| # taz.de -- Der Tod und die Dichterin | |
| > ■ „Die Frau ist vollendet“: Über die facettenreiche Schriftstellerin | |
| > Sylvia Plath – anläßlich einer Lesung | |
| „Ich bleibe einstweilen leben / Und teil meinen Vormittag ein / Meine | |
| Finger sind das, das mein Baby. / Die Wolken sind ein Hochzeitskleid, so | |
| blaß.“ Die amerikanische Schriftstellerin Sylvia Plath kokettierte nicht | |
| mit dem Tod, sie suchte ihn. Das bezeugen ihre Schockgedichte in Ariel wie | |
| ihr Roman Die Glasglocke. Neben der Todessehnsucht handelt Plaths Werk von | |
| weiblicher Reflexion und Rebellion. | |
| Heute abend wird die Schauspielerin Ulrike Grote im Schauspielhaus aus | |
| Sylvia Plaths Werk lesen, vornehmlich aus der Glasglocke, eingerahmt von | |
| Gedichten und Briefen. Die melancholischen wie die mutigen, die | |
| kämpferischen wie die respektlosen Facetten der Dichterin werden dabei | |
| gleichermaßen vorgestellt: „Ich war meine eigene Frau.“ | |
| Auf die Frage, was er zum Frühstück esse, antwortet ein zufällig | |
| angesprochener Mann in der Erzählung Einführung: „Birkhuhnaugenbrauen auf | |
| Toast.“ Erklärend sagt er: „Birkhühner leben auf den Mooren der Märchen, | |
| fliegen herum und singen wild und süß in der Sonne und haben sehr | |
| wohlschmeckende Augenbrauen.“ Diese verblüffende Antwort macht dem Mädchen | |
| Millicent Mut, ihre eigenen Vorstellungen zu verwirklichen, statt bloß | |
| denen der Mitschülerinnen zu entsprechen. Wie Millicent geht es vielen | |
| Frauengestalten bei Sylvia Plath: Sie spüren, daß sie allen | |
| gesellschaftlichen Anforderungen genügen könnten, verzichten aber gerade | |
| auf diese Anpassungsleistung und die verheißene Anerkennung: „Ich haßte die | |
| Vorstellung, Männern irgendwie zu dienen.“ Die Frauen leiden jedoch dabei | |
| sowohl am Zwang zur Anpassung wie an eben deren Verweigerung, werden | |
| zerrissen von diesem Zwiespalt. | |
| Die Glasglocke ist inzwischen ein Klassiker der Frauenliteratur: Esther | |
| Greenwood verkörpert darin exemplarisch das Lebensgefühl junger | |
| Amerikanerinnen in den 50er Jahren – mit aller Strebsamkeit, Prüderie und | |
| Heuchelei. Die erfolgsgewohnte 19jährige Stipendiatin wird bei einem | |
| Schreibkurs abgelehnt, bricht zusammen und verübt einen Selbstmordversuch. | |
| Nach der erfolgreichen Elektroschockbehandlung scheint es schließlich, als | |
| fasse Esther wieder Fuß im Leben. | |
| Eine Frau wird wahnsinnig – die Glasglocke ist dabei Metapher für die | |
| Abwesenheit von Luft und Leben: „Für den Menschen in der Glasglocke, leer | |
| und eingeschlossen wie ein totes Baby, ist die Welt der schlechte Traum.“ | |
| Dabei stehen düstere neben witzigen Passagen, etwa wenn es um die Usancen | |
| des Collegealltags oder die Kläglichkeit der männlichen Spezies geht: Als | |
| Ediths boyfriend sich erstmals vor ihr auszieht, war das einzige, woran sie | |
| „denken konnte, Truthahnhals und Truthahnmagen, und (sie) war sehr | |
| deprimiert“. | |
| Sylvia Plaths Selbstmord wenige Monate nach Erscheinen der Glasglocke – sie | |
| war knapp 30 Jahre alt – schuf Mythen um die Verfasserin und ihre | |
| übermächtigen Depressionen. Janet Malcolms anregend-nachdenkliches neues | |
| Buch Die schweigende Frau zeigt, wie alle bisherigen Biographien Sylvia | |
| Plaths Leben und Sterben mit denselben stereotypen Bedeutungen aufzuladen: | |
| Warum bringt sich eine hochbegabte Schriftstellerin um, die doch mit dem | |
| erfolgreichen Lyriker Ted Hughes verheiratet war und zwei kleine Kinder | |
| hatte? Aus diesem Stoff speisen sich unzählige Schlüssellochgeschichten um | |
| den untreuen Ehemann, der die todessüchtige Konkurrentin im Stich läßt und | |
| sie in die Ausweglosigkeit treibt. | |
| Der Nachruhm Sylvia Plaths ist ohne das Wissen um ihren Tod nicht mehr zu | |
| denken. Im Gedicht Rand schrieb sie wenige Tage vor ihrem Freitod am 11. | |
| Februar 1963: „Die Frau ist vollendet. / Ihr toter // Körper trägt das | |
| Lächeln des Erreichten.“ | |
| Frauke Hamann | |
| Lesung in der Schauspielhaus-Kantine, heute 23 Uhr. Im Hamburger | |
| Kellner-Verlag ist erschienen: Janet Malcolm: Die schweigende Frau. Die | |
| Biographien der Sylvia Plath; 220 S., 38 Mark. | |
| 31 Mar 1995 | |
| ## AUTOREN | |
| Frauke Hamann | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |