# taz.de -- "Der kritische Dialog ist tot" | |
> ■ Der iranische Botschafter kehrte nach Bonn zurück. Dies sei ein guter | |
> Anfang, meint Hossein Mousavian. Die Wiederaufnahme des kritischen | |
> Dialogs hält er für ausgeschlossen, die Deutschen sollten sich um "ihr | |
taz: Herr Botschafter, wir begrüßen Sie in einem Land der Habsucht und der | |
fleischlichen Lust. So zumindest charakterisiert der Religiöse Führer des | |
Iran, Ajatollah Chamenei, die westliche Zivilisation. | |
S. Hossein Mousavian: Die Ausführungen des Ajatollah Chamenei sind nicht | |
gegen Deutschland gerichtet. Es gibt in Deutschland noch viele andere Dinge | |
außer denen, die Sie aufgezählt haben: eine sehr gute Wirtschaft, eine | |
große Kultur und große Philosophen – und vor allem eine gute Bevölkerung. | |
Sie sind jetzt seit sieben Monaten Abwesenheit wieder im Land. Ist zwischen | |
dem Iran und Deutschland jetzt wieder alles beim alten? | |
Die Krise nach dem Mykonos- Urteil war eine der schwersten Krisen | |
überhaupt. Noch sind nicht alle Probleme gelöst. Allerdings haben wir einen | |
guten Anfang gemacht. | |
Werden die deutsch-iranischen Beziehungen abermals belastet, wenn das | |
Mykonos-Urteil rechtskräftig wird? | |
Ohne Irritationen wird das nicht abgehen. | |
Die europäischen Außenminister werden im Januar darüber beraten, in welcher | |
Form sie den kritischen Dialog fortführen wollen. Stehen Sie in einem | |
solchen Dialog noch zur Verfügung? | |
Wir werden uns an einem solchen kritischen Dialog nicht beteiligen. Aus | |
unserer Sicht ist der kritische Dialog tot und kann nicht wiederbelebt | |
werden. | |
Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Rudolf | |
Seiters, hat gesagt, er knüpfe die Neuauflage des Dialogs an die Bedingung, | |
daß der Iran das Völkerrecht respektiert und sämtliche Arten von | |
staatsterroristischen Aktivitäten unterläßt, insbesondere gegen | |
Oppositionelle im Ausland. Können Sie diese Erwartung erfüllen? | |
Der Iran wird keine Bedingungen für den Beginn des Dialogs oder | |
irgendwelcher Gespräche akzeptieren. Ich empfehle den deutschen Politikern, | |
erst ihre eigenen Menschenrechtsprobleme innerhalb des Landes zu lösen, | |
bevor sie sich in die Angelegenheiten anderer Völker einmischen. | |
Seit Bestehen der Islamischen Republik Iran sind einige hundert | |
Oppositionelle weltweit ums Leben gekommen – durch Täter, die aus Teheran | |
gekommen sind. Wer steckt beispielsweise hinter dem Mykonos-Aschlag? | |
Uns wurden keine Beweise dafür gezeigt, daß Iran etwas damit zu tun hätte. | |
Wir wissen nicht, wer dahintersteckt und welche Konflikte innerhalb solcher | |
Gruppen existieren. | |
Ein deutsches Gericht hat es jedoch für erwiesen erachtet, daß der | |
Mykonos-Anschlag auf das Konto der iranischen Staatsführung geht. | |
Das ist Unsinn, was das Gericht behauptet. | |
Unterstützt der Iran Gruppen wie Hisbollah und Hamas? | |
Wenn Sie damit meinen, daß wir der Hamas Waffen liefern: Nein, das tun wir | |
nicht. Wenn Sie aber damit meinen, daß wir die Palästinenser in ihrem Kampf | |
unterstützen: Ja, das tun wir. | |
Hisbollah ist eine völlig andere Angelegenheit. In diesem Fall müßten | |
eigentlich wir als Fragesteller an den Westen auftreten. Wir müßten fragen: | |
Warum wird ausgerechnet Hisbollah so negativ dargestellt? Die kämpfen doch | |
für ihre Rechte. Die wollen ihr Land von einer Besatzung befreien. Es sind | |
doch die Israelis, die ihr Land besetzt haben. Dafür sprechen doch alle | |
Resolutionen des Weltsicherheitsrates. | |
