# taz.de -- Kundgebung mit PKK-Fahnen verlief friedlich | |
> ■ 10.000 Demonstranten liefen mit im Trauermarsch für getöteten Kurden. | |
> Statt Gewaltaktionen herrschte teilweise Volksfeststimmung. Polizei hatte | |
> aufgerüstet | |
Neumünster (taz) – Ein fast gespenstisches Bild bot Neumünster am Sonnabend | |
vormittag: Die Innenstadt lag wie ausgestorben da. Die meisten Läden waren | |
geschlossen, Baucontainer wegtransportiert. An vielen Ecken standen | |
Polizeiwagen und Wasserwerfer. Angst lag in der Luft: 10.000 Menschen waren | |
zu dem Trauermarsch der Kurden für den 28jährigen Seyfettin Kalan gekommen. | |
Der 28jährige war am Sonntag vor einer Woche bei einem Streit zwischen | |
Kurden und Türken erschossen worden, zwei weitere Kurden hatten Schuß- und | |
ein Türke Stichverletzungen erlitten. Tathergang und Motiv sind für die | |
Polizei nach wie vor unklar. Anhaltspunkte für einen politischen | |
Hintergrund seien derzeit nicht erkennbar, erklärte ein Sprecher der | |
Staatsanwaltschaft. Vermutlich liege das Motiv in ganz banaler persönlicher | |
Abneigung, bei einem eher zufälligen Treffen seien einem verbalen Streit | |
ein paar Ohrfeigen gefolgt. Daraufhin habe ein junger Türke überreagiert | |
und zur Pistole gegriffen. Die Kurden sehen dies ganz anders: Für sie ist | |
Kalan das Opfer von türkischen Faschisten. | |
Immerhin sind nach Informationen der grünen Bundestagsabgeordneten Angelika | |
Beer die „Grauen Wölfe“ auch in Neumünster gut organisiert. Kalan soll | |
zudem ein PKK-Aktivist gewesen sein. Bei dem Trauermarsch waren viele | |
PKK-Fahnen und Symbole zu sehen. Um eine Eskalation zu vermeiden, griff die | |
Polizei nicht ein. Dies schließe eine spätere Strafverfolgung jedoch nicht | |
aus, sagte ein Polizeisprecher. | |
Bei der Kundgebung übten kurdische und deutsche Redner Kritik an der | |
türkischen und deutschen Regierung. Angelika Beer forderte die Einstellung | |
der militärischen Zusammenarbeit. Nach ihren Kenntnissen wird in nächster | |
Zeit ein Sperrvermerk für die Lieferung von zwei Fregatten an die Türkei | |
aufgehoben. Damit würden Menschenrechtsverletzungen belohnt, sagte sie. | |
Kurden und Türken hatten einen friedlichen Verlauf zugesichert. Dennoch | |
befürchtete die Polizei Ausschreitungen und hatte Verstärkung aus anderen | |
Bundesländern angefordert. Rund 1.000 Beamte waren im Einsatz. Bereits im | |
Vorfeld waren Autos auf allen Einfahrtsstraßen kontrolliert worden. Die | |
Ausbeute der Polizei: zwei Schußwaffen mit Munition, Öl- und | |
Benzinkanister, Stofflappen, Holzlatten, Messer und Baseballschläger. Fünf | |
Männer wurden vorläufig festgenommen. | |
Die Polizei zog am Ende eine positive Bilanz: Das Konzept des Dialoges, der | |
Deeskalation und des Bereithaltens starker Kräfte sei aufgegangen. Eine | |
Neumünsteranerin, die sich in die Innenstadt getraut hatte, äußerte sich | |
überrascht: „Die kurdischen Tänze und Lieder hatten etwas von | |
Volksfeststimmung.“ Kersten Kampe | |
11 Sep 1995 | |
## AUTOREN | |
Kersten Kampe | |
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