# taz.de -- ■ Filmstarts à la carte: Die weibliche Perspektive | |
In der von Männern dominierten Traumfabrik stellte Dorothy Arzner die große | |
Ausnahme dar: Sie war die einzige Frau, die sich im klassischen | |
Studiosystem Hollywoods eine dauerhafte Karriere als Regisseurin aufbauen | |
konnte. Als Stenotypistin hatte Arzner einst beim Film begonnen – über | |
Tätigkeiten als Scriptgirl, Drehbuchautorin und Cutterin arbeitete sie sich | |
nach oben. | |
Nachdem sie sich Ende der zwanziger Jahre mit einer Reihe von kommerziell | |
erfolgreichen Komödien als Regisseurin etabliert hatte, konnte Arzner in | |
ihren späteren Filmen eine persönliche (und somit weibliche) Perspektive | |
entwickeln: Meist drehte sie Melodramen mit starken, unkonventionellen | |
Heldinnen; die Männerfiguren erscheinen oft schwächlich und konfliktscheu, | |
ohne dabei zu Karikaturen zu verkommen. Zwei der Filme Dorothy Arzners | |
zeigt das Arsenal- Kino in der kommenden Woche: „Nana“ (1934), der nach dem | |
Roman von Emile Zola vom Leben einer Kokotte im ausgehenden 19. Jahrhundert | |
erzählt, sowie „Christopher Strong“ (1933). Trotz seines Titels ist auch | |
„Christopher Strong“ in erster Linie die Geschichte einer Frau: Katharine | |
Hepburn (in ihrer zweiten Filmrolle) spielt Lady Cynthia, eine Fliegerin, | |
die alle Rekorde bricht. | |
Als sie sich in den verheirateten Titelhelden verliebt, ändert sich ihr | |
Leben jedoch radikal: Ihm zuliebe gibt sie die Fliegerei und die damit | |
verbundenen Freundschaften auf; zunehmend sieht sie sich auf die Rolle | |
einer Frau reduziert, die am Telefon auf den Anruf des Geliebten wartet. | |
Sehr schön zeigt der Film, daß sich für den Mann hingegen kaum etwas | |
ändert: Sir Christopher behält seine Arbeit, seine Freunde und seine | |
Familie – die Geliebte wird einfach hinzuaddiert. Sir Christopher ist | |
keineswegs unsympathisch, doch gerade sein Versuch, niemandem weh zu tun, | |
verletzt sowohl die Ehefrau als auch die Geliebte am meisten. Am Ende wird | |
Lady Cynthia die Kraft zu eigenen Entscheidungen zurückgewinnen. | |
Einen eigenen Stil hat Dorothy Arzner im Studiosystem nicht entwickeln | |
können, doch geschickt und kompetent nutzte sie, was ihr die Studios bieten | |
konnten: Stars, erstklassige Kameraleute, aufwendige Dekorationen. Und | |
Arzners kritischer Blick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft bleibt | |
bis heute bemerkenswert. | |
„Nana“ 5. 2. im Arsenal | |
Bereits in die dritte Woche geht die Luis Buñuel-Retrospektive im | |
Lichtblick-Kino. Interessantester Film in den kommenden Tagen ist sicher | |
„Der Tod in diesem Garten“, bei uns ehemals unter dem poetischen Titel | |
„Pesthauch des Dschungels“ bekannt. Auf surrealistische Elemente verzichtet | |
der spanische Meisterregisseur diesmal weitgehend, dafür präsentiert er uns | |
die wohl zynischsten und opportunistischsten Charaktere, die jemals einen | |
Abenteuerfilm bevölkert haben: einen hartgesottenen Abenteurer, eine | |
geldgierige Prostituierte mit ihrem verkommenen Zuhälter, einen | |
Diamantenschürfer mit seiner taubstummen Tochter und einen heuchlerischen | |
Priester. | |
Nach einer Rebellion in der Provinz einer südamerikanischen Bananenrepublik | |
befindet sich die ganze Bande unversehens auf der Flucht durch den | |
Dschungel: Je weiter sie sich jedoch von der Zivilisation und den Regeln | |
bürgerlicher Ordnung (die Buñuel als vollkommen korrupt aufzeigt) | |
entfernen, um so menschlicher werden die Figuren. Doch Buñuel läßt keine | |
Hoffnung: Als die Rettung naht, fallen alle vier wieder in ihre alten | |
Verhaltensmuster zurück; überleben werden nur der Zynischste und die | |
Unschuldigste. | |
„Der Tod in diesem Garten“ ist ein spannender Abenteuerfilm, aber der | |
Buñuel-Touch bleibt unverkennbar: Einmal führen einige Soldaten einen | |
Gefangenen zum Verhör. Dabei führt sie ihr Weg durch eine Kirche, in der | |
gerade eine Messe gefeiert wird. Sorgfältig vollziehen sie alle religiösen | |
Gebräuche – um im nächsten Moment, noch in der Kirche, den Gefangenen zu | |
mißhandeln. Was er vom Militär hält, hat der Gefangene ihnen allerdings | |
schon zu Beginn gezeigt – mit jener berühmten Geste, mit der sich Stefan | |
Effenberg einst aus der Fußballnationalmannschaft katapultiert hat. | |
2.–5. 2. im Lichtblick-Kino | |
Lars Penning | |
30 Jan 1997 | |
## AUTOREN | |
Lars Penning | |
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