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# taz.de -- Makkabi Chai – Makkabi lebt!
> Vor 100 Jahren wurde in Konstantinopel der erste jüdische Sportverein
> weltweit gegründet / Es war der Beginn der Makkabi-Sportbewegung, die
> seit 1965 auch in Deutschland wieder eine Basis hat  ■ Von Eric Friedler
Berlin (taz) – „Wir wollen dem schlaffen jüdischen Leib die verlorene
Spannkraft wiedergeben, ihn frisch und kräftig, gewandt und stark machen.
Wir wollen dies aber in einem jüdischen Vereine, damit wir in ihm
gleichzeitig das schwindende Gefühl unserer Zusammengehörigkeit stärken und
das sinkende Selbstbewußtsein heben können... Wir wollen dem
Antisemitismus, der heute seine lärmende Form zwar abstreift, aber an
Intensität gewonnen hat, mutig und mit Energie entgegentreten.“ Dieser Text
erschien im Mai 1900 in der ersten Ausgabe der Jüdischen Turnzeitung Berlin
– fünf Jahre nachdem in Konstantinopel 1895 der erste jüdische Turnverein
weltweit gegründet wurde.
Die jüdische Sportbewegung, die seit Anfang des 20. Jahrhunderts in Europa
entstand, war der Versuch vieler Juden, der Isolation des einzelnen in
einer zunehmend feindlichen Welt zu begegnen und der antisemitischen Hetze
das Bild eines selbstbewußten und kraftvollen Judentums entgegenzusetzen.
Der jüdische Sportler sollte den antisemitischen Vorwurf einer angeblichen
Körperuntüchtigkeit widerlegen. Viele traten auch wegen antisemitischer
Repressalien aus nichtjüdischen Sportverbänden aus und nahmen die
Möglichkeit wahr, sich in einem jüdischen Klub zu organisieren.
„Wehrhaftigkeit“, die „Förderung des jüdischen Nationalbewußtseins“,
„öffentliches Bekennen zum Jude-Sein“ – Slogans aus vergangenen Tagen. D…
wenn sich heute Juden in einem jüdischen Sportverein engagieren, ist
Antisemitismus kaum noch als Grund zu finden. „Ich möchte einfach ab und zu
mit Leuten Spaß haben, die die gleiche Wellenlänge haben wie ich“, erklärt
Ori, Spieler der Basketball-Jugendauswahl von Makkabi Deutschland.
Auf dem Vorbereitungslehrgang in Köln, der die jungen Spieler für die Mitte
Juni stattfindenden Makkabi-Europameisterschaften in Holland vorbereiten
sollte, war dem 14jährigen die Freude ins Gesicht geschrieben. Denn bei
Makkabi gibt es Dinge, die nicht erklärt, nicht erörtert werden müssen.
Dinge, die man voraussetzen kann: Man ist Jude und Sportler. Man hat die
gleiche Religion und die gleichen damit zusammenhängenden Probleme und
Freuden – dazu kommt noch das gemeinsame sportliche Interesse. So wird aus
einem Gemeinschaftsgefühl heraus Sport betrieben, was weniger mit
Abgrenzung als mit der Tatsache zu tun hat, daß sich jüdische Menschen ab
und zu von ihrer nichtjüdischen Umwelt lösen wollen. In einer Zeit, in der
mehr über tote als lebende Juden gesprochen wird, ist der Makkabi
Sportverband somit das lebhafteste Beispiel dafür, daß die jüdische
Gemeinschaft in Deutschland trotz aller Probleme versucht, ein in die
Zukunft schauendes Leben in Deutschland zu etablieren.
Der am 23. Mai 1965 neugegründete „Makkabi – Jüdischer Turn- und
Sportverband in Deutschland e.V.“ war von Anfang an kein Verband des
Leistungssports. „Makkabi bedeutet Breitensport. Die gemeinschaftliche
Komponente war und ist wesentlicher Bestandteil des Verbandes“, erklärt
Henry Majingarten, Präsident von Makkabi Deutschland. Darüber hinaus fehlt
es bis heute vor allem an einem Potential sportlicher Talente. Eine
Tatsache, die allerdings der kleinen jüdischen Gemeinschaft in Deutschland
– etwa 45.000 Juden leben heute in der Bundesrepublik – nicht anzulasten
ist. Allein die Neugründung des Vereins nur 20 Jahre nach Kriegsende, trotz
der ermordeten Gemeinschaft und zerstörter Infrastruktur, war und bleibt
bemerkenswert. Dennoch hofft der Verband mit seinen heute über 2.000
Mitgliedern, daß durch die 15.000 jüdischen Einwanderer aus der ehemaligen
Sowjetunion die sportlichen Leistungen gestärkt werden. Von den zehn in
verschiedenen Städten etablierten Vereinen, die dem Makkabi Deutschland
angehören, spielen etwa die Hälfte mit den Sportarten Basketball und
Fußball in den unteren deutschen Ligen mit. Die Makkabi-Vereine der Städte
Berlin, München und Frankfurt gehören dabei zu den führenden Mannschaften,
zumal deren Jüdische Gemeinden die mitgliederstärksten in Deutschland sind.
