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# taz.de -- Dokumentation: „Knapp daneben ist auch vorbei“
> ■ Erklärung des K.O.M.I.T.E.E. zum gescheiterten Anschlag auf den
> Abschiebeknast Grünau / Auflösung angekündigt
Das K.O.M.I.T.E.E bekannte sich im April dieses Jahres zum gescheiterten
Anschlag auf das in Bau befindliche Abschiebegefängnis in Grünau. Die
Gruppe verübte auch einen Anschlag auf eine Bundeswehrkaserne in Bad
Freienwalde im Oktober 1994. In einer sechsseitigen Erklärung, die wir
nachfolgend gekürzt dokumentieren, analysiert die Gruppe ihre Fehler (d.
Red.).
In diesem Text geht es darum, die schwerwiegenden Fehler, die uns
unterlaufen sind, zu benennen und selbstkritisch zu reflektieren. [...]
Weiter ziehen wir Konsequenzen aus unserem Scheitern: Wir werden unser
Projekt „Das K.O.M.I.T.E.E.“ beenden. [...]
## Zum Projekt
Seit Ende der achtziger und noch verstärkt in den neunziger Jahren war und
ist eine radikale Linke zu beobachten, deren politische Stärke und
gesellschaftlicher Einfluß von Jahr zu Jahr mehr verlorenging und deren
inhaltliche wie praktische Entwicklung sich immer mehr von radikalen
Positionen entfernt hat. [...] Als der kontinuierliche Diskussionsfaden
durch die zu beobachtende Rückzugsbewegung der Linken abgerissen war und
gemeinsam erarbeitete Handlungsgrundlagen sich aufzulösen begannen, kamen
wir zu dem Schluß, daß es nötig ist, sich als Gruppe in den Kontext einer
kontinuierlichen und öffentlich nachvollziehbaren Politik zu stellen.
Wir sind davon ausgegangen, daß Beiträge und Interventionen von Gruppen,
deren Name für eine bestimmte Praxis und politische Ausrichtung steht, von
der Öffentlichkeit und der Linken mit einer größeren Aufmerksamkeit
gelesen, verfolgt und diskutiert werden als Veröffentlichungen von Gruppen
ohne erkennbare Kontinuität. [...]
Angesichts des Diskussionsstandes der radikalen Linken bedarf es einer
Erklärung, warum wir uns in diesen bewegungsarmen Zeiten für militante
Politik entschieden haben. Es ist heute oft das Argument zu hören, nach dem
Niedergang der linksradikalen Bewegung hätte einfaches „Weitermachen“
keinen Sinn mehr, wobei geflissentlich unterschlagen wird, daß
revolutionäre Politik hier in den letzten Jahrzehnten gesellschaftlich
immer nur eine Randposition innehatte und nie eine realistische Strategie
zum Umsturz der Verhältnisse vorweisen konnte.
Konsequente militante Praxis könnte einer der Hebel sein, den Kreislauf der
Linken von Glaubwürdigkeitsverlust nach außen und Mutlosigkeit und
Anpassung nach innen zu durchbrechen. Radikale Kritik an der bestehenden
Praxis von Herrschaft, Unterdrückung und Ausbeutung, die nicht alle Mittel
von Widerstand sucht, nutzt und erfindet, muß früher oder später den
Glauben an sich selbst verlieren. Eine Linke, die zu Recht behauptet, der
Bau und Betrieb von Abschiebeknästen sei ein Verbrechen, aber nicht alle
Möglichkeiten, den Bau zu verhindern, ernsthaft in Betracht zieht, schafft
sich ihre Perspektivlosigkeit auch ein gutes Stück weit selbst, sie hat
ihre Niederlage schon im eigenen Kopf erlitten. Unsere Methode, wäre sie
erfolgreich gewesen, wäre gewiß nicht die einzige gewesen und vielleicht
auch nicht mal die beste, aber allemal eine bessere als die Klage über die
Aussichtslosigkeit linker Politik in einer sich nach rechts bewegenden
Gesellschaft.
Wir denken, daß die Linke keine weitergehende Perspektive aus dem Gefühl
der Hilflosigkeit und dem Verlust ihrer Handlungsmöglichkeiten entwickeln
wird, aber sie könnte Kraft daraus schöpfen, auch mal in schlechteren
Zeiten der ständigen Schere zwischen Denken und Handeln getrotzt zu haben.
