# taz.de -- Zig Liter Menstruationsblut | |
> ■ Sie waren Bibeln der Frauenbewegung. Sechs Frauen, die sie damals | |
> nachbeteten, haben sie heute wieder gelesen. Mit Schaudern, Scham und | |
> Schmunzeln | |
## Das doofere Geschlecht? | |
„Auch hier wohnt ein Frauenfeind“, hat die Autorin auf das Fenster ihres | |
Prinzen gesprüht, und so prangt es als Titelfoto auf ihrem Buch, das ich | |
etwa 1981 gelesen haben muß, mit damals 21 Jahren. Der autobiographische | |
Bericht über eine schwer gescheiterte Liebe war ein Bericht aus der Welt | |
der Erwachsenen (die Autorin war fünf Jahre älter als ich), aus der | |
Uni-Szene, die ich gerade erst kennenlernte, und aus einer linken Ecke (KB | |
& Co.), in die ich vermutlich nie selbst hineingeraten würde. Ob ich jemals | |
derart verbissen mit Männern aneinandergeraten würde, war noch nicht raus. | |
Beim Wiederlesen bin nun ich merklich erfahrener als die Autorin damals und | |
habe ein wenig Mitleid mit ihr. Inzwischen weiß ich, daß jeder Mann ein | |
Frauenfeind ist (was will sie also?), und kann außerdem beim Lesen | |
erkennen, daß die Autorin weniger an ausgeprägten Chauvi-Macken ihres | |
Angebeteten leidet als daran, daß er sie eben nicht liebt. So quält es die | |
Leserin, daß Merian nicht abläßt von ihrem Liebes- und Verfolgungswahn, | |
statt sich endlich mit irgend etwas Sinnvollem zu beschäftigen. Dieser Mann | |
muß zur Strecke gebracht werden, wenn nicht physisch, dann jedenfalls | |
literarisch, noch dazu in einem Jargon, den man heute, wo wir ja alle | |
längst cool geworden sind, ebenso mitleidig belächelt wie die bescheuerte | |
Folklore-Mode von damals. | |
Es wäre also leicht, mit dem Buch abzurechnen, aber es wäre nicht gerecht. | |
Daß jeder Mann ein Frauenfeind ist, wissen wir nicht zuletzt, weil wir | |
unsere eigenen Erfahrungen gespiegelt haben an der Lektüre dieses und | |
vergleichbarer Bücher. Vor den sogenannten Frauenbüchern gab es kaum eine | |
Möglichkeit, weibliche Alltagserfahrungen als allgemeine und unzufällige | |
zur Kenntnis zu nehmen. Daß dabei, soweit ich weiß, niemals ästhetisch | |
gelungene Literatur entstand, ist heute ausnahmsweise einmal völlig | |
wurscht. Beim Wiederlesen bemerke ich, daß mir die äußerst nervensägende | |
Form der Merianschen Liebesverfallenheit, nämlich die Stilisierung noch | |
winzigster Sentimentalitäten und die Kultivierung größter Blödigkeiten (wie | |
monatelanges Warten neben dem Telefon) vermutlich deshalb so schwer auf den | |
Sack geht, weil sie mir in den inzwischen verstrichenen fünfzehn Jahren | |
leider auch nicht völlig unbekannt geblieben sind. Wahrscheinlich sind wir | |
Damen eben doch das doofere Geschlecht. Ernsthaft bekritteln kann ich | |
deshalb eigentlich nur Merians kompletten Mangel an Humor. Auch bei Dorothy | |
Parker hockten Frauen verblödet neben dem Telefon, aber es gab jedenfalls | |
etwas zu lachen: „Als das Telefon nicht klingelte, wußte ich ganz genau, | |
daß du es warst.“ Susannne Fischer | |
Svende Merian: „Der Tod des Märchenprinzen“. | |
buntbuch, Hamburg 1980 | |
## Das andere Geschlecht? | |
Vor knapp einem Jahrzehnt überraschten mich die von Beauvoir aufgedeckten | |
Frauenfeindlichkeiten, die sich durch alle Jahrhunderte bis in unsere Tage | |
fortsetzen, noch außerordentlich. Mittlerweile sind viele einfach sattsam | |
bekannt. Etwa daß Aristoteles forderte: „Wir müssen das Wesen der Frau als | |
etwas betrachten, was an natürlicher Unvollkommenheit leidet.“ Das hat bis | |
heute aber nicht dazu geführt, es auch endgültig für schwachsinnig zu | |
erklären. So möchte man meinen, Millionen von Frauen, die weltweit täglich | |
an Fitneßmaschinen baumeln, hätten Aristoteles und das Körperideal der | |
