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# taz.de -- Die bittere Frucht des Übervaters
> Besuch im Geburtsort des langjährigen Präsidenten der Elfenbeinküste,
> Houphouet-Boigny, den er vom Buschdorf in eine überdimensionierte
> Metropole verwandelte  ■ Aus Yamoussoukro Dominic Johnson
Beim Abendessen im Panorama-Restaurant in der 14. Etage des Luxushotels
„Hotel Président“ könnte man Yamoussoukro für eine Großstadt halten: La…
Lichterketten in alle Himmelsrichtungen beleuchten breite Straßen bis an
den Horizont. Bei genauerem Hinsehen aber bietet die Metropolenkulisse
einen merkwürdig statischen Eindruck. Nur ganz vereinzelt bewegen sich
Autoscheinwerfer zwischen den Straßenlaternen hindurch. Bei Tageslicht
offenbaren sich dann die Lichterketten als sechsspurige Alleen, die
verschwenderisch ins Nirgendwo führen. Funktionierende Ampeln regeln
leblose Kreuzungen. Zuweilen verirren sich Fußgänger auf die zahlreichen
Zebrastreifen und eilen wie Zwerge über den viel zu breiten Asphalt.
Yamoussoukro wirkt, als hätte ein überirdisches Wesen mitten in den Busch
ein Straßennetz für Riesen gesetzt.
Es war kein überirdisches Wesen, sondern der erste Präsident der
Elfenbeinküste, Felix Houphouet-Boigny. Der als eine Art Übervater verehrte
Politiker, um 1900 in dem damals nur einige hundert Menschen umfassenden
Dorf geboren, hat den Ort bis zu seinem Tod 1993 zum Symbol der eigenen
Größe ausgebaut.
Schon in den fünfziger Jahren, damals noch als französischer
Staatsminister, ließ Houphouet- Boigny den Dorfkern verlegen und das
Gelände zu seinem Privatgarten herrichten. An einer anderen Stelle entstand
ein neues Ortszentrum, das heute mit Märkten und buntem Gedränge noch am
meisten Urbanität bietet. „Die Leute kamen mit den Baustellen“, erinnert
sich Vizebürgermeister Fernand Konan, der einer der wenigen ursprünglichen
Dorffamilien entstammt. „Zusammen mit einem Städteplaner ließ der Präsident
die breiten Straßen ziehen. Die Leute pflanzten Reis, den der Staat
abkaufte, und mit den Erlösen konnten sie ihre Häuser bauen.“
Heute hat die Gesamtgemeinde Yamoussoukro 135.000 Einwohner – damit ist es
die zweitgrößte Stadt des Landes. Die Zuwanderung kam dadurch zustande, daß
die ab 1960 unabhängige Elfenbeinküste unter Präsident Houphouet-Boigny
eine Reihe technischer Hochschulen einrichtete. In Yamoussoukro
konzentrierte er die Berufsausbildung in den „nützlichen“ Karrierezweigen
Landwirtschaft oder Ingenieurwesen – und in der 250 Kilometer entfernten
Hauptstadt Abidjan blieb die Universität mit ihren aufsässigen
Geisteswissenschaftlern.
## Monumentale Größe, vornehme Einsamkeit
Schulen und Straßen als Entwicklungsmagneten – das ist wie aus dem
Bilderbuch der Weltbank. Aber die Konzentration knapper Mittel auf ein
abseits gelegenes Dorf entsprach nicht den Bedürfnissen der Bevölkerung,
sondern denen des Präsidenten. „Yamoussoukro“, so Konan, „wurde zu einem
Monopol, pardon: zu einem Pol der Entwicklung.“
Denn es entstanden nicht nur Straßen und Schulen. Yamoussoukro ist eine
Anlage von gigantischen Monumenten. Künstliche Seen gruppieren sich in
einem Halbkreis um das Zentrum. Etwas außerhalb liegt eine lichtüberflutete
Betonfläche, wo kräftig Gras aus den Fugen sprießt: Der „Place Jean Paul
II.“ zu Ehren des Papstes. Nicht weit davon steht das Rathaus, in seiner
marmornen Abgeschiedenheit unbehelligt von Besuchern.
