher bis zum Mai in und um Huambo aktiv und
versorgten die Zivilbevölkerung. IKRK-Vertreter Harnisch gibt zu: „Man kann
davon ausgehen, daß indirekt bei jeder Familie, der wir helfen, auch einem
Soldaten geholfen wird.“
Längst steht fest, daß Unita während des kurzlebigen Friedens von Sommer
1991 bis September 1992 internationale Nahrungsmittelhilfe bunkerte –
Vorräte für den Kriegsfall. Auch die Regierungsseite wäre kaum in der Lage,
Zehntausende von Menschen in von den Rebellen umzingelten Städten zu
versorgen. Nur dank des Einsatzes von internationalen Organisationen
überleben die meisten Menschen dort – und nur deshalb kann die Regierung
die Städte halten.
Humanitäre Organisationen beharren darauf, daß ihre Hilfe der
Zivilbevölkerung zugute kommt – und sie alle erdenklichen Maßnahmen
ergreifen, um Mißbrauch zu verhindern. Aber die Praxis der Militärs spricht
für andere Tatsachen. Wann immer in Angola der Gegenseite die Luft
abgedreht werden soll, ziehen beide Kriegsparteien die Schlingen um den
Hals der Zivilbevölkerung enger.
Im Mai beendeten Angolas Regierung und die Unita-Rebellen ihre
Sicherheitsgarantien für Hilfsflüge. Das Ergebnis: Nach drei Monaten gingen
im August Vorräte und Reserven zu Ende; in manchen Teilen des Landes begann
Ende August das große Sterben wieder. Die Hilfsorganisationen schätzten 40
bis 50 Tote pro Tag in einzelnen Städten. Dann benutzten sowohl die
Regierung wie auch Unita das Drängen der humanitären Organisationen, um bei
den laufenden Friedensverhandlungen Zugeständnisse herauszuschinden, bevor
sie vereinzelte Hilfsflüge wieder zuließen.
Es ist Erpressung, bei der diplomatische Anerkennung oder Zugeständnisse
bei der Kontrolle der Verteilung das eindeutige Ziel darstellen. Schon El
Salvadors Guerilla-Bewegung FMLN beherrschte dieses Spiel während des
Bürgerkriegs in den 80er Jahren meisterhaft: Jeder Kontakt mit
internationalen Organisationen wurde zum diplomatischen Ereignis
hochstilisiert – und humanitäre Hilfe floß in militärische Kanäle.
IKRK-Vertreter Harnisch in Angola glaubt freilich nicht, daß eine
Einstellung der Tätigkeit humanitärer Organisationen das Ende des Konflikts
beschleunigen könnte: „Nur wenn man annehmen würde, daß den kriegführenden
Parteien das Schicksal der Zivilbevölkerung am Herzen liegt, würde ein
Stopp der humanitären Hilfe einen Konflikt beenden.“
Nicht nur Angola ist ein Beispiel für die Menschenverachtung der
Konfliktparteien, sondern auch das mittlerweile gestürzte und vertriebene
Regime von Ruanda zeichnete sich in dieser Hinsicht aus. Eine kleine
Oberklasse von Regierenden, die sich auf den bedingungslosen Gehorsam eines
Teils der Bevölkerung verlassen konnte, trieb und treibt in aller Offenheit
Schindluder mit Menschenleben. Erst erließ die Ex-Regierung von Ruanda den
Befehl zum Völkermord an der Tutsi- Minderheit; als die militärische
Niederlage nicht mehr abzuwenden war, ordneten die gleichen Befehlshaber
die Massenflucht nach Zaire an – und wehe, wer nun versucht, die
Flüchtlinge zur Rückkehr zu bewegen. Das Kalkül der gestürzten Regierung
ist einfach: Der Fortbestand des Flüchtlingsproblems im ostzairischen Goma
ist ihr einziges Faustpfand. Nur die Masse von Flüchtlingen garantiert, daß
sie nicht in Vergessenheit gerät. Humanitäre Organisationen, beflissentlich
bemüht, das menschliche Drama zu lindern, machen sich willig zu Handlangern
dieser menschenverachtenden Politik. Denn die Verteilung von
Nahrungsmitteln an die rund eine Million Flüchtlinge ist logistisch nur
möglich, indem die alten Dorfstrukturen benutzt werden. Im Klartext: Die
„Bürgermeister“ – wie die ruandischen Ortsvorsteher noch aus deutscher
Kolonialzeit heißen – die den Massenmord anordneten, dienen als
Ansprechpartner für die Lebensmittelverteilung. Inzwischen haben die
Milizen des alten Regimes aus dem größten Lager bei Goma die
Hilfsorganisationen vertrieben – um Verhandlungen mit der UNO zu erzwingen.