Vor dem Zweiten Weltkrieg konnten sich Sportler jüdischen Glaubens und
Makkabi-Vereine durchaus mit anderen, nichtjüdischen Vereinen messen. Ob
nun im Tennis, im Rudern, beim Boxen oder im Fußball – Sportler, die dem
Makkabi entsprangen, waren in den ersten Ligen präsent. Unvergessen bleiben
die Makkabi- Sprinterin Elli Kendziora, die unzählige Titel holte, der
Fußballer Hans Cohen vom VfL Bochum oder die Brüder Walter und Kurt
Vollweiler vom SV Ulm, die auch in der Nationalmannschaft spielten.
Unvergessen auch die Geschichte vom kleinen Heinrich Alfred aus Fürth, der
später in New York für Makkabi kickte. Heute heißt er Henry A. Kissinger.
Der 1898 gegründete Berliner „Bar Kochba“, Deutschlands erster jüdischer
Sportverein, stellte die meisten Sportler. Er war benannt nach dem Anführer
des Aufstandes der Juden gegen Rom in den Jahren 132 bis 135 nach Christus.
Der Name Makkabi, den die meisten jüdischen Sportclubs annahmen, weist
ebenfalls auf das Vorbild eines Juden hin, der für die Unabhängigkeit
seines Volkes kämpfte: Jehuda Makkabi initiierte 165 v. Chr. einen Aufstand
gegen die Herrschaft der Seleukiden.
Bis zum Ersten Weltkrieg entstanden – neben Berlin – auch in einer Reihe
weiterer Städte innerhalb und außerhalb des Reichsgebietes jüdische
Vereine. Sie schlossen sich in der „Jüdischen Turnerschaft“ zusammen, die
1921 im zionistisch geprägten „Makkabi- Weltverband“ aufging. Der Sport
sollte Eigenschaften fördern, die der vom Zionismus propagierten
„Renaissance des jüdischen Volkes“ entsprachen und die dem Aufbau
Palästinas nützlich sein sollten: körperliche Leistungsfähigkeit,
Disziplin, Mut, Selbstbewußtsein und Gemeinschaftssinn. Daneben gab es
während der Weimarer Republik mehrere andere jüdische Sportverbände
unterschiedlicher ideologischer Orientierung. So praktizierte zum Beispiel
der 1919 gegründete (nicht-zionistische) „Reichsbund Jüdischer
Frontsoldaten“ zur Abwehr des Antisemitismus die Kampfsportarten Boxen und
Jiu-Jitsu.
Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme führten alle nichtjüdischen
deutschen Sportvereine den „Arierparagraphen“ ein.
Manche Vereine mit hoher jüdischer Mitgliederzahl wurden zu „jüdischen
Vereinen“, indem ihre nichtjüdischen Mitglieder austraten. In Deutschland
war bis Mitte 1934 die Trennung zwischen „deutschen“ und „jüdischen“
Sportvereinen vollzogen. Während es vor 1933 im Deutschen Reich etwa 25
jüdische Vereine mit etwa 8.000 Mitgliedern gab, wurden es danach 100
Vereine mit rund 60.000 Mitgliedern. Wettkämpfe konnten, von wenigen
Ausnahmen abgesehen, nur noch zwischen jüdischen Vereinen und vor einem
jüdischen Publikum ausgetragen werden. Nach der Reichspogromnacht 1938
wurden alle jüdischen Sportvereine in Deutschland verboten.
Die Neugründung des deutschen Makkabi-Verbandes 1965 wurde von Seiten der
jüdischen Gemeinschaft mit Euphorie aufgenommen.
Bis zur „Maccabiade“ 1969 – dem alle vier Jahre ausgetragenen „jüdisch…
Gegenstück“ zu den Olympischen Spielen, an denen eine deutsch-jüdische
Mannschaft seit 1932 erstmals wieder teilnahm – hatte Makkabi Deutschland
bereits 800 Mitglieder. Der bis 1938 größte Makkabi-Verband konnte wieder
einen Platz in der internationalen Makkabi-Familie einnehmen. „Makkabi
Chai“ lauten die Worte, mit denen sich die Makkabianer vor jedem Wettkampf
anfeuern. „Chai“ bedeutet Leben.
23 May 1995
## AUTOREN
Eric Friedler
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