Unterstützt der Iran materiell oder finanziell in irgendeiner Weise die | |
Hisbollah? | |
Wir unterstützen die Hisbollah moralisch und nicht durch Lieferung von | |
Waffen. | |
Ihr Präsident Chatami hat auf der Islamkonferenz von einem „gerechten und | |
ehrenwerten Frieden“ gesprochen, der auf den „legitimen Rechten der | |
Palästinenser“ beruhen müßte. Erkennt der Iran damit das Existenzrecht | |
Israels an? | |
Herr Chatami hat bereits in seinem ersten Interview nach seiner Wahl | |
gesagt, daß er die Existenz Israels nicht anerkenne. Aber die Formel, die | |
er für Frieden vorschlägt, wird von allen im Iran unterstützt: Daß alle | |
Rechte der Palästinenser anerkannt, die besetzten Gebiete zurückgegeben | |
werden und die palästinensischen Flüchtlinge zurückkehren können, daß es | |
freie Wahlen gibt unter allen Bevölkerungsgruppen, Christen, Juden und | |
Arabern. | |
Sie sprechen von den ,besetzten Gebieten‘. Welche sind das, die 1967 | |
okkupierten oder ganz Palästina? | |
Die Bezeichnung Palästina ist sehr alt. Auf Karten ist das Gebiet | |
verzeichnet. Dieses Gebiet meine ich. Es gehört allen Gruppen: Muslimen, | |
Juden und Christen. | |
Wenn die europäischen Außenminister über ihre Beziehung zum Iran beraten, | |
wird diese auch am Fall von Salman Rushdie gemessen werden. | |
Es hat in bezug auf Salman Rushdie eine einvernehmliche Vereinbarung | |
gegeben. Wenn man diese wiederbeleben würde, könnte man damit leben. | |
Nennen Sie uns Details? | |
Es war darüber gesprochen worden, daß beide Seiten – Europäer und Iran – | |
erstens gemeinsam den Terrorismus verurteilen und dann sagen, daß sie sich | |
nicht in die inneren Angelegenheiten der anderen Seite einmischen, und | |
drittens, daß Iran kein Kommando losschickt, um Salman Rushdie zu töten. | |
Woran ist eine solche Übereinkunft gescheitert? | |
Wegen des Mykonos-Verfahrens hat man für den Augenblick davon Abstand | |
genommen. | |
Wir möchten noch einen weiteren Fall ansprechen... | |
...Sie haben wohl nur die negativen Aspekte aus Ihrem Archiv | |
zusammengesucht. | |
Der Schriftsteller Faradsch Sarkuhi sitzt seit über 13 Monaten im | |
Gefängnis. Warum? | |
Von der iranischen Justiz wurde uns mitgeteilt, daß er in zwei bis drei | |
Monaten freikommt. Aber wir halten das für eine innere Angelegenheit des | |
Irans. Wir bekommen noch nicht einmal eine Antwort darauf, warum unsere | |
Leute bei Ihnen im Gefängnis sitzen. | |
Einer der Vorwürfe, der Sarkuhi von offizieller iranischer Seite gemacht | |
wurde, war, er habe Kontakte zu ausländischen Botschaften gehabt. Es | |
handelt sich also nicht nur um eine innere Angelegenheit des Iran. | |
Das war kein Vorwurf. Er hat es selbst zugegeben. | |
In einem Brief, von dem die Familie sagt, er sei gefälscht. Nicht einmal | |
die Handschrift stimme mit anderen Schriftstücken überein. | |
Ich bin kein Richter. Die Gerichte sind unabhängig. Ich kann diese Dinge | |
nicht beurteilen. | |
Bei dem Prozeß waren keine unabhängigen Beobachter zugelassen. Die Familie | |
hatte ebenfalls keinen Zugang. | |
Auch in Deutschland erhalten wir keine Informationen über iranische | |
Gefangene. Von einem iranischen Gericht aber verlangen Sie, daß | |
ausländische Beobachter zugelassen werden. | |
Angehörige im Iran wurden nicht zum Prozeß zugelassen. Sarkuhi konnte sich | |
seinen Anwalt nicht auswählen. | |
Es war ein öffentliches Gericht, und auch die Vorverhandlungen waren | |
öffentlich. | |
Herr Botschafter, mit Verlaub: Glauben Sie das, was Sie jetzt sagen? | |