Gerd Schmalbruch, Koordinator für Nothilfe der Deutschen Welthungerhilfe in
Bonn, sagt zwar: „Wir dürfen nicht aufhören, den Menschen zu helfen.
Sondern wir müssen die teuflischen Manöver derjenigen bekämpfen, die für
solche menschliche Katastrophen verantwortlich sind.“ Aber das wird nicht
wirklich versucht. Humanitäre Hilfsorganisationen verstehen sich als
unpolitisch. Sie leiten ihren Anspruch, der Zivilbevölkerung auf allen
Seiten zu helfen und helfen zu können, aus dem Selbstverständnis ab, keine
politischen Interessen zu vertreten. Der nordamerikanische Zweig der
Hilfsorganisation Care erlegte seinen Mitarbeitern in Goma denn auch ein
absolutes Redeverbot auf: Kontroverse Themen wie die Frage von
Menschenrechten in den Lagern, die Präsenz der Mördermiliz Interahamwe und
die Verurteilung der Verantwortlichen für den Massenmord in Ruanda waren
danach tabu.
Schweigen macht mitschuldig. Aber viele humanitäre Hilfsorganisationen
wollen sich nicht in politischen Kontroversen verstricken. Denn so makaber
es klingen mag: Eine Katastrophe wie der Massenxodus der Flüchtlinge von
Ruanda nach Zaire stellt für diese Gruppierungen ein Geschenk des Himmels
dar. Die internationale Aufmerksamkeit bedeutet Spenden. Zwar spielen sie
im Finanzierungspaket neben den Geldern, die von den jeweiligen Regierungen
gestiftet werden, nur eine untergeordnete Rolle. Aber Spenden sind die
Meßlatte des Bekanntheitsgrads – und der ist häufig mitentscheidend für die
Mittel, die aus der Staatskasse fließen.
Kein Wunder, daß nach dem Massenexodus der ruandischen Flüchtlinge manche
Pressestäbe von Hilfsorganisationen schneller vor Ort erschienen als die
Nothilfe – und die Publizitätsmaschine besser lief als die Versorgung. Die
Organisationen, die am besten und effektivsten arbeiten, haben oft kaum
Zeit für Selbstdarstellung. Der wirkliche Grund für hohe Medienpräsenz, das
wurde auch in Ruanda mehr als deutlich, sind nicht zielgerichtete und
schnelle Hilfe, sondern gewiefte Sprecher.
Die französische Hilfsorganistion „Medecins sans frontières“ (MSF)
beherrscht dieses Geschäft besonders gut. Als 1990 in Liberia der
Bürgerkrieg am schlimmsten tobte, protzte MSF in der Eigenwerbung, „Ärzte
ohne Grenzen“ sei die einzige Hilfsorganisation, die Medikamente vom
Nachbarland Elfenbeinküste in das verwüstete Land schaffte. Die simple
Erklärung: Nur Medecin sans frontières war bereit, die Schmiergelder zu
blechen, die die Rebellen von Charles Taylor verlangten. Ein Lastwagen mit
Arzneimitteln kostete nach der informellen Preistabelle 1.000 US-Dollar.