Wir wollten mit unserem Namen und unserer Praxis Propaganda machen für die
Möglichkeiten direkten Eingreifens und Angreifens, die allen offenstehen,
die sich mit Ungerechtigkeit und Unterdrückung nicht abfinden wollen. Auch
wenn wir nicht sagen, daß im heutigen gesellschaftlichen Kontext militante
Politik der einzig richtige Weg ist, sind wir der Meinung, daß es ein
Fehler wäre, sämtliche Praxis auf Eis zu legen, solange wir auf der Suche
nach der richtigen Strategie sind. Wir denken, daß eine Weiterentwicklung
nur im Rahmen eines praktischen Prozesses von Reflexion und Tat stattfinden
kann. Learning by doing. Und wenn irgendwann mal die Bedingungen günstiger
sein werden, grundsätzliche Kritik am System gesellschaftlich breiter zu
verankern, wird es verdammt wichtig sein, auf eine Geschichte verweisen zu
können, wo wir auch in Zeiten von allgemeiner Anpassung grundsätzliche
Positionen nicht aufgegeben haben.
Nicht zuletzt hat radikale Politik für uns auch einen moralischen Aspekt:
Selbst wenn wir die endgültige Lösung nicht vorweisen können, wollen wir
uns nicht damit abfinden, einfach nur zuzusehen und uns unser Plätzchen im
trockenen zu sichern. (...)
## Zu unseren Fehlern
Für die Ausführung der Aktion hatten wir uns einen festen Termin gesetzt,
dem ein, wie sich herausstellte, äußerst knapp berechneter Zeit- und
Arbeitsplan vorausging. Je näher der Tag der Aktion kam, desto deutlicher
wurde, daß wir keinen Raum mit eingeplant hatten, um neu auftretende
Probleme und die latent vorhandenen Ängste der Einzelnen zu thematisieren
und kollektiv lösen zu können. Wir verfielen einem Mechanismus, der in
unserer Männercombo nicht unbedingt neu war: Es wurde von jedem Einzelnen
verantwortlich am eigenen Aufgabenbereich gearbeitet und dabei der Blick
für das Ganze verloren.
Entgegen dem durch die Presse vermittelten Bild, Berlin-Grünau hätte kurz
vor einer Kamikaze- Aktion gestanden, wäre die von uns geplante Akton
durchführbar gewesen. Tatsache ist aber, daß wir in der Planung einiges an
schwerwiegenden Fehlern produziert haben. Unserer Meinung nach war der
größte, uns nicht die ausreichende Zeit gelassen zu haben, im rechten
Moment nicht von dem einmal gesetzten Termin losgelassen zu haben und bei
auftretenden Pannen weder Ausweichmöglichkeiten noch den nötigen Raum für
deren Beseitigung eingeplant zu haben. Die meisten der weiteren Fehler sind
aus diesem Zeitdruck heraus entstanden, dem Unvermögen, die Probleme so
ausreichend und gemeinsam zu diskutieren, bis die beste Lösung gefunden
ist.
Wir müssen aus diesen Fehlern Konsequenzen ziehen. Die Funktionalisierung
von Personen, die wir der Justiz in die Hände gespielt haben, können wir
durch unser Bedauern nicht rückgängig machen. Wir können nur versuchen,
soweit das in unserer Macht steht, den Schaden zu begrenzen.
Unserer eingangs des Papiers formulierten Verantwortung sind wir nicht
gerecht geworden. Der von uns anvisierte Effekt, mobilisierend auf die
radikale Linke zu wirken, hat sich durch unser Scheitern und die Art des
Scheiterns ins Gegenteil verkehrt!
Wir werden unsere politische Arbeit als K.O.M.I.T.E.E. beenden. Diese
Entscheidung haben wir aufgrund der Gesamtheit der von uns verursachten
Fehler gefällt. (...)
Unsere Entscheidung ist kein Abgesang auf militante Politikformen im
Allgemeinen, sondern unsere persönliche Konsequenz aus dem Debakel. Wir
finden es nach wie vor wichtig und richtig, auch mit militanten Mitteln, in
die politischen und militärischen Pläne der Herrschenden einzugreifen und
ihre Projekte, wo immer möglich, zu benennen, anzugreifen und zu
verhindern.
Wir freuen uns sehr über die Initiative des K:O:L:L:E:K:T:I:Vs, die unser
Thema aufgegriffen haben und konsequent weitertragen. 6.9.95 Das
K.O.M.I.T.E.E.
19 Sep 1995
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