# taz.de -- Pilgern zur Legende | |
> Der ehemalige Wohnsitz Charles de Gaulles in Lothringen erwartet heute zu | |
> seinem 25. Todestag Massen von Besuchern ■ Aus Colombey-les-deux-Eglis… | |
> Dorothea Hahn | |
Lenin hat sein Mausoleum am Roten Platz, Mao hat seins am Himmlischen | |
Frieden und Charles de Gaulle hat Colombey-les-deux- Eglises. Das | |
lothringische Dorf, zwei Autostunden südöstlich von Paris gelegen, erwartet | |
heute, zum 25. Todestag des Generals, Tausende von Besuchern. Unter anderem | |
haben sich die gaullistischen Mitglieder der Regierung und busseweise | |
Widerstandskämpfer angekündigt, um den größten Toten der Fünften Republik | |
zu ehren. Wie immer am 9. November wird der Pfarrer der kleinen Dorfkirche | |
mehrere Gedächtnismessen abhalten, werden die Hotels des Ortes bis zum | |
Bersten gefüllt sein und werden die fünf Souvenirläden das letzte große | |
Geschäft des Jahres machen, bevor sie ihre Rolläden herunterlassen und die | |
De-Gaulle- Teller, -Tassen, -Aschenbecher und -Wandbehänge für die | |
Winterpause einschließen. | |
Im Unterschied zu Lenin und Mao liebte de Gaulle es bescheiden: Auf seinem | |
weißen Grab am Eingang des Dorffriedhofes, wo außer ihm seine Gattin Yvonne | |
und die früh verstorbene Tochter Anne liegen, stehen nur die Namen der | |
Toten. Blumengaben sind strikt verboten. Zwei Gendarmen wachen rund um die | |
Uhr über die Einhaltung dieser Regel, die de Gaulle persönlich in seinem | |
„letzten Willen“ aufgestellt hat. | |
Die Huldigungen stehen ein paar Meter weiter in mehreren Reihen rund um das | |
jahrhundertealte Eisenkreuz im Zentrum des Dorffriedhofes – Kränze und | |
Marmorplatten von militärischen und politischen Weggefährten. „Merci mon | |
Général“ ist darauf eingraviert, oder: „Zur Befreiung meines Vaterlandes�… | |
unterzeichnet von Einheiten der Résistance oder von Formationen der | |
heutigen Regierungspartei RPR. Auf der höchsten Erhebung weit und breit | |
steht ein 40 Meter hohes Lothringerkreuz aus rosa Granit, das nachts | |
angestrahlt ist. De Gaulle hatte das Kreuz mit den beiden Querbalken zu | |
seinem persönlichen Symbol gemacht. | |
„Der General war überzeugt, daß der nächste Krieg aus dem Osten kommen | |
würde, er wollte sich der künftigen Frontlinie annähern“, erklärt Jean | |
Raullet, seit 29 Jahren Bürgermeister der 350-Einwohner-Gemeinde | |
Colombey-les- deux-Eglises. 1934 kaufte der in Nordfrankreich geborene de | |
Gaulle das Landhaus „La Boisserie“ am Ortseingang. Das Dorf mit seinen | |
dicken Mauern und seinen zurückgezogen lebenden Getreidebauern entsprach | |
ganz seiner Vorstellung von der Provinz. | |
Am 18. Juni 1940, als de Gaulle aus seinem Londoner Exil die Franzosen | |
aufforderte, trotz der Kapitulation von Marschal Pétain weiter gegen die | |
Deutschen zu kämpfen, erfuhr in dem winzigen Flecken kaum jemand davon. | |
Damals machten sich deutsche Militärs in „La Boisserie“ breit und schossen | |
zu ihrem Vergnügen auf eine lebensgroße Puppe, die die Uniform de Gaulles, | |
des Chefs der Résistance, trug. Die Résistance antwortete auf ihre Art. | |
„Einmal“, erzählt der Restaurantbesitzer, „fuhren die von der Résistanc… | |
einem Traktor durch den Ort und schossen auf alle Boches, die ihnen unter | |
die Augen kamen.“ | |
Nach Kriegsende hielt sich de Gaulle in Colombey-les-deux-Eglises dafür | |
bereit, daß ihn die Nation brauchte und zurückrief. 1958, mit dem Putsch | |
der Generäle in Algerien war der Zeitpunkt gekommen. „Der General“ kehrte | |
nach Paris zurück. Er änderte die Verfassung, gründete die Fünfte Republik, | |
schuf die Direktwahl, wurde erster Präsident der neuen Republik, ordnete | |
die Force de Frappe an, begann die Spezialbeziehung zu Deutschland und zu | |
Europa und holte sein Land aus der militärischen Organisation der Nato | |
zurück. | |
Doch Colombey-les-deux-Eglises blieb sein Lieblingsort. Dort verbrachte er | |
seine Wochenenden, feierte Familienfeste, besuchte die Dorfkirche und | |
empfing seine Staatsgäste – unter ihnen Konrad Adenauer. „Wir sind hier | |
seit Jahrzehnten an Besucher und Polizei gewöhnt“, erklärt der | |
Bürgermeister die Ruhe der Ortsbewohner. Zweimal im Jahr – am Todestag und | |
am Jahrestag des Londoner Aufrufs – setzen massive Pilgerbewegungen in das | |
Dorf ein. Aber auch zwischendurch kommen Touristen in das Dorf, das außer | |
dem teilweise in ein Museum umgewandelten gediegen-bürgerlichen Wohnhaus de | |
Gaulles und dem Lothringerkreuz nichts zu bieten hat. Insgesamt sind es | |
120.000 Menschen pro Jahr – darunter zahlreiche einstige Résistants und | |
ihre Angehörigen, sowie viele frühere Begleiter des Generals. | |
Die Colombéiens sind ihrem „Général“ treu geblieben. Bei Wahlen stimmen … | |
zu über 70 Prozent für die Gaullisten – egal, ob es ums Rathaus oder die | |
Regierung in Paris geht. Seit dem vergangenen Mai, als nach drei | |
Wahlperioden Unterbrechung, mit Jacques Chirac wieder ein Gaullist in den | |
Elysee-Palast einzog, sind sie der politischen Macht in Frankreich wieder | |
etwas näher gerückt. Am Morgen seiner Amtseinführung flug Chirac mit dem | |
Hubschrauber nach Colombey-les- deux-Eglises, um kurz am Grab seines | |
Vorgängers und politischen Lehrmeisters zu beten, auf den er sich bei | |
zahlreichen Gelegenheiten beruft. Sein sozialistischer Vorgänger François | |
Mitterrand, immer ein Gegner von de Gaulle, hatte das Dorf während seiner | |
14 Amtsjahre strikt gemieden. | |
9 Nov 1995 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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