# taz.de -- Warten auf den Tag danach | |
> Tansania war immer ein stabiles Land ohne größere Konflikte. Von den | |
> bevorstehenden Wahlen erwarten nun viele das Gegenteil: Unruhe, Gewalt, | |
> Machtwechsel, Zerfall. Aber noch spricht dafür wenig ■ Von Bettina Ga… | |
Wenn man den Gerüchten, Nachrichten und Meinungen Glauben schenken will, | |
die in Tansanias größter Stadt Dar Es- Salaam ausgetauscht werden, dann | |
steht die dem Festland vorgelagerte Insel Sansibar an der Schwelle zum | |
Bürgerkrieg: Soldaten beherrschten das Straßenbild, der Ausbruch von Gewalt | |
sei praktisch unvermeidbar, alte Konflikte zwischen der arabischen und der | |
afrikanischen Bevölkerung drohten brutal neu aufzubrechen. | |
Mit all diesen düsteren Prophezeiungen im Gepäck ist dann die Ankunft auf | |
dem kleinen, etwas verschlafenen Flughafen der Insel schon eine | |
Überraschung: Kein Soldat weit und breit. Klapprige Taxis und Lastwagen mit | |
Holzbänken auf den Ladeflächen, die als öffentliche Verkehrsmittel dienen, | |
fahren an Plattenbausilos entlang. In der alten Steinstadt, zur Blütezeit | |
des einstigen Handelszentrums Sansibar eine vornehme Gegend, sind Ruinen zu | |
besichtigen – aber die Häuser mit kunstvoll geschnitzten Türen und Balkonen | |
sind nicht gewaltsam zerstört worden: Weil nicht genug Geld für Reparaturen | |
da ist, stürzen jedes Jahr mehrere Gebäude in sich zusammen. | |
Vor dem ehemaligen Sultanspalast versammeln sich abends Araber mit | |
islamischen Gebetskappen auf dem Kopf, indische Frauen in Saris, | |
afrikanische Familien und einige Touristen zum Tagesausklang. Frischer | |
Zuckerrohrsaft, Fleischspießchen und Teigtaschen werden hier vor der | |
malerischen Kulisse von Frachtern und alten Segelbooten angeboten. Perfekte | |
Idylle. „Wir hier glauben, daß Dar Es-Salaam der Ort ist, wo wirklich der | |
Ausbruch von Gewalt droht“, erklärt der sansibarische Anwalt Wulfango | |
Dourado, ein Vorkämpfer für die Demokratisierung Tansanias, der kürzlich | |
zum Richter an Sansibars Oberstem Gericht ernannt wurde. „Wir haben uns | |
schon die Finger verbrannt. Sie haben es noch vor sich.“ | |
Die verbrannten Finger – das war die Revolution 1964, wenige Monate nach | |
der Unabhängigkeit. Damals wurde Sansibars Sultan verjagt. Tausende, vor | |
allem die damals auf Sansibar herrschenden Araber, wurden getötet, mehr | |
noch flohen ins Ausland. Wenig später vereinigten sich die beiden bis dahin | |
selbständigen Staaten Tanganjika und Sansibar zum gemeinsamen Staat | |
Tansania. | |
Seither gilt das Land als eine Oase des Friedens und der Stabilität in | |
Afrika, dessen politisches Klima ausnahmsweise nicht von ethnischen und | |
religiösen Konflikten beherrscht wird. „Wir kennen keine wirklichen | |
Stammesfeindschaften auf Sansibar, und im Prinzip kennen auch die | |
Tanganjiker keine“, meint Wulfango Dourado. „Sie heiraten untereinander. | |
Die Tage der Stammesfeindschaft sind einfach vorbei. Wir haben uns zu einer | |
Nation entwickelt.“ | |
Jetzt aber steht die Nation auf dem Prüfstand. Zum ersten Mal seit | |
Einführung des Mehrparteiensystems 1992 finden Parlaments- und | |
Präsidentschaftswahlen statt: Am 29. Oktober auf dem Festland, eine Woche | |
vorher auf Sansibar, wo gleichzeitig der Präsident der sansibarischen | |
Regierung, die begrenzte eigene Vollmachten hat, gewählt werden soll. Viele | |
Sansibaris empfinden inzwischen die Bestimmungen des Unionsvertrages mit | |
