# taz.de -- „Fräulein Nietzsche“ | |
> Elisabeths Wille zur Macht. Nietzsches Schwester betrieb die | |
> Faschisierung des Philosophen ■ Von Klaus Englert | |
Elisabeth Förster-Nietzsche gilt als die Hohepriesterin des | |
Nietzsche-Kults. Einer ihrer schärfsten Kritiker war Walter Benjamin, der | |
im März 1932 schrieb: „Nirgends ist während der wilhelminischen Ära die | |
Mobilmachung provinziellen Spießertums, das heute seine politischen Früchte | |
zeigt, sorgfältiger als im Archiv vorbereitet worden.“ | |
Benjamin hatte damals zu Recht kritisiert, daß sich das von Elisabeth | |
Förster-Nietzsche geleitete Archiv im politischen Fahrwasser des | |
heraufkommenden Nationalsozialismus bewegte. Dennoch darf diese recht | |
eindeutige politische Tendenz nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Archiv | |
zu Beginn des Jahrhunderts beachtliche Erfolge erzielte und allgemein | |
respektiert wurde. Vor kurzem hat erst eine Weimarer Tagung zu Elisabeth | |
Förster-Nietzsche diesen oft vernachlässigten Aspekt eingehender | |
untersucht. Der Karlsruher Literaturwissenschaftler Hansgeorg Schmidt- | |
Bergmann führte aus, daß die Anfänge des Archivs in keinem eindeutigen | |
ideologischen Kontext stehen. Sie sind „nicht einsinnig allein auf eine | |
Traditionslinie zu beziehen, die den Nationalsozialismus ideologisch | |
vorbereitet hat“. Auch die Berliner Philosophin Martha Zapata Galindo | |
meinte, daß die „Faschisierung Nietzsches“ keineswegs vom Nietzsche- Archiv | |
ausging. In dieser Diskussion geht es weder um eine fortgesetzte | |
Dämonisierung noch um eine Rehabilitierung Elisabeth Förster-Nietzsches. | |
Dieses einfache Entweder-oder-Schema hilft bei ihr keineswegs weiter. Denn | |
trotz aller Skandale und mancherlei Kritik muß bedacht werden, daß | |
Elisabeth, die 1894 das Archiv aufbaute, als agile und | |
durchsetzungskräftige Frau so gar nicht zum Frauenbild der Jahrhundertwende | |
paßte. Die große Wirkung von Nietzsches Schriften führte man nicht zuletzt | |
auf ihre Editionspraxis zurück. | |
Es gelang ihr darüber hinaus, die unterschiedlichsten Künstler ans Archiv | |
zu binden. Etwa den sozialistisch inspirierten Henry van de Velde sowie | |
Herwarth Walden, einer der wichtigsten Vermittler der künstlerischen | |
Avantgarde. Seit 1904, als Walden Vorsitzender des Vereins für Kunst war, | |
führte er eine rege briefliche Korrespondenz mit Elisabeth | |
Förster-Nietzsche, er lud sie zu regelmäßigen Nietzsche-Abenden nach Berlin | |
ein, warb um ihre Mitarbeit bei der Gründung eines avantgardistischen | |
Zeitschriftenprojekts, und später, als Herausgeber des Sturm, bat er sie um | |
Beiträge. | |
Zu erwähnen ist auch Elisabeths zunächst enge Beziehung zu dem aufgeklärten | |
und kosmopolitischen Schriftsteller Harry Graf Kessler. Bekanntlich spielte | |
Kessler in der Avantgarde eine ähnliche Rolle wie Walden, doch Kessler | |
träumte wie viele seiner Zeitgenossen vom heroischen und messianischen | |
Nietzsche, der wie ein „Meteor in die rationalisierte und mechanisierte | |
Zeit“ eingedrungen sei. Mit Unterstützung Elisabeths, aber auch in | |
Zusammenarbeit mit André Gide, Anatole France, Walther Rathenau und H.G. | |
Wells plante er den Bau eines gigantischen Festspielplatzes als Denkmal für | |
Nietzsche. Nicht zu vergessen in diesem Freundeskreis ist Richard Dehmel, | |
