Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neue Wege in die Traumzeit
> Die Aborigines sind es leid, von weißen Touristikern vermarktet zu
> werden. Sie gründen eigene Reiseunternehmen und bieten sich als Führer an
>  ■ Von Elisa Spalm
Wer Australiens Ureinwohner in der freien Natur sehen will, muß vom
Flughafen Alice Springs nur fünf Minuten weit zu Steiners Bush-Camp fahren.
Dort werden Aborigines täglich von neun bis zwölf Uhr vorgeführt, wie sie
Didgeridoo blasen, Bumerang werfen oder wild bemalt Stammestänze aufführen.
Veranstalter des Happenings ist der weiße Australier Rod Steinert, der
damit seit Jahren ein gutes Geschäft macht. Täglich buchen ganze
Busladungen voller Touristen seine „Aboriginal Dreamtime & Bushtucker
Tour“.
Unmutig verfolgen die Führer der Schwarzen, wie ihre Kultur von Steinert
und anderen weißen Touristikveranstaltern als Urlauber- Appetithappen
verfälscht und ihr Volk aus der Zooperspektive vorgeführt wird. Im Hinblick
auf die Olympischen Spiele 2000 in Sydney drängen sie Australiens
Fremdenverkehrsmanager, ein korrektes Bild ihres Volkes weiterzugeben und
seriöse Aboriginal- Guides zu engagieren, wenn es darum geht, fremde
Reisende in den Mythos, die Kunst und das spirituelle Selbstverständnis der
letzten Überlebenden aus der Urzeit der Menschheit einzuführen.
Manche Aborigines überlassen das Touristikgeschäft gar nicht mehr den
Weißen. Sie haben inzwischen die ersten eigenen Reiseunternehmen gegründet.
Oft sind es die Mischlinge mit dem besseren kommerziellen Gefühl, die die
Initiative ergreifen. Wie der Farmer George LeRossignol, der eigentlich
Tjina Naket (Barfuß) heißt und zum Stamm der Mpwalarra gehört. Zusammen mit
seiner Frau Mary Tjanima und den sechs Kindern Loyola, Erron, Karri,
Craigh, Tanja, Lilian betreibt er in Zentralaustralien, 100 Kilometer
südlich von Alice Springs, die Oak-Valley- Farm. George, der seinen
Geschäftssinn und die blauen Augen dem französischen Vater und einer
irischen Oma verdankt, führt individuell Einzelreisende und kleine Gruppen
durch sein 130 Quadratkilometer großes Reich.
Halbwilde Pferde galoppieren verschreckt vor dem Geländewagen her, in dem
uns George durch sein Land kurvt: eine Halbwildnis aus zerklüfteten Bergen,
Spinifex- Ebenen und weitläufigen Sandpisten. Die Fahrt geht über alte
holprige Viehtreiberrouten, vorbei an weißen Eukalyptusriesen, schütteren
Akazienwäldchen und weglosen Schluchten in ein verlassenes Tal. Dort bückt
sich George und hebt Steine vom Boden auf. Viele zeigen Fossilien von
Fischen und Schnecken, Abdrücke von Muscheln und Seegurken. „Die stammen
aus dem Amadeussee, der sich vor einigen Millionen Jahren – noch vor den
Dinosauriern – in Zentralaustralien ausbreitete“, erzählt der stabile
Farmer mit dem sonnenzerfurchten braunen Gesicht und den schwarzen Locken
unter dem Cowboyhut.
Seine Ahnen, die ersten Ureinwohner Australiens, kamen vor siebzigtausend
Jahren auf den fünften Kontinent. Als die Weißen 1788 Australien
entdeckten, vertrieben sie die Schwarzen vom angestammten Grund und Boden.
Erst vor einigen Jahren gelang es den ersten Stämmen, nach langen
Gerichtsverfahren einen Teil ihres Eigentums wiederzubekommen. Zu den
wenigen neuen Aboriginal- Grundbesitzern zählt auch Georges Familie: Seit
sieben Jahren gehört ihr dieses Land wieder, denn sein Schwiegervater, „der
hundertjährige Old Jark Kenny“, konnte anhand versteckter Kultzeichen und
Zeremonienplätze beweisen, daß die Mpwalarra hier immer gelebt haben.