Tanganjika als ungerecht. „Wir fühlen uns an den Rand gedrängt, und es gibt | |
seitens des Festlandes diese Attitüde des ,großen Bruders‘“, meint Dourad… | |
„Die ganze Auslandshilfe geht aufs Festland, die ganzen Investitionen gehen | |
aufs Festland. Sansibaris sind mit Recht verärgert.“ | |
Die oppositionelle CUF (Civic United Front) und ihr Spitzenkandidat für | |
Sansibar, Seif Shariff Hamad, haben angekündigt, den Unionsvertrag neu | |
verhandeln zu wollen. Sie glauben fest an ihren Sieg. Aber für die | |
Regierungspartei CCM („Partei der Revolution“) steht mehr auf dem Spiel als | |
der Verlust einer Region – es geht um die Struktur des Gesamtstaates. | |
Wird der Wahlverlierer, wer immer es ist, eine Niederlage kampflos | |
hinnehmen? Vom Geschäftsmann bis zur Hausfrau erklären auf Sansibar alle | |
Gesprächspartner, daß sie nicht an den Ausbruch ernster Unruhen glaubten – | |
und erzählen gleichzeitig von Vorräten, die sie angelegt haben, um die | |
„schlimmen Tage“ zu Hause zu überdauern. Ist die Ruhe auf Sansibar am Ende | |
doch trügerisch? | |
Das Festland Tanganjika ist mehr als doppelt so groß wie Deutschland. Die | |
Straßen sind schlecht, die Telefone gestört. Unter diesen Umständen ist | |
jede Aussage darüber, welche Stimmung in den einzelnen Provinzen herrscht, | |
ein Lesen im Kaffeesatz. In Dar Es-Salaam ist allerdings der Wunsch nach | |
Wandel nicht zu übersehen: Über fast jedem Markt ist ein Wald aus kleinen | |
Fahnen entstanden. Der Schuster zeigt seine Sympathie für die | |
Regierungspartei mit grünem Tuch, die Gemüsefrau daneben bekennt sich mit | |
blauem Stoff zur oppositionellen NCCR („Nationaler Konvent für Aufbau und | |
Reform“). Die blauen Fahnen überwiegen. | |
Die großen Parteien hegen keinerlei Zweifel daran, wer den Sieg, und zwar | |
einen überwältigenden, davontragen wird: jeweils sie selbst. Die Zuversicht | |
birgt die sichere Enttäuschung in sich – und diese wird dem Verdacht | |
Nahrung liefern, daß nur Wahlbetrug für eine Niederlage verantwortlich sein | |
kann. Anhaltspunkte gibt es dafür bereits vor dem Urnengang genügend: | |
Oppositionsparteien beklagen Unregelmäßigkeiten bei der | |
Wählerregistrierung, einseitige Berichterstattung der staatlichen Medien | |
zugunsten der Regierungspartei, Parteilichkeit von Polizei und | |
Beamtenapparat. | |
Die Unzufriedenheit der tansanischen Bevölkerung liegt vor allem in der | |
katastrophalen Wirtschaftslage begründet. Seit 1970 sind 13 Milliarden | |
Dollar ausländischer Hilfe nach Tansania geflossen – aber mehr als die | |
Hälfte aller Familien wird von der Weltbank als „arm“ oder „sehr arm“ | |
eingestuft. Tansania hat sich unter seinem ersten Präsidenten Julius | |
Nyerere jahrzehntelang um einen eigenen Weg zum Sozialismus bemüht. Dieser | |
Versuch gilt heute auch in weiten Kreisen der CCM als gescheitert. Als | |
Nyereres Nachfolger Ali Hassan Mwinyi Mitte der achtziger Jahre eine | |
Politik der Liberalisierung einleitete und sich mit Weltbank und | |
Internationalem Währungsfonds auf Bedingungen zur Vergabe von Krediten | |
einigte, da hofften viele, nun endlich werde der Aufschwung kommen. | |
Er kam nicht. Tansania gehört nach wie vor zu den ärmsten Ländern der Welt. | |
Schulen fehlt es an Büchern, Bänken und Stühlen. Krankenhäuser haben keine | |
Betten, Apparate und Medizin. Währungsfonds und einige der größten | |
bilateralen Geldgeber haben Zahlungen eingefroren – „mangelnde | |
Ausgabendisziplin der Regierung“, lautet die höfliche Begründung, | |