Das sind meine Informationen; ich muß schließlich nicht alles im einzelnen | |
verfolgen, was dort vor Gericht vorgeht. Grundsätzlich sind die iranischen | |
Gerichte unabhängig. | |
Sarkuhis Entlassung steht Ende Januar an. Wird er dann den Iran verlassen | |
dürfen? | |
Das entscheide nicht ich, sondern das Gericht. | |
Ihr Präsident Chatami hat auf der islamischen Gipfelkonferenz von einer | |
islamischen Zivilgesellschaft geredet, die sich zwar von den westlichen | |
Gesellschaften unterscheidet, aber nicht notwenigerweise im Gegensatz zu | |
ihnen steht. | |
Er wird von der iranischen Bevölkerung, der iranischen Führung und dem | |
iranischen Parlament unterstützt. | |
Herr Chatami sagte in seiner Regierungserklärung, daß jede Anstrengung, | |
Männer und Frauen zu trennen, eine Grausamkeit gegen Männer und Frauen in | |
der Gesellschaft sei. Danach sind jedoch Gesetze erlassen worden, die eine | |
Trennung nach Geschlechtern im Gesundheits-, im Schul- sowie im | |
Verkehrswesen vorsehen. Wie paßt das zusammen? | |
Mit der breiten Unterstützung, die Herr Chatamie seitens der Bevölkerung, | |
des Parlaments und der Religiösen Führung genießt, wird er keine Probleme | |
haben, seine Pläne zu realisieren. | |
Wird er bei seinem Vorhaben, Parteien zuzulassen, Erfolg haben? | |
Das nehme ich an. Schließlich gibt es keine gesetzlichen Hindernisse. Die | |
iranische Verfassung läßt das zu. | |
Aber er hat dabei auch die volle Unterstützung des Religiösen Führers, des | |
Ajatollah Chamenei? | |
Herr Chamenei ist nicht gegen Parteien. | |
Der einst als Nachfolger von Revolutionsführer Chomeini gehandelte | |
Ajatollah Montaseri hat dem Religiösen Führer Chamenei das Recht | |
abgesprochen, die Islamische Republik zu führen. Ist das ein Ausdruck eines | |
Machtkampfes zwischen Chamenei und dem Präsidenten Chatami? | |
Die Ausführungen von Herrn Montaseri verstoßen gegen das iranische | |
Grundgesetz. Es ist nicht zu bezweifeln, daß es im Iran Meinungsstreit | |
gibt. Wenn Herr Montaseri oder Herr Sorusch ihre Meinung äußern und es dann | |
eine Demonstration dagegen gibt, wird das von Ihnen als Machtkampf | |
dargestellt. Bei Ihnen gibt es das gleiche Tag für Tag. Hier gibt es auch | |
Meinungsstreit, Machtkämpfe. Das ist nichts Schlimmes. | |
Anders als im Iran, ist es hier nicht üblich, Machtkämpfe mit Fäusten und | |
Knüppeln auszutragen. Herr Montaseri ist körperlich bedroht, mehrere | |
Redaktionen von kritischen Zeitungen verwüstet worden, Redakteure wurden | |
krankenhausreif geschlagen. Wer steckt hinter diesen Schlägertrupps, die | |
als Ansar-e Hisbollah [Anhänger der Partei Gottes, d. Red.] auftreten? | |
Das stimmt nicht. Auch im Iran ist Gewaltanwendung gegen Menschen mit einer | |
anderen Meinung verboten. Aber auch bei Ihnen werden Dinge manchmal so | |
ausgetragen. | |
Noch mal: Wer steckt hinter den Anhängern der Partei Gottes? Gibt es, wie | |
häufig behauptet, eine Verbindung zum Religiösen Führer Ali Chamenei? | |
Nein! | |
Der Generalsekretär des US- amerikanischen Fußballverbandes erwartet die | |
„Mutter aller Spiele“, wenn bei der Weltmeisterschaft seine Elf auf die des | |
Iran trifft. Wie wird Ihre Mannschaft abschneiden? | |
Die amerikanische Mannschaft wollen wir besiegen und mit den beiden anderen | |
gleichziehen. Egal, wie die Spiele ausgehen: Es wird zu keinen weiteren | |
Verwicklungen führen. | |
Interview: Thomas Dreger, | |
Dieter Rulff | |
16 Dec 1997 | |
## AUTOREN | |
T.Dreger / D.Rulff | |
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