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# taz.de -- ■ Nachschlag: Vom Rande der Nacht: 24 Stunden von Kei Takei bei…
24 Stunden sind lang für eine Performance, 24 Stunden sind kurz für ein
ganzes Leben. Aber mit weniger gibt sich Kei Takei nicht zufrieden. Das war
der jungen Tanz-Studentin schon klar, als sie 1967 von Tokyo nach New York
kam. Gegen die Abstraktion des Modern dance wollte sie die eigene Erfahrung
mobilisieren und begann 1969 mit einer Rekonstruktion von
Kindheitsmomenten. So entstanden die ersten Kapitel des 24stündigen Zyklus
„Light“, die ihre Performance Samstag abend im Theater am Halleschen Ufer
einleiteten. Um Mitternacht kam die Zeit der Träume, denen sie als
Choreographin nachjagt. Von der Unmöglichkeit, sie festzuhalten, erzählt
der 17. Abschnitt „Traumfänger“, in einer großen symbolischen Aktion.
Bündel über Bündel packen die Tänzer aus, überschwemmen die Bühne mit
Kleidern, bunte Stoffetzen fliegen durch die Luft. Gierig grapschen die
Männer und Frauen, belauern sich, zerren, ziehen, zanken, schlüpfen
zappelnd und zitternd in die dünnen Fähnchen. Doch je mehr sie an sich
raffen und überstreifen, desto zerlumpter wirken sie. Am Ende haben sie
sich fast bis zur Bewegungslosigkeit gefesselt.
Als die ersten Zuschauer zwischen ein und zwei Uhr kurz einnickten, blickte
Takei auf eine Zeit der Krise zurück. Zugemüllt wurde die Bühne mit endlos
aus den Kulissen fliegenden Requisiten. Die Tänzer, der Wiederholungen
müde, schimpfen, und die Choreographin singt ihnen (und den Zuschauern) ein
Schlaflied. So berühren sich Biographie und Aufführungszeit, erhält der
Lebenszyklus den Rhythmus eines Tages. Zugleich blättern die Kapitel einen
allgemeinen Katalog menschlicher Schwächen und Leidenschaften auf, und
neben dem universellen Anspruch scheint eine soziale Wirklichkeit auf: In
Takeis Figuren, unermüdlich mit kleinen Bündeln unterwegs, ist der
krummbeinige Wandermönch der japanischen Legenden ebenso gegenwärtig wie
die Heimatlosen der Großstädte heute. Wer der Performance vom Theater am
Halleschen Ufer in die Klosterruine (mit dem Bus) folgte, bekam selbst ein
wenig von dem Gefühl einer Nacht ohne eigenes Bett mit. Katrin Bettina
Müller
12 Aug 1997
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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