Einst als Konkurrenz zum Internationalen Roten Kreuz gegründet, verkündete
ein MSF-Sprecher in Paris während der Ruanda- Krise schon, daß in Goma „pro
Minute ein Mensch an Cholera“ sterbe, als längst nicht ausgemacht war, ob
es sich tatsächlich um die Seuche handelte. Aber der Satz war kurz und
prägnant – wie gemacht für Schlagzeilen. Und dieses Prinzip haben
MSF-Vertreter durchschaut wie keine andere Hilfsorganisation.
Charity is the opium of the privileged – „Wohltätigkeit“, schreibt der
nigerianische Autor Chinua Achebe, „ist das Opium der Privilegierten.“ Die
Erste Welt berauscht sich an der Katastrophenhilfe in der Dritten Welt,
ohne die Ursachen anzugehen. Selbst Regierungen können sich dem nicht
entziehen. Seit dem Ende des Kalten Kriegs, so sagen manche Kritiker, wurde
Almosenverteilung im Katastrophenfall zur Frontlinie der Außenpolitik.
Soldaten drängen nach dem Ende des Kalten Krieges nach neuen
Aufgabenfeldern und haben „Peacekeeping“ durch die Vereinten Nationen
entdeckt. Mittlerweile hat sich gezeigt, daß sie meist ebenso teuer wie
nutzlos sind.
Auch eine Bilanz vom Einsatz humanitärer Organisationen erlaubt im Grunde
nur einen Schluß: Statt die Lage der Zivilbevölkerung zu verbessern, hat
sie sie verschlechtert.
IKRK-Vertreter Harnisch in Angola läßt selbst für sein Internationales
Rotes Kreuz die Kritik gelten, daß Katastrophenhilfe oft falsch eingesetzt
wird. „Wir müßten stärker die landwirtschaftliche Produktion ankurbeln, um
die Empfängermentalität bei der Bevölkerung zu verhindern.“ Aber das ist
nicht nur schwieriger als die Verteilung von Nahrungsmitteln, es ist auch
langwieriger und bei Kriegen oft auch unsicher.
Anstatt daß solche langfristige Arbeit geleistet wird, entstehen immer mehr
Hilfsorganisationen, die sich nur der Nothilfe widmen. „Es ist
beeindruckend,“ sagt Katastrophenprofi Christoph Harnisch in Luanda, „wie
viele neue Hilfsorganisationen nach jeder Katastrophe aus dem Boden
wachsen. Oft sind das Leute ohne Erfahrung, die unweigerlich die Fehler
wiederholen, die andere schon gemacht haben.“ Bei der Suche nach „kreativen
Ideen“ wird weniger Energie darauf verwandt, den Kriegsverantwortlichen das
Handwerk zu legen. Die wachsende Konkurrenz unter Hilfsorganisation fördert
vielmehr die Suche nach außergewöhnlichen Projekten, die nicht unbedingt
Sinn machen müssen, sich aber gut verkaufen lassen.
Beispiel: Das Minenräumprojekt des Notärztekomitees Cap Anamur im Süden
Angolas. Während der Krieg tobt, räumen Mitarbeiter von Cap Anamur eifrig
Minen. Angolas Regierungsfunktionäre und Generäle lassen die Deutschen wohl
nur gewähren, weil der humanitäre Einsatz Bargeld bedeutet. Denn bei den
Räumungsarbeiten und bei der Entschärfung der Sprengsätze fällt eine Menge
Kupfer ab. Die Idee von Cap Anamur: Wir können das Metall verkaufen und so
das Projekt finanzieren. Doch die Deutschen hatten die Rechnung ohne die
angolanischen Behörden gemacht. Nach langem Feilschen kam ein Deal
zustande: Ein Drittel des Erlöses geht an Cap Anamur, ein Drittel an den
verantwortlichen General des Gebiets und ein Drittel an den Gouverneur. Cap
Anamur freilich hatte das Nachsehen. Die Hilfsorganisation sah bisher
keinen Pfennig, Gouverneur und General teilten das Geld alleine auf.
6 Oct 1994
## AUTOREN
willi germund
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