# taz.de -- Bäume fällen, Klima schützen? | |
> Zahlenspiele und merkwürdige Abholzaktionen: Was auf Costa Rica angeblich | |
> alles gegen den Treibhauseffekt unternommen wird ■ Aus San José Peter | |
> Korneffel | |
Eine gelbbraune Schlammpiste im tropischen Regenwald. Mühsam kommt der | |
Wagen voran; nach einigen hundert Metern im Matsch versagt auch der | |
Allradantrieb. Froylan Castaneda, Förster in Costa Rica, steigt aus und | |
zeigt auf einen Stapel gefällter Bäume: Tropenholz. Seine Mitarbeiter haben | |
die Urwaldriesen abgesägt, erzählt er lässig: „Pro Hektar haben wir vier | |
der fünfzehn ältesten Bäume herausgeholt.“ Keine Spur von Bedauern liegt in | |
seiner Stimme, eher ein bißchen Stolz – der Mann fühlt sich wie jemand, der | |
etwas gegen den Treibhauseffekt unternimmt. Denn es ist eine Umweltgruppe | |
namens „Fundecor“, die Castaneda und einen Trupp Waldarbeiter beschäftigt. | |
Sie sind in einem 12.000 Hektar großen Gebiet unterwegs und fällen immer | |
nur die ältesten Bäume. | |
Gerechtfertigt wird die Aktion mit einem Rechentrick, den nachzuvollziehen | |
schon einige Mühe erfordert: Ausgangspunkt der Überlegung ist die Tatsache, | |
daß jedes Wachstum von Bäumen CO2 bindet, also die Konzentration des | |
Treibhausgases in der Atmosphäre verringert. Weil aber gerade die alten | |
Urwaldriesen kaum noch wachsen, sägt man kurzerhand einen Teil davon ab. | |
Auf neuen Lichtungen wachsen neue Bäume, freut sich Castaneda: „Das ist | |
viel dynamischer, und der Wald kann jetzt mehr Kohlendioxid binden.“ | |
In Castanedas Technokratensprache heißt dieser beschädigte Urwald dann | |
„intervenierter Primärwald“. Castanedas Projekt ist nicht etwa die verquere | |
Aktion eines abgedrehten Einzelgängers. Hinter ihm und seiner Umweltgruppe | |
steht die Regierung von Costa Rica, die erst kürzlich den Export von | |
unverarbeitetem Tropenholz erlaubt hat. Und vor allem die USA haben ein | |
Interesse an der Arbeit von Castaneda und seinen Kollegen – weniger des | |
Tropenholzes als vielmehr des versprochenen Klimaschutzeffektes wegen. So | |
hat die „US-Initiative für gemeinsame Umsetzung“ auf die Tonne genau | |
berechnet, wieviel CO2 der Atmosphäre durch Castanedas Projekte entzogen | |
wird. Und die US-Regierung ist grundsätzlich sogar bereit, diese Spielart | |
des Klimaschutzes zu finanzieren, sofern ihr das in der US- Klimabilanz | |
gutgeschrieben wird. | |
„Joint implementation“ („gemeinsame Umsetzung“) heißt dieses Prinzip im | |
Jargon der Klimaexperten, das nach einem Beschluß des Berliner Klimagipfels | |
in den nächsten Jahren erprobt werden soll. | |
Der Hintergedanke ist zumindest wirtschaftlich reizvoll: Industriestaaten | |
finanzieren Klimaschutz dort, wo er am billigsten ist. Statt mit 100 | |
Millionen Dollar ein amerikanisches Kraftwerk effizienter zu machen, werden | |
mit dem gleichen Betrag mehrere Kraftwerke in Rußland oder der Ukraine | |
modernisiert. | |
## Oder – und damit wären wir wieder in Costa Rica – die USA bezahlen mit | |
den Klimaschutz-Millionen die Aufforstung von Wäldern in ärmeren Staaten | |
und schreiben sich die CO2-Ersparnis in ihren nationalen Klimabilanzen gut. | |
Doch so charmant das ökonomische Konzept klingt, in der Praxis wird die | |
Joint Implementation zu einem anderen Rechentrick degenerieren, den Froylan | |
Castanedas Initiative ebenfalls als Klima Zehn Dollar für eine Tonne | |
Kohlendioxid weniger | |
schutz verkauft. Ort der Handlung diesmal: der Nationalpark im | |
Vulkangebirge von Costa Rica. Hier werden stündlich fast 50 Hektar | |
Tropenwald illegal gefällt; das Tropenholz exportieren die kriminellen | |
Händler mit großem Profit. Castaneda verspricht nun, 71.000 Hektar des | |
Nationalparks „garantiert, kontinuierlich und total“ zu schützen. Auch das | |
sei ein Beitrag zum Klimaschutz, meint er. Denn die Bäume werden in ihrem | |
Wachstum nicht gehindert und absorbieren auch weiterhin CO2. Klimaschutz | |
durch bloße Versprechen – ein Rezept, das kaum überprüfbar, aber beliebig | |
auszuweiten ist. | |
Trotz dieser Abholzaktionen hat das Joint-Implementation-Projekt in Costa | |
Rica auch einen seriösen Kern. Denn Froylan Castaneda versucht, Viehzüchter | |
und private Landbesitzer für normale Aufforstung zu gewinnen. Wenn sie auf | |
Rinderhaltung verzichten und statt dessen Plantagen mit einheimischen | |
Bäumen pflanzen, bekommen sie von Castaneda Geld – und zwar pro absorbierte | |
Tonne CO2 genau zehn Dollar. Doch diese Form von Joint Implementation, bei | |
der der Kohlendioxidanteil in der Atmosphäre tatsächlich verringert würde, | |
ist bisher nahezu erfolglos geblieben: Castaneda hat kaum Bauern gefunden, | |
die zu diesem Tauschgeschäft bereit sind. Ganze 1.000 Hektar Weideland | |
werden insgesamt zu Waldflächen umgewandelt – magere ein Prozent der | |
Fläche, die Castanedas Projekte insgesamt umfassen. | |
3 Aug 1995 | |
## AUTOREN | |
Peter Korneffel | |
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