Ein Beweisstück aus dieser eigenen Vergangenheit ist Ewaninga, ein heiliger
Ort mit schrägen Felsplatten voller mysteriöser Zeichen, die die
Stammesältesten hineinkratzen, wenn sie in der Ebene davor ihre Corroborees
feierten. „Old Jark Kenny hat solche Corroborees als Kind noch miterlebt
und uns davon erzählt“, sagt George. „Auch von den geheimen
Initiationsriten, die Knaben zu Männern machten...“ Er verstummt, als wolle
er die letzten Geheimnisse für sich behalten. Und seine rauhen Fingerkuppen
fahren andächtig über die Runen.
George/Tjina Naket entführt uns mit seinen Berichten in die Urzeit: als
Australien noch eine dunkle, leere Ebene war. Damals stiegen vorzeitliche
Schöpferwesen aus dem Boden, wanderten über den wüsten Planeten und
erschufen dabei Bäume, Berge, Flüsse, die Tiere, die Blumen und schließlich
die Menschen. Danach legten sie sich wieder schlafen. Zu dieser „Tjukurpa“,
zur „Traumzeit“ des Aboriginal-Glaubens, entstanden auch die bizarren
Sandfeldformen der James Range, ein Bergzug an der LeRossignol- Farm. Die
amtliche Informationstafel behauptet trocken wissenschaftlich, die felsige
Wunderlandschaft voller Torbögen, Grate, Höhlen, Tunnel und Krater sei
„entstanden durch Erosion und Überschwemmung“. Ein Aboriginal weiß das
besser:
„Hier begann damals, vor unendlich vielen Jahren, der große Regenbogen.
Irgendwann einmal brach ein gewaltiger Hagelsturm hernieder und verwüstete
alles. Hier seht ihr noch die Einschläge der Eisbrocken.“ George zeigt auf
merkwürdige runde Knubbel im rostroten Fels. Manche sind klein wie Murmeln,
andere groß wie Tennisbälle. „Gleichzeitig goß es in Strömen, das Wasser
stürzte wie aus gewaltigen Bottichen vom Himmel. Aber nur auf einer Seite
der Gebirgskette; dort stieg denn auch das Wasser immer höher, und alles
ertrank, während die Welt auf der anderen Seite verdorrte. Da tauchte als
Retterin die Regenbogenschlange auf; sie grub sich dreimal durch den Berg
und buddelte diese Tunnel hier, durch die das Wasser in die staubtrockene
Ebene fließen konnte.“
Die Regenbogenschlange, die mächtigste der mythischen Gottheiten, hat sich
nach dem Glauben der Aborigines im Ayers Rock zur Ruhe gelegt. „Uluru“
nennen die Ureinwohner den roten Monolithen, der sich wie ein gewaltiger
runzliger Delphin im Zentrum des heißen Kontinents erhebt. Der Berg ist der
heiligste ihrer Kultplätze. Seit 1985 gehört er wieder den Stämmen, die
rund um den Uluru leben. In ihrem Auftrag sorgen weiße Ranger zur Zeit
dafür, daß die herumkraxelnden Touristen den Uluru nicht verschandeln und
die Regenbogenschlange stören. Aber einige der traditionellen
Landeigentümer haben auch eigene Reisedienste gegründet: Die Pitjantjatjara
beispielsweise besitzen die Firma „Desert Tracks“. Die beiden schwarzen
Mitbesitzer Nganyinytja und Ilyatjari führen ihre Besucher auf
Spaziergängen rund um den zerklüfteten Fuß des Bergklotzes in die
Geheimnisse des Uluru ein; sie zeigen ihnen die Höhlen, die von Geistern
geschaffen und von ihrem Volk für heilige Zeremonien benutzt wurden, die
magischen Zeichnungen an den Höhlenwänden und das Wasserloch, wo sich die
Wasserschlange Wanambi verbirgt.
