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# taz.de -- Todesurteil für Koreas Diktator
> 1980 ließ der damalige Staatschef Süd-Koreas ein Massaker anrichten.
> Gestern wurde er verurteilt. Sein Nachfolger soll für 22 Jahre hinter
> Gitter  ■ Aus Seoul Georg Blume
Chun Doo Hwan ist kein geschlagener Mann. Erhobenen Hauptes und mit
rebellischem Blick erhebt sich der General, der Süd-Korea acht Jahre lang
mit eiserner Faust regierte, vor seinem Todesrichter. Neben ihn tritt
General Roh Tae Woo, Chuns Nachfolger als Präsident von 1988 bis 1992. Ein
weiteres Dutzend Generäle folgt den beiden ehemaligen Regenten auf die
Anklagebank. Für einen kurzen Moment drücken sich die Anführer des Clans,
der sich 1979 an die Macht putschte, in alter Vertrautheit die Hand. Dann
verliest der Richter das Urteil: die Todesstrafe für Chun und 22 Jahre
Freiheitsentzug für Roh. Im Saal der Bezirksgerichts von Seoul, wo auf den
hinteren Bänken Angehörige der Diktaturopfer Platz genommen haben, herrscht
Totenstille. Kein Jubel bricht aus, kein Protest. Das Urteil entspricht
inzwischen den Erwartungen der meisten. Vielleicht können es die direkt
Betroffenen gerade deshalb nicht fassen.
Vor den Toren des Justizpalastes hadert die 34jährige Park Kyung Sim mit
ihrem Schicksal: „Die Urteile gegen die übrigen Generäle sind zu weich
ausgefallen. Vielleicht kann die zweite Instanz das Todesurteil wieder
zurücknehmen“, sorgt sich die Generalsekretärin des
Hinterbliebenenverbandes der Diktaturopfer. Von einem Sieg will sie nicht
sprechen. Dabei hätte noch vor einem Jahr niemand in Süd-Korea die
Verurteilung der alten Dikatatoren für möglich gehalten.
Den Tag der Gerechtigkeit verdankt Süd-Korea einer Stadt im Süden des
Landes: Kwangju. Hier ließ General Chun im Mai 1980 seine Truppen
einmarschieren, um einen von ihm selbst provozierten Aufstand in der Stadt
blutig niederzuschlagen. Parks Bruder befand sich damals unter den
Demonstranten, die in Kwangju gegen den sechs Monate zuvor verübten
Militärputsch Chuns in Seoul protestierten. Er wurde von Soldaten mit
Maschinengewehren auf offener Straße erschossen.
„Die Seite der Angeklagten führte in Kwangju einen inneren Krieg. Mit
blutiger Gewalt wurden die Bürger von Kwangju unterdrückt“, heißt es nun im
Richterurteil von Seoul. Für Historiker ist das längst selbstverständlich,
für die Betroffenen jedoch bis heute nicht.
Um Mitternacht vor dem Urteilstag versammeln sich die Angehörigen der Opfer
des Massakers von 1980 noch einmal am Ort des Verbrechens. Vor dem Rathaus
von Kwangju, wo sich im Mai vor sechzehn Jahren die Leichenberge unter
Plastikplanen türmten, warten zwei Busse, um die Hinterbliebenen zum Prozeß
nach Seoul zu bringen. Vier Abgeordnete des Stadtrats grüßen die
Prozeßfahrer. Geführt werden sie vom Priester Cho Bi Ho, der 1980 von der
Armee verhaftet wurde.
„Die meisten Angehörigen hatten mit den damaligen Protesten nichts zu tun“,
erinnert Cho. Statt dessen seien sie durch die ständigen Verfolgungen
zusammengeschweißt worden, denen sie sich nach dem Massaker durch die
Sicherheitskräfte Chuns ausgesetzt sahen. Jedesmal, wenn der General später
Kwangju besuchte, wurden die Hinterbliebenen in Bussen aufs Land
verschleppt. So lernten sie sich langsam kennen, Menschen völlig
unterschiedlicher Herkunft aus allen sozialen Klassen, ohne deren
gemeinsamen Kampfgeist der heutige Prozeß seines moralischen Rückhalts
entbehrt hätte.
