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# taz.de -- Dienstmütze mit Drehregler
> ■ Wirre Verschwörungsgeschichte mit Hase, Hund und Kater: Lewis
> Trondheims Comic „Walter“ erfreut durch Strenge und Anarchie
Walter, das Krokodil, ist ein bekannter Biologieprofessor, der sich bei
einem Selbstversuch in ein blaßgrünes Monster verwandelt hat. Walters Sohn
Bertrand will ihm seine richtige Gestalt wiedergeben, darum holt er drei
Freunde zu Hilfe: Lapinot, das Kaninchen mit medizinischen Kenntnissen, den
Polizeihund Inspektor Bäcker und einen Kater, der „Herr Journalist“ heißt.
Gemeinsam kämpfen sie nicht nur gegen den rätselhaften Gestaltwechsel. Auch
Agenten aus einer düsteren Ostdiktatur sind ihnen bald auf den Fersen. Dem
Geheimdienst von Manukistan hatte Professor Walter den Bau einer
Zeitmaschine versprochen. Pech für den Journalisten, daß man gerade die
Troddel an seiner Dienstmütze für einen Drehregler zum Dimensionenreisen
hält.
„Walter“ von Lewis Trondheim unterscheidet sich nicht nur wegen der
undurchsichtigen Geschichten von anderen Comics, in denen sprechende Tiere
auftreten. Kater, Kaninchen und Hund sind meist mit Kalauern, Sprachspielen
und gegenseitigen Beleidigungen befaßt. Ganz ungerührt kaspern sie durchs
Paris der Jahrhundertwende, schließlich müssen sie sich nicht zum ersten
Mal in einer unbekannten Welt zurechtfinden. In den bisher fünf
„Lapinot“-Folgen glänzten die drei schon als Westernhelden oder
beschimpften sich als neurotische Yuppies. Beim Urlaub in einer Skihütte
eingeschneit, lieferten sie sich erbarmungslose Psychoquerelen („Slaloms“,
1995).
Das gleichbleibende Personal ist typisch für Trondheim, seine
Genre-Eklektik läßt in „Walter“ erstmals ein historisches Vorbild erkenne…
die „Adele“-Geschichten von Jacques Tardi. Allerdings sind die Schlenker,
in denen die wirre Verschwörungsgeschichte verläuft, viel grotesker als bei
„Adele“, und die Witze in „Walter“ sind lustiger. Für das Tardi- hafte
Gefühl der Figuren, durchweg im falschen Comic zu sein, hat Trondheim
überdies eine passende Bildsprache gefunden. In der konventionell
konstruierten Szenerie von Paris wirken die sich fortwährend verformenden
Tierphysiognomien, als wären sie nachträglich hineincollagiert.
So ist der Ausdruck zerrissen, doch das hat Methode. Wer genauer hinsieht,
bemerkt: Im Bildschirm der Panels sind die Figuren geometrisch sortiert.
Trondheim hat die Silhouette des Comic-Tiers als symbolische Form
wiederentdeckt, eine Tradition, die aus den amerikanischen Zeitungs-Comics
kommt. Felix dem Kater oder der frühen Micky Maus war immer anzusehen, daß
man sie erst als Quader und Kreise skizzierte. Diese graphische
Schlichtheit sollte die Zeit zum Zeichnen verkürzen. Sie provozierte
zugleich jenen „Formalismus“ im Ausdruck, der die frühen Comics
rückblickend so radikal modern scheinen läßt.
Diese schöne alte Mischung aus Strenge und Anarchie erfreut sich nicht nur
bei Trondheim neuer Beliebtheit. Sie ist für die meisten Zeichner typisch,
die mit ihm in der Pariser Gruppe „L'Association“ das Bild der
französischen Comics renoviert haben. Gegen die bunte Designer-Ästhetik,
mit der die Generation von Annie Goetzinger und Enki Bilal die Bandes
Dessinées in den achtziger Jahren verdarb, setzt man hier wieder auf die
Schlichtheit klassischer Strips – und auf einen unbedingten, aber lustigen
Modernismus.
Bei einem seiner ersten Auftritte etwa bewies sich Trondheim als Sachwalter
des Nouveau Roman. Seine Serie „Les Aventures de Quand On s'Emmerde en
Bagnole“ besteht aus zahllosen (fast) identischen Szenen: Mit leicht
veränderten Sprechblasentexten werden den einzelnen Bildern die
unterschiedlichsten Ausdrücke abgerungen. So sieht man genau, was fünf
Bären beim Autofahren denken.
Von dieser Philosophie der Wiederholung war auch der Einstand Lapinots noch
geprägt: in „Lapinot et les carottes de patagonies“ (1992), einer
500seitigen Schwarzweiß-Studie über die Obsession des Kaninchens mit
exklusiven Karotten. Gegen die endlosen Wirrungen, die dort seine Reise ins
Gemüseparadies Patagonien verhindern, wirken Lapinots neueste Abenteuer
geradezu konventionell. Seit dem Wechsel zum Großverleger Dargaud gibt
Trondheim seinen Comics – zumindest für den flüchtigen Blick – eine
klassische Form. Daß „Walter“ als erstes Album nun auch in deutscher
Sprache erscheint (hier nennt sich das Kaninchen „Herr Hase“), ist sicher
dieser vergleichsweisen Eingängigkeit geschuldet. Doch wartet man nicht
seit zwanzig Jahren auf einen Comic-Zeichner, der Witz und Reflexion
publikumsfreundlich minteinander verbindet? Lewis Trondheim hat das nötige
Niveau neu definiert. Jens Balzer
Lewis Trondheim: „Herrn Hases haarsträubende Abenteuer, Bd. 1: Walter“. Aus
dem Französischen von Joachim Kaps. 48 S., Carlsen Verlag, Hamburg 1997,
18,90 DM
21 Jan 1998
## AUTOREN
Jens Balzer
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