# taz.de -- Ein Tisch – 80.000 Flüchtlinge | |
> Mit primitivsten Mitteln versuchen Sudans SPLA-Rebellen, in ihrem | |
> Herrschaftsgebiet nahe der Grenze zu Uganda Kriegsvertriebene | |
> wiederanzusiedeln ■ Aus Kajo Keji Christian Riedmüller | |
Weit erstreckt sich die Savanne unterhalb des Hügels. Emanuel, Fahrer für | |
die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“, beschreibt mit seinem Arm einen | |
vagen Halbkreis und lacht: „Bald wird hier alles wieder besiedelt sein.“ | |
Bald – damit meint er die Trockenzeit, wenn das Gras so hoch gewachsen und | |
so trocken ist, daß es zum Bau der Dächer runder Lehmhütten verwendet | |
werden kann. | |
An den Fuß des Hügels schmiegt sich der Ort Kajo Keji, Kreisstadt in der | |
südsudanesischen Provinz Equatoria. Einst ein Außenposten des britischen | |
Kolonialreiches, mag Kajo Keji durchaus Bedeutung als regionaler | |
Marktflecken gehabt haben. Nach Uganda sind es 25 Kilometer, zum Nil fünf. | |
Das Land ist so fruchtbar, daß es seit jeher die Kornkammer der großen | |
Provinzhauptstadt Juba genannt wird. In Kajo Keji gab es einmal | |
Krankenhaus, Schule, Läden und eine Kirche. | |
Heute erinnert der Ort an eine Geisterstadt. Die Häuser längs der | |
Hauptstraße sind zerfallen, von Fäulnis zerfressen, weil sich niemand um | |
ihren Erhalt kümmern kann. Viele Bewohner sind geflohen. Sie flüchteten vor | |
dem Bürgerkrieg, der den Sudan nicht zur Ruhe kommen läßt. In den letzten | |
Jahren wechselte Kajo Keji mehrmals den Besitzer. 1990 eroberte die | |
„Sudanesische Volksbefreiungsarmee“ (SPLA) die Stadt. 1994 wurden die | |
Befreiungskämpfer von den Regierungstruppen vertrieben. Die Soldaten | |
errichteten Garnisonen, gewannen aber nie völlige Kontrolle über das | |
Gebiet. Viele Zivilisten retteten sich nach Uganda. | |
Im März 1997 eroberte die SPLA den Ort und die umliegende Region zurück. | |
Sie fanden nur mehr Fassaden vor. Die Regierungstruppen hatten bei ihrer | |
Flucht alles fortgeschafft, was ihnen irgendwie verwertbar erschien. Selbst | |
die Blechdächer der Häuser waren zum Teil entfernt worden, um damit | |
militärische Unterstände gegen Granatsplitter zu schützen. Zurück ließen | |
sie nur Munition und Granaten, die immer noch unbeaufsichtigt in einigen | |
Häusern herumliegen. | |
Die schlimmste Hinterlassenschaft Khartums sind die Landminen. Niemand weiß | |
Genaues über Anzahl und Lage. Einheiten der SPLA haben begonnen, nach Minen | |
zu suchen und diese zu entschärften. Am ehesten werden sie wohl jene | |
finden, die sie selbst vor Jahren vergraben haben. Ansonsten hilft bei der | |
Suche nur die Erfahrung: Minen wurden und werden oft im Umkreis der Mango- | |
Bäume, die hier ständig Früchte tragen, auf den Wegen zu Feldern und | |
Wasserpumpen gelegt. Wie kann Emanuel hier von blühenden Landschaften | |
träumen? | |
## Letztes Krankenhaus für 200 Kilometer | |
Politische und humanitäre Abteilungen der SPLA haben seit der Eroberung | |
Kajo Kejis damit begonnen, zivile Strukturen aufzubauen. Mit James Duku | |
wurde ein Verwalter eingesetzt, dem zum einen ein guter Draht zur SPLA- | |
Führer John Garang nachgesagt wird und der zum anderen für seine besonnene | |
Art gelobt wird, die ihn zum bevorzugten Gesprächspartner der | |
Hilfsorganisationen werden ließ. | |
Doch die lokalen Autoritäten stehen mit leeren Händen da. Im Büro der | |
Sudaneischen Hilfs- und Wiederaufbau-Vereinigung (SRRA), humanitärer Arm | |
der SPLA, stehen ein klappriger Tisch und vier roh gezimmerte Schemel. Der | |