„Korruption“ die deutliche. | |
Die Bestechlichkeit von Politikern und hohen Beamten hat ein solches Ausmaß | |
angenommen, daß Nyerere selbst sich an die Spitze einer Kampagne gegen | |
Korruption gestellt hat und auch die Opposition dieses Thema in den | |
Mittelpunkt ihres Wahlkampfes stellt. An vorderster Front steht hier der | |
Spitzenkandidat der NCCR, Augustine Mrema. Bis zu diesem Frühjahr war er | |
Innenminister. Während seiner Amtszeit kümmerte er sich persönlich um | |
mißhandelte Ehefrauen, die vergeblich bei der Polizei Hilfe gesucht hatten; | |
er stellte bestechlichen Beamten unnachsichtige Ultimaten und regelte | |
zahlreiche Fälle von Unterhaltszahlungen für Kinder aus geschiedenen Ehen | |
per Gespräch in seinem Büro. | |
Mrema hat ein Gespür für werbewirksame Versprechungen: Er verkündet, die | |
gerade erst eingeführte Kostenbeteiligung am Schul- und Krankenhauswesen | |
müsse abgeschafft werden: Erst sei es nötig, den Leuten ein besseres | |
Einkommen zu verschaffen, bevor man sie zur Kasse bitten dürfe. In seinen | |
Reden geißelt er angebliche illegale Geschäftspraktiken der asiatischen | |
Minderheit, die traditionell einen großen Teil des Handels kontrolliert und | |
daher bei vielen anderen Tansaniern nicht populär ist. Zahlreiche indische | |
Geschäftsleute haben aus Angst vor Plünderungen und Übergriffen nach einem | |
Wahlsieg Mremas schon vor Wochen aufgehört, Waren zu importieren. Seife und | |
Öl werden knapp in den Geschäften. Viele jedoch, die Machtmißbrauch und | |
Mißwirtschaft der CCM satt haben, hören Mrema gerne zu. | |
Aber der NCCR-Spitzenkandidat wird nicht alle Stimmen der Regierungsgegner | |
sammeln können: Erst vor einem Monat hat die CUF Professor Ibrahim Lipumba | |
ins Rennen geschickt, einen Wirtschaftsfachmann, der vor allem bei | |
islamischen Tansaniern – etwa 30 Prozent der Bevölkerung – Stimmen sammeln | |
dürfte. Blaß wirkt gegen diese beiden Politiker der Spitzenmann der CCM, | |
Benjamin Mpaka. Er gilt in der eigenen Partei als Kompromißkandidat. Der | |
bisherige Präsident Mwinyi darf sich nach zwei Legislaturperioden nicht | |
mehr zur Wahl stellen. | |
Erreicht keiner der Bewerber im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit, | |
erfolgt eine Stichwahl. Hier liegt die Chance für eine – dann vermutlich | |
vereinigte – Opposition. „Na und?“ fragt Paul Sozigwa, Wahlkampfleiter der | |
CCM. „Die Regierung besteht aus Kabinett und Parlament. Die Opposition hat | |
keine Chance, die Mehrheit im Parlament zu bekommen.“ Denn in den meisten | |
Wahlkreisen konkurrieren mehrere Oppositionskandidaten. Sozigwa lacht | |
schallend. „Der Premierminister kommt von der Mehrheitspartei. Er ernennt | |
die Regierung. Es gibt also keinerlei Möglichkeit, die CCM abzuwählen.“ | |
Die Selbstsicherheit des Parteifunktionärs läßt ahnen, wie der Boden | |
beschaffen sein könnte, auf dem eine Saat der Gewalt aufgeht. Dabei sind | |
die Wahlen in Tansania nicht nur Gefahr, sondern auch Chance. Ein | |
friedlicher Wandel könnte Signalwirkung für andere Staaten haben. Noch aber | |
denkt kaum jemand so weit. Alle warten auf den Tag der Entscheidung. „Es | |
ist, als sei die ganze Gesellschaft zum Stillstand gekommen“, meint der | |
Historiker Abdul Sheriff. „Überall laufen die Leute herum und sagen: ,nach | |
den Wahlen‘ – selbst wenn es nur darum geht, ein Buch zu kaufen.“ | |
20 Oct 1995 | |
## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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