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# taz.de -- Hanns Zischler: Eine Stadt teilt sich nicht von selbst mit
> „Vielleicht erleben wir ja noch, mit der taz am Ort des Geschehens, dass
> sich das Tor zum Süden wieder öffnet und die südliche Friedrichstadt nach
> Kreuzberg hinüberspringt.“
Man muss es geradezu als einen Glücksfall des Mauerbaus ansehen, dass die
geplante endgültige Vernichtung der südlichen Friedrichstadt und ihre
Verwandlung zum Autobahnzubringer zur Planungsmakulatur geworden ist. Der
irdische Rest dieser megalomanen Autobahnplanung ist bis heute der dicke
Ring des Mehringplatzes. Und natürlich kann man beklagen, dass die von der
Internationalen Bauausstellung 1983–1987 einmal begonnene Verdichtung
Stückwerk geblieben ist – ohne zu verschweigen, dass einige der
realisierten Teile ästhetisch zu wünschen übrig lassen.
Die Kraft des Barock – einer Epoche, die Berlin rabiater als andere Städte
und nicht erst durch den Bombenkrieg aus seinem Stadtkörper getilgt hat,
als wäre es eine gefährliche Krankheit – sollte in gewandelter Gestalt in
dieser südlichen Friedrichstadt noch einmal spürbar werden – als
stadtraumsetzende, den ursprünglichen Trassen und Segmenten folgende neue
Planung und Gestaltung.
Natürlich kann man, gerade weil es so verlockend ist, wie einst Julius
Rodenberg, der um 1880 im Ton eines wehmütigen Chronisten den Abriss des
mittelalterlichen Berlin beklagt hat, die Fehlerfortpflanzung in der
Stadtentwicklung geißeln, doch sinnvoller scheint mir, die Impulse zu
betonen und verstärken, die einen Ausweg weisen und Alternativen aufzeigen.
Gleich zu Beginn der Friedrichstraße – sie zählt ja aufsteigend, von Süden
nach Norden – hat linker Hand der Theodor-Wolff-Park (in den ersten Jahren
vor seiner Umwidmung hieß er katastermäßig „Block 20“) das durch Krieg u…
Zerstörung massiv entstellte Areal bis hinüber zur Stresemannstraße durch
terrassierte Flächen eingefasst und den Anwohnern ein bisschen Ruhe
gebracht (Bolzplatz inbegriffen). Dass er vom Amt nicht so gepflegt wird,
wie es ursprünglich vorgesehen war, er aberdennoch seit 1989 gut angenommen
wird, spricht für seine robuste Kondition. Zu den schönsten Überraschungen
des Spaziergängers gehört es, hier unten auf ein hervorragend
ausgestattetes Schreibwarengeschäft zu stoßen.
Eine Stadt teilt sich nicht von selbst mit. Diskrete Zeichen verbergen sich
hinter den plakativen. Die vergleichende Betrachtung von Zeichnungen und
Fotografien, Plänen und Karten ebenso wie die flüchtigste mündliche
Überlieferung und das unscheinbarste fait divers enthalten Botenstoffe, die
gelesen werden wollen.
Wie ein starker Strom trennt die Kochstraße den Norden vom Süden – bis
heute. Der Norden zeigt Muskeln, geizt nicht mit Pracht– und Zierbauten,
hat sich nach dem Mauerfall mit erstaunlicher Rasanz „besser situiert“ als
der ärmere Süden: eine Entwicklung, die offenbar historisch vorgegeben ist.
Fontane lobte die wohltuende Stille der südlichen Friedrichstraße: Die
Kochstraße „zog eine Grenze zwischen Stadt und Vorstadt, diesseits lag der
Lärm, jenseits die Stille … Aus der Zone des Rollwagens war man in die der
schlafenden Droschke getreten. Die Läden hörten auf, die Jalousien fingen
an.“
Der Süden „schläft“ heute nicht mehr. Und um im Bild zu bleiben: Wecken u…
beleben lässt er sich durch beispielhafte Verdichtung. Wie eine große, weit
geöffnete Kulissenwand eröffnet und festigt heute das GSW-Hochhaus (von
Sauerbruch & Hutton) an der östlichen Spitze der südlichen Friedrichstadt
das Quartier. Einen besseren Widerpart zum Springerhochhaus hätte man nicht
errichten können: eine wahrhaft südliche, eine Mailänder Antwort. Ein Bau,
der nicht zwangsläufig in seinen Dimensionen, aber in seinem ästhetischen
Anspruch Maßstab setzend ist.