An der Fernstraße liegen gepflegte Wälder wie in einem englischen
Schloßpark und in vornehmer Einsamkeit die Fünf-Sterne- Residenz „Hotel
Président“. Und auf der anderen Seite des Ortszentrums stößt der Besucher
auf eine nicht enden wollende, strahlend cremeweiß gestrichene hohe Mauer
mit wuchtigen Metalltoren wie aus einer Ritterburg: „Hier wohnt die Familie
des Präsidenten“, erklärt der Fahrer. „Das Grundstück ist vier
Quadratkilometer groß.“
Grandiose Höhepunkte dieser Ansammlung von Denkmälern sind die
kilometerweit zu sehenden Prunkgebäude: Das Haus der Staatspartei „Maison
du Parti“, die „Fondation Houphouet-Boigny“, die Moschee und vor allem die
Basilika „Notre-Dame-de-la-Paix“, ein dem Petersdom nachempfundener Bau mit
der höchsten Kirchenkuppel der Welt. Die Parkanlage um die Basilika ist so
groß wie das gesamte Stadtzentrum. Aber die einzigen Lebenszeichen darin
kommen von Kolonnen grüngekleideter Gärtner mit Strohhüten, die mit
Traktoren und Rasenmähern im Gras herumfahren.
Die katholische Basilika entstand in nur etwas über drei Jahren, zwischen
1986 und 1989; der Papst weihte sie ein Jahr später ein. Weiß schimmernd
wölbt sich nun eine Kuppel 158 Meter hoch in den Himmel über dem
afrikanischen Busch, gekrönt von einem goldenen Kreuz. Gestützt wird die
Kuppel von Reihen dorischer Säulen, die in eine drei Hektar große Esplanade
mit Marmorböden, Wandelgängen und kleineren Kapellen führen. Die Wände des
eigentlichen, kreisrunden Kirchenbaus bestehen aus immensen bemalten
Glasfenstern in allen Farben des Regenbogens. Innerhalb des Gebäudes
erzeugt das einen einzigartigen, durch die intensive Tropensonne
verstärkten Lichteffekt.
7.000 Gottesdienstbesucher finden auf den Kirchenbänken aus reinem
Tropenholz Platz – theoretisch. „Zu Weihnachten und Ostern kommen viele
Leute“, meint ein Kirchenwächter. Seine größte Stunde erlebte der Bau im
Februar 1994: die Beerdigungsfeier für Houphouet-Boigny. Damals kamen
Staatschefs aus aller Welt, von François Mitterrand bis Sésé Séko Mobutu.
Der Videofilm der Trauerfeier wird heute im „Hotel Président“ verkauft.
## Die Heilige Maria und die Königin Poukou
Die Basilika ist nicht nur ein Prunkstück des afrikanischen Katholizismus.
Houphouet-Boigny hat auch der Kultur seines Volkes ein Denkmal setzen
wollen – und gemeint ist damit das Volk der Baoulé, zu dem Houphouet-Boigny
und die Staatselite des Landes gehören. Wie die alten Ägypter ehren die
Baoulé ihre Toten traditionell mit reichen Gaben, die der Seele des
Verstorbenen als Wegzehrung und neue Behausung dienen. Der Gedanke liegt
nahe, daß Houphouet-Boigny mit dem Bau der Basilika an seinen Tod dachte.
Die Baoulé leiten ihre Existenz von der mythischen Königin Poukou ab, die
im 18. Jahrhundert aus dem heutigen Ghana eingewandert sein soll und dabei
ihren Sohn opferte. Diese Legende läßt sich ohne weiteres in die
katholische Verehrung der Heiligen Maria als Mutter Jesu Christi
übertragen. Die Basilika, die Maria geweiht ist, unternimmt eine offene
Verknüpfung dieser Glaubenswelten. Der Altar in der Mitte des Kirchenraums
verschwindet fast zwischen vier massiven metallenen Säulen, die in 40 Meter
Höhe einen leuchtend blauen Baldachin mit riesigem Kronleuchter und einem
zwei Tonnen schweren Kreuz aus purem Gold tragen. Das soll den
Baoulé-Königsthron darstellen.