Antike geradezu verinnerlicht. Daß sich der Philosoph allerdings weniger | |
auf die Körpermasse, sondern vielmehr auf die Hirnmasse bezog, sei hier | |
dahingestellt. | |
Denn gerade in diesem Punkt ist Beauvoirs Werk noch immer faszinierend; wie | |
sie bereits Ende der 40er, weit entfernt von Ergebnissen der neuen | |
Genforschungen und Neurologie, all den bewußt konstruierten biologistischen | |
Geschlechtsunterschieden eine Absage nach der anderen erteilt. Und nach zig | |
Litern verflossenen Menstruationsblutes in dem Buch ist frau um einige | |
Erkenntnisse über die Ursachen der Schwierigkeiten zwischen den | |
Geschlechtern reicher. Derzeit sind Ansätze, die Unterschiede zwischen | |
Männlein und Weiblein biologistisch zu erklären, wieder groß im Kommen. So | |
war sich Der Spiegel nicht zu blöde, in einem Artikel zur Frage nach | |
zeitgemäßen Mädchenschulen neue Hirnforschungsergebnisse zu publizieren. Im | |
Durchschnitt sei ein Frauenhirn 100 Gramm leichter, allerdings klappe dafür | |
bei den Frauen der Austausch zwischen den Hirnhälften besser. Und das wird | |
so selbstverständlich verbreitet, daß es noch nicht einmal eine Randnotiz | |
wert ist, daß weiterhin 80 Prozent des Hirns unerforscht sind. Wichtig | |
bleibt: Die Frau ist eben anders. | |
Das will ich heute nicht mehr einsehen, würde Simon de Beauvoirs Frage | |
einfach andersrum stellen: „Was ist ein Mann?“. Denn schließlich ist er das | |
andere Geschlecht. Petra Welzel | |
Simone de Beauvoir: „Das andere Geschlecht“. Paris 1949 | |
## Es kam und blieb | |
Meine aktive, frauenbewegte Zeit dauerte genau eine Woche. So lange hielt | |
ich es bei der Besetzung eines „Frauenraumes“ im Gang des Philosophischen | |
Instituts aus. Dann hatte ich es satt, bei Vanilletee über männliche | |
Machtstrukturen an der Uni zu debattieren, während die Machtstrukturen | |
staunend an diesem selbstgebastelten Käfig vorbeidefilierten. | |
Aber mein Problembewußtsein war geweckt. Hatte ich nicht daheim so eine | |
männliche Machtstruktur sitzen, die meinen liebenden Herzmuskel – wegen | |
Treue und so – immer wieder mal schmerzhaft zum Zusammenschnurren brachte? | |
Allein, in der feministischen Pflichtlektüre dieser Jahre kehrte man der | |
Männerwelt meist kurzerhand den Rücken zu. Keine Lösung für mich. | |
Wie machten das bloß Sartre und Beauvoir, die Ikonen der offenen (!) | |
Beziehung? Das wäre doch eine Identifikationsfigur! Nur: Wie hält die Frau | |
das eigentlich aus? So kam ich zu Beauvoirs Roman „Sie kam und blieb“. | |
Darin drängt sich die blöde Landpomeranze Xavière in die offene (!) | |
Beziehung zwischen Françoise und Pierre. Auf 370 Seiten schrie es mir | |
entgegen: Die Frau hält das überhaupt nicht aus! Und wenn Beauvoir das | |
nicht aushält... Ich zog also das Fazit: Ich darf leiden. Noch keine | |
Lösung, aber wenigstens eine Hilfestellung. | |
Beim Wiederlesen fiel mir jetzt auf, wie unerträglich eitel und geschwätzig | |
meine damalige Lebenshilfe in Wirklichkeit ist. Und daß ich das Ende des | |
Romans ganz vergessen hatte: Françoise bringt Xavière nämlich um. Immerhin | |
weiß ich jetzt wieder, was ich im Ernstfall zu tun habe. Barbara Häusler | |
Simone de Beauvoir: „Sie kam und blieb“. Rowohlt Verlag, 1979. | |
## „Ich bin ich – hoffentlich!“ | |
„Mein Elend begann mit der Schwangerschaft“, heißt es im ersten Satz. „W… | |
hat das mit mir zu tun?“ denke ich. Und vor allem: „Was hatte das damals | |
mit mir zu tun?“ Ich sitze im ICE und halte jenes Buch in der Hand, das | |
mich vor 15 Jahren derart faszinierte, daß es diverse Umzüge überlebte. | |
Sitze da und ertappe mich dabei, daß ich das Buch immer wieder verschämt im | |