Sekretär hütet seinen Kugelschreiber und einige Blatt Papier wie Reliquien. | |
Sie sind die einzigen Hilfsmittel bei einer gewaltigen Aufgabe: Die lokalen | |
Autoritäten wollen alle Flüchtlinge und Vertriebene, die aus Uganda oder | |
ihren Buschverstecken zurückkommen, registrieren und ihnen die Rückkehr in | |
ihre Heimatdörfer ermöglichen, wenn es die Sicherheitslage erlaubt. | |
James Duku weiß nur zu gut, daß ein solcher Kraftakt ohne ausländische | |
Hilfe nicht zu bewältigen ist. Die nötige Unterstützung erhofft er sich von | |
den zahlreichen Hilfsorganisationen in Kenia, die er bald nach der | |
Eroberung Kajo Kejis kontaktierte. Organisationen wie Operation Lifeline | |
Sudan (OLS) und Unicef kamen nach einer ersten Besichtigung der Region zu | |
dem Schluß, daß vor allem Hilfeleistung im medizinischen und | |
landwirtschaftlichen Bereich nötig sei. Sie einigten sich darauf, „Ärzte | |
ohne Grenzen“ mit dem Wiederaufbau des vollständig geplünderten Hospitals | |
in Kajo Keji zu beauftragen. Im Oktober 1997 wurde mit der Renovierung | |
begonnen. | |
Das Krankenhaus ist das einzige in einem Gebiet, in dem etwa 80.000 | |
Flüchtlinge vermutet werden. Die meisten halten sich wohl in der Umgebung | |
Kajo Kejis auf. In die Stadt selbst sind nach SPLA- Angaben etwa 7.000 | |
Menschen zurückgekehrt. Ihnen allen wird ein einziges Hospital mit einer | |
Kapazität von 60 Betten, ausgestattet mit Operations- und Kreißsaal, zur | |
Verfügung stehen. Das nächste sudanesische Hospital ist 200 Kilometer | |
entfernt. Schwere Fälle müssen nach Uganda. | |
Die Anwesenheit des ausländischen Personals von „Ärzte ohne Grenzen“ wird | |
als entscheidender Faktor für die Rückkehr der Flüchtlinge angesehen. | |
Landrat Felix Leju vom politischen Arm der SPLA bringt die Voraussetzungen | |
für eine Rückkehr auf einen Satz: „Wir brauchen medizinische Versorgung, | |
und wir müssen Unterricht für die Kinder anbieten.“ Beides könnte in naher | |
Zukunft gewährleistet werden. Zur gleichen Zeit, da das Hospital renoviert | |
wird, versucht ein Lehrer etwa 20 Jungen zu unterrichten, eine | |
Krankenschwester bietet in der verlassenen Kirche der Nazarener | |
Schulstunden für knapp 40 Mädchen an. Improvisationstalent ist gefragt. | |
Sylvia Nafisa Doru, die eine Selbsthilfegruppe für Kriegswitwen ins Leben | |
gerufen hat, berichtet von den Schwierigkeiten: „Es gibt keine Bücher, | |
Stifte, Papier oder Kreide. Außerdem können wir den Lehrern nichts | |
bezahlen.“ Doch die Bemühungen werden von den Zurückgekehrten dankbar | |
registriert. Sie sind eines der vielen Zeichen gegen die Agonie, die | |
manchen nur noch betrunken, ziellos, wortlos, zeitlos durch den Staub | |
stolpern läßt. | |
Der Aufbauwille ist ein Zeichen für die Zuversicht der SPLA. „Die | |
Regierungstruppen werden nicht zurückkommen“, sagt nicht nur Vincent Kujo | |
Lurons, der das als Kommandant der örtlichen SPLA- Garnison ohnehin | |
behaupten muß. Nein, fast jeder in Kajo Keji ist davon überzeugt, daß „der | |
verhaßte Feind für immer vertrieben ist“. Der ein oder andere hat sich | |
sogar der SPLA angeschlossen, doch die meisten hoffen einfach darauf, | |
endlich ihre Familien wiedersehen zu können, von denen sie oft über Jahre | |
getrennt waren. Mancher ist noch Hunderte von Kilometern von seiner | |
eigentlichen Heimat entfernt. | |
Mit jedem Tag kehren mehr Flüchtlinge zurück. Sie kommen von Moyo und | |
Adjumani in Uganda, weil Freunde und Verwandte vom Wiederaufbau in | |
Equatoria berichten. Sie kommen, weil die Flüchtlingscamps nicht mehr | |