der, nach Meinung Harry Graf Kesslers, „bedeutendste Dichter“ seiner Zeit. | |
Dehmel bekannte sich als „heimlicher Verehrer“ Elisabeths. Seine Beziehung | |
zu ihr begann, als er sie 1904 bat, für eine literarische Anthologie einige | |
Gedichte des Bruders auszuwählen. Seiner abgöttischen Beziehung zu | |
Elisabeth ist es zuzuschreiben, daß er Nietzsches Werk einzig durch die | |
Brille der Schwester sah. | |
Das Erstaunliche an Förster- Nietzsches kulturpolitischem Einsatz sind die | |
Brüche, die von ihrer autoritären, völkischen und antisemitischen | |
Grundhaltung ablenken. Vieles bleibt nach wie vor bei dem „Fräulein | |
Nietzsche“ (Kurt Tucholsky) im dunkeln. Diese Frau mit Spitzenhäubchen und | |
der „Haltung eines Generals“ (Ursula Sigismund) ist von jenen Ambivalenzen | |
geprägt gewesen, die kennzeichnend für die wilhelminische Gesellschaft | |
waren. Elisabeth ließ sich von den antisemitischen Vorstellungen des | |
alternden Wagner berauschen, den sie mit ihrem Bruder in der beschaulichen | |
Idylle Triebschens am Vierwaldstätter See besuchte. All dieses Blut-und- | |
Boden-Gebräu kam in jenem unseligen Bernhard Förster zusammen, den | |
Elisabeth im Mai 1885 ehelichte. Friedrich blieb der Trauung demonstrativ | |
fern. Elisabeth unterstützte ihren Mann in seinem Gladiatorenkampf gegen | |
die vermeintliche jüdische Gefahr. Nachdem er wegen Judenhetze aus dem | |
Schuldienst suspendiert wurde, sammelte sie mit ihm über eine viertel | |
Million Unterschriften zur Einführung eines Melderegisters für Juden. | |
Elisabeth erkannte nicht, daß sie durch ihre „verfluchte Antisemiterei“ | |
(Friedrich Nietzsche) und durch ihre im Grunde neidvolle und mißgünstige | |
Liebe zu ihrem Bruder auch das Verhältnis beider zerstörte. Statt dessen | |
blieb sie allen Wirrnissen zum Trotz sich und ihren Idealen treu. „Die | |
Ansichten von Fritz werden mir immer unsympathischer. Ich wünschte mir | |
bloß, Fritz hätte Försters Ansichten. Er hat Ideale, die zu befördern und | |
zu befolgen die Menschen glücklicher und besser macht. Man wird Förster | |
einmal als einen der besten deutschen Männer und Wohltäter der Deutschen | |
preisen.“ | |
Was Elisabeth unter Idealen und Menschheitsbeglückung verstand, erwies sich | |
an dem denkwürdigen Tag des 15. Februar 1887. Zusammen mit ihrem Mann und | |
14 deutschen Familien brach sie nach Paraguay auf, um dort die rein arische | |
Kolonie Nueva Germania zu gründen. Angeregt wurde sie von Wagners Aufsatz | |
„Religion und Kunst“ (1880), worin der altersschwache Genius die Gründung | |
einer deutsch-vegetarisch-lutherischen Kolonie in Südamerika empfahl. | |
Zusammen mit dem vegetarischen Leberwurstfreund Förster schärfte sie den | |
Kolonisten ein: „Wir werden eine arische Herrenrasse züchten, hier in den | |
Wäldern von Südamerika. Ich werde euch in ein neues Vaterland führen. Nur | |
die Stärksten, die Reinblütigsten werden uns begleiten. Das alte | |
Deutschland ist korrupt, aber das neue Germanien wird ewig dauern.“ Nun, zu | |
den „Stärksten“ gehörten offenbar weder sie selbst noch ihr Mann, denn | |
beide sind ihrem Aufruf ferngeblieben, „den Urwald im Schweiße unseres | |
Angesichts zu roden und den fruchtbaren Boden für die Kultur zu bereiten“, | |
damit „wir uns als geistige Erben von Richard Wagner“ erweisen. Während sie | |
den „Idealismus der Taten“ (Eugen Diederichs) predigte, stürzte sich ihr | |