Schoß verstecke. Damit nicht jeder gleich sieht, was ich da lese. Ein | |
Heterodrama aus den Siebzigern! Was nur hat mich als Junglesbe daran | |
beeindrucken können? An dieser Judith Jannberg, die sich mit 22 von einem | |
dahergelaufenen Jurastudenten erst schwängern, dann heiraten, dann | |
schlagen, schließlich völlig erniedrigen läßt? An diesem | |
Schwangerschaftselend, das sich auf ein klassisches Rollenverständnis | |
beruft und so drei ungewollte Kinder und vier Abtreibungen hervorbringt – | |
bevor es endlich, endlich in Emanzipation mündet? | |
„Ich bin ich“, schreibt die 42jährige Judith Jannberg am Ende ihrer 17 | |
Jahre währenden Irrfahrt. „Ich bin ich – hoffentlich“, schreibe ich, die | |
17jährige, auf den Deckel meines Schulhefts. Meine Sorgen sind in dieser | |
Zeit ganz andere. Der Feminismus hat sich bereits so weit durchgesetzt, daß | |
er schon eigene Buchhandlungen hervorgebracht hat. In denen streife ich | |
herum, auf der Suche nach Lesbenbüchern, die Vorbilder für meine eigene | |
Selbstfindung sein können. | |
„Männer sind es nicht wert!“ sagt mir Judith Jannberg mit jedem Satz ihres | |
Buches. „Hüte dich vor ihnen. Sie wollen dich nur ausbeuten. In rasantem | |
Tempo hetzt die Autorin durch ihre Ich-Erzählung. Kämpferisch, | |
agitatorisch, heißblütig in der Fokussierung des Feindbilds Mann; | |
larmoyant, selbstgerecht und scheinheilig in der Bearbeitung der eigenen | |
Opferrolle. Warum, so fragte ich mich schon damals, muß eine Frau siebenmal | |
ungewollt schwanger werden? | |
Beim Wiederlesen löst sich meine Faszination von einst kläglich auf: als | |
ein rüde herangezogener Beleg dafür, daß ich durchaus auf dem richtigen Weg | |
bin. Männer sind es tatsächlich nicht wert. Wer ihnen seine Liebe schenkt, | |
kommt bestenfalls darin um. Kinder sind eine Last. Ökonomische | |
Selbständigkeit – um die ich wohl nicht herumkommen werde – ist ein | |
erstrebenswertes, durch nichts zu ersetzendes Gut. „Ich bin ich“ – das | |
Coming-out-Buch? Es hatte wohl doch einen Sinn, daß ich diesen Band bisher | |
noch nicht verloren habe. Wie „Häutungen“, „Die Scham ist vorbei“ oder | |
„Patience und Sarah“. Klaudia Brunst | |
Judith Jannberg: „Ich bin ich“. | |
Kindler, München 1980 | |
## Perverse Häutungen | |
So ein Sonnenbrand ist eine fiese Sache. Das brennt und zwickt und zieht. | |
Bis sich die Haut endlich pellt und man mit der neuen seine Ruhe hat. Wer | |
masochistisch veranlagt ist, kann sich dabei die halbtoten Hautstreifen | |
Stück für Stück vom Fleisch ziehen. Verena Stefan beherrscht diese kleine | |
Foltermethode perfekt. Schrittchen für Schrittchen beschreibt sie ihren Weg | |
vom Fegefeuer patriarchaler Abhängigkeit zum Vorhimmel der Frauen. Da | |
warten wahre Liebe und Freiheit – und nur ein ganz klein wenig Sex. Denn | |
ohne Verzicht auf die Fleischeslust keine Katharsis. Monatelang liegt sie | |
mit der Geliebten Rücken an Rücken, schenkt nichts als Wärme und | |
Kuscheligkeit, bis das Gift des „Koitus“ und des „Penis“ ausgeschwitzt … | |
und frau sich der Freundin frisch und gereinigt zuwenden kann. | |
Das klingt dann so: „Stückchen für stückchen, schwesterchen / leben für | |
leben / versteinerung für versteinerung / vergangenheit für vergangenheit / | |
fingerkuppe für fingerkuppe / angst für angst / nähe für nähe / lächeln f… | |
lächeln / wort um wort / haut um haut / zuneigung um zuneigung / o | |
schwesterchen / du wirst staunen, was für berge wir zusammentragen!“ | |
Haben wir uns das wirklich angetan? Jawohl, Mitte der 70er Jahre, in | |
zigtausendfacher Auflage und mit perversem Vergnügen. Wie grauenhaft mühsam | |
müssen die ersten Denk- und Gehversuche gewesen sein, wenn wir noch nicht | |