Zur frühen Morgenstunde haben die Busse schließlich den Justizpalast in
Seoul erreicht. Priester Cho gibt letzte Anweisungen: Man solle in der
Gruppe bleiben, sich vorsichtig gegenüber der Polizei verhalten und an die
Ereignisse von damals denken. Wegen nichts anderem sei man hier. Dann legen
die älteren Frauen ihre traditionellen Trauergewänder an, die in ihrem
prächtigen Weiß eher an westliche Hochzeitskleider erinnern. Draußen haben
Polizisten und Militärs das Gericht umstellt. Vor ihren dichten Reihen
rollen die Gäste aus Kwangju schon um sieben Uhr früh ihre Transparente
aus: „Für die richtige Vergangenheitsbewältigung muß den Tätern die höch…
Strafe zuteil werden“, ist zu lesen und: „Keine Begnadigung!“
Niemand anders wird an diesem Tag noch demonstrieren. Selbst die Studenten
machen Pause. Um so wichtiger aber ist der Protest aus Kwangju: Er zeigt,
für wen das Urteil gegen die Generäle gesprochen wird.
Viele Süd-KoreanerInnen sehen die Prozeßgeschichte immer noch anders. Sie
erklären das ungewöhnliche Verfahren gegen zwei Expräsidenten mit den Nöten
des amtierenden Präsidenten: Kim Young Sam habe im vergangenen Sommer
Kommunalwahlen verloren und sei gezwungen gewesen, mit einem politischen
Coup die Symphatien zurückzugewinnen. Nur deshalb habe er das Verfahren
gegen Chun und Roh eingeleitet, die im ganzen Volk unpopulär sind. Die
Medien haben sich seit Wochen ausführlich mit den politischen Taktiken im
Prozeß beschäftigt, so daß zeitweilig der Eindruck entstehen konnte, als
gehe es um nichts anderes. Hinzu kommt, daß der Haß auf die Generäle heute
mehr von ihren kürzere Zeit zurückliegenden Korruptionsaffären herrührt als
von den Gewalttaten in Kwangju. Ist das Wort von der
Vergangenheitsbewältigung also doch verfrüht?
Jung Hyang Ja (45) aus Kwangju ist anderer Meinung. Die Arbeitsberaterin
der katholischen Kirche, die während des Massakers die Leichenliste vor dem
Rathaus führte und den Angehörigen bei den Identifizierung der Opfer half,
ist vom Wert des Verfahrens in Seoul überzeugt: „Nur weil die Macht der
Bürger reif genug war, konnten wir die ehemaligen Präsidenten vor Gericht
bringen. Früher hat niemand außerhalb Kwangjus die Geschichte des Massakers
geglaubt. Heute zweifelt kaum jemand mehr daran.“
Der beste Beweis für den Wandel, der sich mit dem Präsidentenprozeß
vollzieht, findet zwischen Hügeln und Reisfeldern im Norden Kwangjus statt.
Dort liegen die Bürger der Stadt begraben, und ein kleiner, abgelegener
Flecken ist bis heute den Opfern des Massakers gewidmet. Doch nun planen
Stadt und Regierung Großes: Schon wird ein mächtiger Bergrücken von einer
Großbaustelle überzogen, auf der bereits die Grundsteine für ein
Quasiheldenmonument für die Opfer von Kwangju errichtet sind. So imposant
ist das Bauwerk angelegt, daß kein Zweifel besteht, wer hier mit welchen
Zielen Regie führt: Die demokratische Regierung in Seoul will die
Gelegenheit nicht versäumen, sich mit der Verurteilung Chuns nicht nur neue
Legitimität, sondern auch eine neue Heldenlegende zu verschaffen. Weshalb
die Todesstrafe gegen Chun entgegen allen Gerüchten um eine rasche
Begnadigung tatsächlich vollstreckt werden könnte. Die Angehörigen der
Opfer wollen die Umlegung ihrer Gräber auf den neuen Friedhof nämlich erst
nach dem Tod des Verurteilten gestatten.
27 Aug 1996
## AUTOREN
Georg Blume
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