Der Bau kostete Hunderte Millionen Dollar. Houphouet-Boigny behauptete
immer, er bezahle alles aus eigener Tasche. Doch während die weiße Kuppel
in den Himmel wuchs, stürzte die ivorische Wirtschaft tief in den Keller.
1990 mußte Houphouet-Boigny demokratische Reformen einleiten. Die
seitherige Krise, die zuletzt ihren Ausdruck im oppositionellen Boykott der
Präsidentschaftswahl vom Oktober 1995 fand, hat auch damit zu tun, daß so
viele Reichtümer des Landes in die Baoulé-Region flossen und in
Yamoussoukro in Stein verwandelt wurden.
Vor der Wahl kursierten in Oppositionskreisen Aufrufe, die „Söhne der
Königin Poukou“ zurück nach Ghana zu treiben. Bald flohen im Südwesten des
Landes 6.000 Baoulé, die auf Kakaoplantagen als Einwanderer lebten, vor
Übergriffen der einheimischen Bete, die mehrheitlich der Opposition
zuneigen. Zeitungskommentare warnten bereits vor den Parallelen zwischen
diesen Vorgängen und den Anfängen des Hutu-Tutsi- Konflikts in Ostafrika.
Knapp zwei Jahre nach Houphouet-Boignys Tod muß Yamoussoukro das Leben neu
erlernen. Der Unterhalt der vielen Monumente ist da ein Problem. Nur die
Straßenbeleuchtung ist Regierungsangelegenheit, die Basilika wird von einer
ivorisch-vatikanischen Stiftung gepflegt – für den Rest ist die Stadt
zuständig. Von ihrem Jahresbudget von 1.050 Millionen CFA-Franc – 30
Millionen Mark – geht dafür ein Fünftel drauf, während für Investitionen
nur 12 Prozent übrigbleiben, klagt Vizebürgermeister Konan im Garten seiner
großzügigen Villa: „Man hat uns Verantwortung übertragen, aber nicht die
Mittel. Wir bitten andauernd die Regierung, das zu übernehmen.“
Präsident Henri Konan Bédié habe im Wahlkampf versprochen, Yamoussoukro zu
einem autonomen Distrikt zu erklären. „Dann gäbe es für den Distrikt einen
eigenen Posten im Staatshaushalt.“ Aber auch Konan weiß, daß Yamoussoukro
nicht ewig am Tropf des Staates hängen darf.
Wandel ist möglich. Das Hotel Président am Stadtrand war seit seiner
Eröffnung im Jahre 1980 hochgradig defizitär. Es kamen kaum Gäste, und 1992
wurde das Fünf-Sterne-Etablissement geschlossen. Die Wiedereröffnung
erfolgte im Februar 1993 ohne Subventionen. „Wir haben die Preise gesenkt“,
erklärt Direktionsassistentin Marie-Ange Brou das neue Konzept: Mit einem
Zimmerpreis von 120 Mark – 80 für Einheimische – ist es jetzt das wohl
billigste Luxushotel der Welt. Dazu kommen die ganz speziellen Vorzüge des
Standorts für Seminare und Konferenzen, wie Finanzchef Victor Mahan
offenbart: „In Abidjan verschwinden Seminarteilnehmer immer an den Strand
oder sonstwohin. Hier bleiben alle da, denn es gibt ja nichts anderes zu
tun.“ Dieses Jahr wird zum erstenmal Profit erwartet.
Aber noch immer können die raren Hotelgäste durch die leeren Marmorhallen
spazieren, als gehöre der 14stöckige Bau ihnen allein. Und wenn abends die
afrikanische Swing-Band „Ein Schiff wird kommen“ aufspielt, hört kaum
jemand zu außer dem Barkeeper. Das Hotel bleibt ein Fremdkörper in einer
Stadt voller Fremdkörper. Im Panorama-Restaurant steht auf dem Dessertmenü
„Pamplemousse Président“, dazu die englische Erklärung: grapefruit with
heavy cream. Und draußen leuchten die Lichter der leeren Stadt, unter deren
schwerer Last die Elfenbeinküste ächzt.
8 Nov 1995
## AUTOREN
Dominic Johnson
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