sicher sind, seit in Uganda die Rebellen der „Widerstandsarmee Gottes“ | |
(LRA) Camps überfallen und Sudanesen töten. | |
Auch in Kajo Keji fallen nachts Schüsse. Kommandant Lurons wiegelt ab: „Das | |
sind Soldaten, die von der Front zurückgekommen sind. Sie feiern.“ | |
SPLA-Soldaten in Phantasieuniformen, die Kalaschnikow oder den Karabiner | |
stets griffbereit, bestimmen das Bild auf dem Marktplatz. Manche betrinken | |
sich, anderen gehen den Zivilisten bei verschiedenen Arbeiten zur Hand. Auf | |
dem Marktplatz wird in bescheidenem Maße gehandelt. Eine Handvoll Tomaten | |
hier, da Mangos und eine Art Spinat, dann und wann ein schmales Zicklein, | |
Zigaretten, Seife, Mehl und Salz. Viel ist es nicht. Die meisten Leute sind | |
noch auf die Essenslieferungen der Hilfsorganisationen angewiesen. | |
Auf dem Krankenhausgelände arbeiten etwa 70 Menschen. Sie zimmern neue | |
Türen und Fensterrahmen, streichen Wände, übertünchen Wandschmierereien, | |
die die Regierungstruppen hinterlassen haben. Andere versuchen, die Straße | |
in befahrbarem Zustand zu halten, die die einzige Verbindung nach Uganda | |
ist. Nur über diese Piste können Krankenhaus und Ortschaft mit den | |
notwendigen Hilfsmitteln versorgt werden. John, der Bauleiter, stöhnt: | |
„Jeden Nagel müssen wir aus Uganda herbeischaffen. Unsere beiden Jeeps sind | |
ständig unterwegs, um benötigtes Material zu besorgen.“ | |
Stolz zeigen John und seine Handwerker auf ein bereits fertiggestelltes | |
Gebäude, das als Lager genutzt wird. Bis unter die Decke stapeln sich | |
Krankenbetten, Medikamente und Ausrüstung für den Operationssaal. Ein | |
Lastwagen- konvoi aus Ugandas Hauptstadt Kampala hatte das Material | |
herbeigeschafft. „Wir versuchen von Anfang an, unserem Personal | |
einheimische Kräfte zur Seite zu stellen“, sagt Ettore Laricci, Leiter des | |
MSF-Regionalbüros in Nairobi. „Das ist schwierig, weil sudanesische Ärzte | |
und Krankenpfleger oft ebenfalls geflohen sind und nun wahrscheinlich in | |
Kenia oder Uganda arbeiten. Deshalb wollen wir gemeinsam mit anderen | |
Hilfsorganisationen einheimisches Personal ausbilden, um der Bevölkerung in | |
fünf Jahren ein voll funktionstüchtiges Krankenhaus unter ihrer eigenen | |
Verwaltung übergeben zu können.“ | |
## „Hier gibt's Gold und Öl. Europa soll kommen.“ | |
Während „Ärzte ohne Grenzen“ realistisch von Jahren des Aufbaus spricht, | |
sind John und Emanuel in ihren Prognosen weitaus kühner. Schließlich ist | |
mit Francis Lulu bereits der MSF-Arzt eingetroffen. „Der Doktor ist da. | |
Bald können wir auf den Feldern säen. Hier gibt es Teak, Gold und Öl. Die | |
Europäer, die Deutschen sollen kommen und uns helfen“, rufen die Arbeiter | |
auf dem Hospitalgelände. | |
Bald, so hoffen sie, könnte hier alles wieder besiedelt sein. Wenn nur die | |
Gerüchte verstummten, daß SPLA und Regierungstruppen in der Trockenzeit um | |
Juba kämpfen werden. Juba ist die größte jener Städte im Süden des Sudan, | |
die noch von der Regierung gehalten werden. Die etwa 300.000 Menschen in | |
der Region um Juba gelten als Faustpfand der Regierungstruppen, um die SPLA | |
mit ihrer angekündigten Frühjahrsoffensive zögern zu lassen. Käme es | |
tatsächlich zum Kampf, dann flöhen Tausende von Menschen an Kajo Keji | |
vorbei Richtung Uganda und das kleine Buschkrankenhaus wäre das einzige, wo | |
sie medizinische Hilfe erhielten. | |
2 Mar 1998 | |
## AUTOREN | |
Christian Riedmüller | |
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