Mann in immer größere Schulden. Am Ende seines heroischen Lebenswegs | |
angelangt, blieb ihm nur der Selbstmord. | |
Aber Nueva Germania, die Insel der edlen Arier, gibt es noch heute, dank | |
konsequenter Inzucht. | |
Nachdem sie 1889 nicht nur vom Tod ihres Mannes, sondern auch vom geistigen | |
Zusammenbruch ihres Bruders erfuhr, reifte in ihr der Entschluß, „den | |
kolonialen Angelegenheiten Lebewohl zu sagen“, um sich „einer anderen | |
großen Lebensaufgabe“ zu widmen, „der Pflege meines einzigen, teuren | |
Bruders, des Philosophen Nietzsche“. Sie ignorierte einfach, daß sich | |
Friedrich schon lange zuvor „unwiderruflich“ von ihr getrennt hatte. Der | |
dahinsiechende Bruder wurde fortan in das weiße Gewand eines Brahmanen | |
gesteckt und bei öffentlichen Anlässen wie eine göttliche Erscheinung | |
vorgeführt. Dieser Umgang paßte gut zur Heroisierung, der sich Nietzsche | |
posthum durch die Editionspraxis seiner Schwester fügen mußte. Das von | |
Elisabeth zusammengeflickte Werk „Der Wille zur Macht“, das grandiose | |
Machwerk ihrer „Willkürakte“ (Walter Benjamin), galt als Appell an ein | |
heroisches Deutschland. Den 1914 in den Krieg ziehenden Soldaten wurde eine | |
Feldausgabe des „Zarathustra“ in den Tornister gesteckt: Gedacht war er als | |
„eine große Herausforderung an die Deutschen, sich zu erheben und zu | |
kämpfen“. Die Inthronisierer eines heroischen Nietzsche waren in den | |
zwanziger Jahren vornehmlich die Vertreter einer nationalistischen und | |
rechtsradikalen Richtung. Ihnen wurde Nietzsche zur Bibel, um das Parlament | |
als „Reichsquasselbude“ zu diffamieren, um die „Ursprünglichkeit alles | |
Politischen“ und die Intensität des „gefährlichen Lebens“ zu preisen. | |
Bezeichnend ist Elisabeths Kontakt mit dem faschistischen | |
Literaturhistoriker Arturo Farinelli und ihre frühe Begeisterung für | |
Mussolini, dem sie eine Lederausgabe der Schriften ihres Bruders schenkte. | |
Sie selbst und Max Oehler schrieben Lobeshymnen auf den Duce, der zur | |
Uraufführung seines Napoleon-Dramas „Campo di Maggio“ ins Nationaltheater | |
nach Weimar eingeladen wurde. Elisabeth war zwar zunächst untröstlich wegen | |
des Duces Absage, aber Mussolini, diese Verkörperung eines heroischen | |
Willens zur Macht, wurde von einem anderen Führer mit einem großen | |
Rosenstrauß in der Hand bei einer „Tristan“-Aufführung bestens vertreten. | |
Nun hatte Elisabeth zwei mächtige und spendable Gönner. Das | |
Nietzsche-Archiv, über das Harry Graf Kessler bemerkte, in ihm sei „alles | |
vom Diener bis zum Major hinauf Nazi“, wurde nun häufig von den höchsten | |
NS-Würdenträgern aufgesucht. Neben Hitler höchstpersönlich: Alfred | |
Rosenberg, Fritz Sauckel, Baldur von Schirach, Hans Frank und Wilhelm | |
Frick. Elisabeths großer Traum hatte sich erfüllt: Der „heroische | |
Nietzsche“ wurde zum „herrlichsten Wegbereiter“ des Nationalsozialismus. | |
Nach dem Tod der alten Dame dankten es ihr die Nazis, daß sie es so | |
vortrefflich verstanden hatte, Tatkraft und Heroismus als das Verbindende | |
zwischen Nietzsches Philosophie und dem Nationalsozialismus | |
herauszustellen. Reichsstatthalter Fritz Sauckel, der Schlächter von | |
Thüringen, huldigte der Weisheit der Verblichenen. Nun seien sie beide „in | |
die Unsterblichkeit gegangen“. | |
9 Nov 1996 | |
## AUTOREN | |
Klaus Englert | |
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