Zu erinnern ist auch an ein Gebäude, das neben der verschwundenen Passage
zwischen Linden- und Friedrichstraße und in unmittelbarer Nachbarschaft zur
späteren Markthalle stand und als ein wirklich überirdischer (und
ungewöhnlich gut proportionierter) Baukörper bezeichnet werden darf: die
1834 von Schinkel erbaute, von Alexander von Humboldt geförderte
Sternwarte, die zweimal wöchentlich für das interessierte Publikum geöffnet
war. Der sonnenferne Neptun wurde hier entdeckt. Wir können dieses
einzigartige Phantom heute nur noch im Abglanz von Bauzeichnungen, eines
Gemäldes und einer zarten Fotografie von Schwartz von 1865 bewundern, doch
genau deshalb sollte gelegentlich an dieses aus dem strengen Stadtraum
herausragende Gebäude erinnert werden.
(In diesem Zusammenhang, der eigentlich gar nicht hierher, d.h. in die
südliche Friedrichstadt, gehört – aber bestimmte, lockende Abschweifungen
sollte man nicht einfach unterdrücken –, sei an die überwältigend elegante
und formsichere Kongresshalle (1964) von Henselmann östlich des
Alexanderplatzes, direkt neben dem Haus des Lehrers, erinnert.
Möglicherweise war es die Kuppel, die Schinkels Observatorium wie den Bau
Henselmanns ziert, welche diese Assoziation in mir ausgelöst hat.)
Auf ihre Weise schön und streng, von geradezu belebender Monotonie waren
die Reihenhäuser, die seit 1730 die Friedrichstraße nach Süden säumten.
Hundert Jahre später hat Adelbert von Chamisso hier gewohnt, von dort ging
er in seinen späteren Jahren den weiten Weg zu seinem Arbeitsplatz im
Botanischen Museum in das Dorf Schöneberg. Ein Foto seines Gartenhauses in
der Friedrichstraße hat die Zeit überdauert.
Die Modernisierung (Sanierung plus Elektrizität) der nördlichen
Friedrichstadt, des Presseviertels, hat rasch auf die südliche
ausgestrahlt: Er war einer der ersten Stadtteile, in dem 1865 eine
funktionierende Kanalisation und 1885 ein „Krafthaus“ der AEG eingerichtet
wurde.
Der unterirdische Strang der U-Bahn erfüllte, ähnlich wie die S-Bahn von
Neukölln nach Siemensstadt, den Zweck, die Werktätigen aus dem Südosten in
die „randgewanderte“ Schwerindustrie im Nordwesten zu befördern und
gleichzeitig die relativ schmale, aber hochfrenquentierte nördliche
Friedrichstraße und ihre Querstraßen zu entlasten. „Nord-Süd“ war der
treffende Name der heutigen U-Bahn-Station „Kochstraße“ – ähnlich
geografisch ortlos und sachlich wie „Ring über Ostkreuz“: Londoner
Namensprägungen der Underground standen hier Pate.
Vielleicht erleben wir ja noch, mit der taz am Ort des Geschehens, dass
sich das Tor zum Süden wieder öffnet, die heute für den Blick verstellte
Amerika-Gedenkbibliothek (ein anderer, großartiger Nachkriegsbau mit bester
Nutzung) um einen Annex erweitert wird und schließlich die südliche
Friedrichstadt nach Kreuzberg hinüberspringt. Auf diese Weise könnte eine
Utopie von Peter Lenné aus dem frühen 19. Jahrhundert zu Ehren kommen,
einen der aus Potsdam nach Berlin hereinfließenden Grünzüge am
Belle-Alliance enden zu lassen und das Quartier noch etwas wohnlicher zu
machen.
Dank an Helmut Geister für seine inhaltliche Unterstützung
13 Aug 2014
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