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# taz.de -- Berliner Ästhetik und andere Grauwerte: Die stillen Blätter des J…
Fotografie als biographische Mobilmachung: „Lebt und arbeitet im
Städte-Dreieck Berlin, Hamburg und Los Angeles“, heißt es am Ende der
spärlichen Liner Notes zu Jim Raketes gesammelten Werken (Photographien
1970–1997, Schirmer & Mosel, 216 S., 78 DM), der illustrierten Geschichte
eines eher stillen Erfolges mit eindeutig berlinoiden Grundtönen. Über die
Anfänge ist wenig mehr bekannt, als daß ein Job bei der B.Z. dazugehörte,
jener Boulevardrose, die hinsichtlich der Fusion von Sexploitation und
extremer Kiezigkeit Wegweisendes für Berlin leistete. Die ersten Fotos aus
den Siebzigern zeigen, was damals auf dem sicheren Weg zum Klassiker war
(Jagger, Hendrix, Ray Charles), aber auch bereits Fassbinder und den jungen
Bruno Ganz vor stark lokalkolorierten Hintergründen.
Die größtmögliche Entfernung zum Prinzip Schirmel & Mosel, das ihn nun
(oder er es?) eingeholt hat, hatte Rakete klar zu Ende der Siebziger, als
er Berliner Ästhetik fabriketagenmäßig betrieb und mit am Bild jenes Subs
aus Industrieruinenromantik, Prä-Slackertum und anderen Grauwerten
strickte, das in „Westdeutschland“ Zuzugsphantasien weckte, sich zäh bis in
die Neunziger hielt und noch heute durch den tragischen Ben Becker
verkörpert wird. Nena, Cosa Nostra und Spliff, die sogenannte Neue Deutsche
Welle, für deren Berliner Sonderweg Rakete die Images entwarf, waren
freilich immer schon mitgedacht, wenn er Interzone (s.o.) beim Sofalümmeln
beobachtete oder Brandmauern als atmoschaffende Locations rehabilitierte.
1986 machte Rakete seine kleine Factory dicht, was sich im Werk wiederum
nicht erkennbar krisenhaft, sondern als entwicklungsromaneske Weitung ins
Internationale niederschlägt. Plötzlich hängt er mit Jungs wie Richard
Avedon und Charles Lindbergh ab, und die ein oder andere kalifornische
Palme ragt ins Lastwagenplanengrau der Hintergründe. Hinsichtlich der
Berliner Interieurs allerdings verharrt er weitgehend auf dem Stand der
Achtziger (Café Einstein, Paris Bar), mit Blick auf das Personal ist eine
Hinwendung zum Altberliner Theaterfilz (Otto Sander) und zur neueren
deutschen Komödie zu verzeichnen: Jürgen Vogel, Richy Müller, Katja von
Garnier, Franziska van Almsick. Wie er sie alle findet, ist aus diesen
Bildern nicht zu begreifen, jede/r wird von Rakete mit dem gleichen Level
an Grundfreundlichkeit bedacht, was auf philanthropische Adern,
Blasenbildung oder einsetzende Altersgleichgültigkeit schließen läßt. Die
Vermutung ist nicht unbegründet, daß Rakete vor seinen Sessions
buddhistisch meditiert. tg
23 Jul 1997
## AUTOREN
tg
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