200 Kilometer nördlich vom Ayers Rock, am Kings Canyon, betreiben die
Kurkara die „Lilla- Tours“. Reisende können mit den Stammes-Guides Jimmy,
Caroll oder Albert ausgedehnte Canyon- Walks unternehmen. Für eilige
Besucher/innen steht ein zweistündiger Abendbummel im Programm. Eine solche
„Sunset Tour“ durch die Umgebung vermittelt einen naturnahen Überblick üb…
den Küchenalltag der Ureinwohner.
„Meine Großmutter“, erzählt Caroll, hat unser Brot aus eingeweichtem
Mulga-Samen gebacken.“ Während die Männer tagelang unterwegs waren, um
Känguruhs oder Emus zu jagen, sorgten die Frauen für den täglichen Eintopf:
Sie sammelte Beeren, pflückten die kleinen wilden Tomaten und klaubten
Früchte von den Bäumen: Wüstendatteln, Galläpfel, wilde Feigen und die
unscheinbaren Buschpflaumen, die mehr Vitamine haben als eine Orange. Sie
zerrieben Samenkörner in den Malsteinen vor ihren Hütten und mischten den
Puder zu nahrhaften Pasten. Dazu gab's Eidechsen und Schlangen.
„Meine Großmutter fand geröstete Schlangen delikat“, berichtet Caroll und
schüttelt sich: „Ich kann sie nicht ausstehen.“ Köstlich hingegen findet
sie Witchetty, eine weiße, fingerdicke Raupenart, die sich durch die
Wurzeln bestimmter Bäume frißt. „Eine Aboriginal- Frau wußte mit einem
Blick, welcher Akazienbaum von den eiweißreichen Viechern befallen war, und
buddelte sie mit ihrem krummen Grabstock aus.“
Wer mit dieser drallen Einheimischen durch den Busch streift, begreift
plötzlich, daß jedes unauffällige Gestrüpp ein Geheimnis wahrt. Der Blood
Tree (Blutbaum) enthält blutstillenden Saft. Mit dem Blattöl aus den
Mulgabüschen schmierten die Männer ihre Speerspitzen ein, „weil das Zeug im
Blut der Tiere giftig wirkt“. Und die zerriebenen Blätter des wilden
Tabakbusches wurden mit dem Pulver einer bestimmten Eukalyptusrinde zu
einem Aufputschmittel vermischt.
Caroll und die anderen Führer ihres Stammes wohnen heute selbst in
phantasielosen Stein- Wellblech-Häusern, die ihnen die Regierung
hingestellt hat. Aber draußen haben die Kurkara noch einige der
traditionellen Wiltljas gebaut, luftige Hütten aus Zweigen und Laub. Caroll
erinnert sich an die vielen Nachmittage, wo sie und die anderen Enkelinnen
von der Großmutter dort unterrichtet wurden. „Sie malte Landkarten unserer
weiteren Umgebung auf den sandigen Boden und markierte mit Nüssen und
Steinchen die verschiedenen Orte“, erzählt die temperamentvolle Führerin.
Später verrät sie uns auch, daß sie ihre milchkaffeebraune Haut der
Genußsucht des Großvaters verdankt. „Er lieh seine Frau eines Nachts an
einen weißen Stockman, einen australischen Cowboy, aus – gegen den
begehrten Tabak und einen schlichten Beutel Zucker.“ Das nächste Kind hatte
eine helle Haut, für die Aborigines ein Wunder der Natur. Aber die Weißen
wußten Bescheid. Und weil sie hofften, daß Mischlinge leichter zur
zivilisierten Lebensart erzogen werden könnten, nahmen sie den schwarzen
Müttern die hellen Kleinen weg. Carolls Mutter kam als Baby in eine
Missionsstation und kehrte erst mit 20 zu ihrem Stamm zurück.
26 Apr 1997
## AUTOREN
Elisa Spalm
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.