# taz.de -- ■ Daumenkino: Leni | |
Der Knecht hat einen Hau – das muß wohl so sein. Immer bloß melken und mit | |
der Forke Misthaufen verschieben, das stumpft ab. Der Eibele will ihn | |
trotzdem nicht hergeben, den stummen Severin, denn er ist der Bruder vom | |
Bauern Eibele (Hannes Thanheiser). | |
Allgäu 1938. Eine wahre Geschichte. In Stiefenhofen kam zu jener Zeit eine | |
Leni zur Welt. Die jüdische Mutter überließ das Baby der Fürsorge frommer | |
Schwestern, die gaben es den Eibeles zur Pflege. Erst geht alles gut, und | |
Leni (Johanna Thanheiser) wächst auf bei Johann und Alwina Eibele (Christa | |
Berndl). Wenig wird gesprochen auf der Alm, der Johann sagt am liebsten | |
sein „So, so“. Was soll auch das viele Gerede? Früh legt man sich nieder, | |
früh kräht der Hahn. Und inmitten karger Rituale und saftiger Wiesen wächst | |
die Leni auf. Leo Hiemer, der Regisseur von „Leni“, kommt aus der Gegend. | |
Die Bilder vom Landleben stimmen. Die beiden Aussparungen im Herd, eine | |
fürs Milchfläschchen, die andere für den Schlaftrunk vom Johann. Das karge | |
Weihnachtsfest in der niedrigen Stube. Vollkommen überzeugend auch, wie die | |
kinderlosen Eibeles mit der Leni umgehen, die da plötzlich im Ehebett in | |
der Mitte liegt – und kräht und schreit. Hiemer vermeidet es | |
dankenswerterweise, süßliche Bilder der süßen kleinen Leni | |
aneinanderzureihen, nach der alten Kino-Weisheit, Tiere und kleine Kinder | |
gehen immer. Klug auch, wie er der Gefahr papierner Dialoge entrinnt, indem | |
er den Leuten einfach Redensarten in den Mund legt, nachdem er ihnen etwas | |
abgehört. Auch als der Bürgermeister - die Nürnberger Gesetze sind seit | |
drei Jahren in Kraft – die Jüdin Leni den Eibeles wegnehmen will, wird im | |
Dorf keiner konkret. Vom Heim kommt sie nach Auschwitz. Das sagt bloß | |
einer, der neue Lehrer Blatzer (Franz Buchrieser). Ein Sozi mit dem Drang, | |
Gutes zu tun. Da wird Leo Hiemers Film leider plötzlich schwarz-weiß, | |
gewissermaßen. Denn so unvermittelt und unmotiviert sich der Blatzer für | |
die Leni ins Zeug legt, so holzschnittartig-karikaturistisch agiert der | |
150prozentige Nazi und Bürgermeister von Stiefenhofen. Sein Brotberuf: | |
nein, nicht Schlachter, bloß Schuster, aber trotzdem. Und der Herr Pfarrer | |
muß sich, so will es das Bilderbuch, aufs Philisterhafteste gebärden. | |
Natürlich hat der Lehrer keine Chance. Leni kommt nie zurück. Und Johann | |
Eibele zerhackt – eine versöhnend eindringliche Sequenz – in stiller Wut | |
all das, was ihn an Leni erinnert. | |
Leo Hiemer kennt man von seinem Dokumentarfilm Daheim sterben die Leut. | |
Weil „Leni“ keinen Verleih bekommen hat, aber 100.000 Mark | |
Verleihförderung, zieht Hiemer mit zehn Kopien durch die Lande. Ein | |
Prädikat „Besonders wertvoll“ hat er auch. Aber so schlimm ist „Leni“ | |
wirklich nicht. Alexander Musik | |
„Leni“. Regie: Leo Hiemer | |
21 Mar 1996 | |
## AUTOREN | |
Alexander Musik | |
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