einmal das Gefühl hatten, uns mit diesen verhärmten 128 Seiten zu quälen. | |
Wenn wir wie erleuchtet waren von Sätzen wie: „dies ist nicht meine welt. | |
ich will keine gleichberechtigung in dieser welt. ich will neben keines | |
mannes brutalität und verkümmerung gleichberechtigt stehen.“ | |
Frau als armes Opfer, dummes Opfer, stummes Opfer. Kuhäugig, unterworfen, | |
ausgebeutet. Dagegengestellt die wunderbare Erfahrung der lustvoll erlebten | |
Menstruation und des ersten Tampons. Auch schön. Wie das Tagebuch meiner | |
Oma und nicht einer Frau der Nachkriegsgeneration. Oder ist es nur einfach | |
peinigend, sich daran zu erinnern wie an die mit Clearasil bekämpften | |
Hautunreinheiten? Lang und breit legt uns Verena Stefan ihre Suche nach | |
einer neuen Ausdruckform dar. Das Ergebnis ist, sagen wir mal, rührend. Bei | |
ihrer Vision der neuen Frau, dieser anheimelnden Mischung aus einer Irren | |
und einer Pennerin, können wir nur inständig hoffen, daß sie nie in | |
Erfüllung gegangen ist: „Cloe trägt flicken ihrer alten häute an sich | |
herum, sie ist bunt gescheckt und geht kichernd durch die straßen.“ Bascha | |
Mika | |
Verena Stefan: „Häutungen“. | |
Frauenoffensive 1975 | |
## Angst vorm Fliegen | |
Hamburg, 1981: Der Wirt der kleinen Eimsbüttler Kneipe, dem ich einen | |
gutbezahlten Oberstufenschülerjob als Küchenhilfe verdanke, seufzt leise. | |
Es ist Dienstag. Dienstag ist feministischer Frauenstammtisch. Der Wirt | |
sieht so aus, wie Frauenstammtische sich zu dieser Zeit Männer wünschen: | |
Halblange Haare, ein damenhafter Ohrring, eine Weste über dem leicht | |
knittrigen Hemd. Wie jeden Dienstag diskutiert die Gruppe das Patriarchat; | |
Kichern scheint laut Satzung verboten. Der Wirt beeilt sich, allen Wünschen | |
so schnell wie möglich nachzukommen. Zu seiner Sicherheit trägt er einen | |
Button, auf dem ein eingeknicktes bzw. erschlafftes Männlichkeitssymbol zu | |
sehen ist. Für eine Schülerin, die erst seit kurzem regelmäßig und | |
begeistert vögelt, ist das alles schwer zu verstehen. | |
Hamburg, 1982: Nach Gloria Steinems Reportagen greife ich zu einer | |
Schwarte: „Angst vorm Fliegen“ von Erica Jong. Hier berichtet die | |
Ich-Erzählerin Isadora Wing, wie sie ihren als Analytiker tätigen Ehemann | |
verläßt, um mit einem anderen Analytiker durch Europa zu touren. Isadora | |
Wing hat Angst vor der beruflichen Selbständigkeit und Angst, ohne einen | |
Mann an ihrer Seite durchs Leben gehen zu müssen. Während ich die ersten | |
beiden Ängste nachvollziehen kann, steht lebenslange Zweisamkeit noch lange | |
nicht zur Debatte. Erica Jongs Beschreibung der Ex-Ehemänner Isadora Wings | |
gefällt mir sehr. Besonders schön ist das Kapitel über Brian, der sich für | |
Jesus hält und dies beweisen will, indem er eine New Yorker Kreuzung bei | |
Rot überquert. Daß „Angst vorm Fliegen“ als besonders „offen“ und | |
„freizügig“ gilt, weil die Autorin ihrer Heldin jede Menge Sex gönnt, | |
scheint mir übertrieben. Warum nicht? | |
Berlin, 1996: Ich verstehe nicht, warum Isadora Wing ausgerechnet mit | |
Adrian Goodlove durchgebrannt ist. Ich mag ihre seitenlang geschilderte | |
Entwicklung zur Schriftstellerin nicht. Aber nach wie vor schätze ich ihre | |
Ausfälle gegen Deutsche im Freibad, ihre sichere Einschätzung der Gründe, | |
warum Männer sich als Feministen hervortun, und ihre Überlegungen zum Thema | |
„Spontanfick“: Wunsch und Wirklichkeit haben nichts miteinander zu tun. | |
Aber das kann sehr komisch sein. Carola Rönneburg | |
Erica Jong: „Angst vorm Fliegen“. S. Fischer Verlag, Frankfurt 1976 | |
29 Aug 1996 | |
## AUTOREN | |
Fischer / Welzel u.a. | |
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