# taz.de -- Nur mit Brandsatz in der Tasche | |
> ■ Die Flitterwochen sind vorbei: Von der historischen Allianz aus Britpop | |
> und Politik ist nicht viel geblieben außer allgemeiner Enttäuschung. Nach | |
> neun Monaten Labour-Regierung artikuliert sich in der Musiks | |
Die kalte Dusche, die den stellvertretenden britischen Premierminister John | |
Prescott bei den britischen Kulturpreisverleihungen traf, zielte auf die | |
ganze Regierung. Danbert Nobacon von den Alt-Anarchos Chumbawamba übergoß | |
Prescott „im Namen alleinerziehender Mütter, Rentner, entlassener | |
Hafenarbeiter, zur Kasse gebetener Studenten, Obdachloser und der | |
Unterklassen, die unter der Labour-Regierung leiden müssen“ mit einem Kübel | |
Eiswasser. | |
Nur Billy Bragg, der für Blairs Vorgänger Neil Kinnock den Labour-Musikclub | |
„Red Wedge“ aus der Taufe gehoben hat, war empört. „Da wird Prescott, | |
vermutlich der einzige aus der Arbeiterklasse im Kabinett, von einem Typen | |
naßgemacht, der in Wirklichkeit Nigel heißt und einen Schottenrock trägt“, | |
ärgerte sich Bragg. Der New Musical Express dagegen, Britanniens | |
einflußreichste Popzeitschrift, sah die Dusche „als Warnung von uns allen“. | |
„Die Flitterwochen sind vorbei“, heißt es in der neuen NME-Ausgabe, „die | |
jahrzehntealten, instinktiven Sympathien der Rockmusik für Labour sind in | |
den vergangenen neun Monaten fast vollständig verflogen.“ Premierminister | |
Tony Blair sei nichts weiter als ein „weicher Tory“. | |
Besonders erbost sind die Rockmusiker über vier Punkte: die | |
Studiengebühren, die dazu führen, daß Studenten bei ihrem Abschluß 30.000 | |
Mark Schulden auf dem Konto haben; das Recht der Polizei, nach Einbruch der | |
Dunkelheit Jugendliche unter 18 willkürlich zu durchsuchen; die Weigerung | |
der Regierung, über eine Lockerung des Cannabisverbots – Innenminister Jack | |
Straw setzte es mit Contergan gleich – überhaupt zu diskutieren; und der | |
Großangriff auf die Arbeitslosenhilfe, die Arbeitslosen unter 25 gestrichen | |
werden soll, wenn sie nicht bereit sind, irgendeinen angebotenen Job | |
anzunehmen. Damit, so argumentieren die Musiker, habe der Rocknachwuchs | |
keine Chance. Denn wer als Hamburger-Monteur arbeiten müsse, könne nicht | |
Gitarre spielen oder Songs schreiben. | |
„Unsere Musik, unsere Kultur, unser kollektiver Schweiß sind in kleine | |
Päckchen verpackt“, schreibt der New Musical Express, „mit einem niedlichen | |
Markennamen versehen und von New Labours Spin Doctors benutzt worden, um | |
dieser widerlich reaktionären New-Labour-Regierung ein Stück radikaler | |
Glaubwürdigkeit zu verleihen. Eine Glaubwürdigkeit, die sie kein bißchen | |
verdient. Kotzt euch das nicht an?“ | |
Die meisten kotzt es in der Tat an. Die Zeitschrift sprach mit mehr als 20 | |
Rockgruppen, von Verve und Primal Scream über die Stereophonics und Ash bis | |
hin zu den Charlatans: Niemand hatte ein gutes Wort übrig für Tony Blair. | |
Oasis-Manager Alan McGee, der voriges Jahr 50.000 Pfund für den | |
Labour-Wahlkampf gespendet hatte, sagt: „Die Sache stinkt zum Himmel, und | |
dagegen muß man protestieren. Sie wollen die Rockmusik isolieren und | |
abschlachten.“ Jarvis Cocker von Pulp meint, es sei schlimmer als bei den | |
Tories: „Von den Tories erwartet man dieselbe olle Scheiße.“ Und auf die | |
Frage, ob Popstars weiterhin auf Parties in die Downing Street gehen | |
sollen, sagte Martin Rossiter von Gene: „Ja, aber nur mit einem Brandsatz | |
in der Tasche.“ | |
Britpop, von Blair im vorigen Sommer noch als Wahrzeichen für New Labours | |
„Cool Britannia“ gehuldigt, hat die Verbindungen zu Labour gekappt. Der | |
Premierminister beschwor damals eine politisch wie kulturell neue Ära, doch | |
das Schlagwort hat sich längst als Ersatz für Politik entpuppt. Den | |
Rockmusikern dämmert so langsam, daß sie als Modeschmuck benutzt worden | |
sind. Rockkritiker Roger Tredre meinte, mit dem „Millennium Dome“, jenem | |
eine Milliarde Pfund teuren Labour- Disney in Greenwich, habe Blair sein | |
wahres Gesicht gezeigt, was seine Kulturpolitik angeht. Denn gleichzeitig | |
wurde der Etat für Kultur und Sport um zwölf Millionen Pfund eingedampft. | |
Vor neun Monaten war die Welt noch in Ordnung, als Noel Gallagher von Oasis | |
auf ein Täßchen Champagner in der Downing Street vorbeischaute. | |
Staatssekretär Mark Fisher besuchte gar das Popfestival in Glastonbury, das | |
dafür bekannt ist, daß dort nicht nur Zigaretten geraucht werden. Blairs | |
New Labour buhlte um die Popstars, sein Pressesprecher betonte ein ums | |
andere Mal, daß Blair und Prescott mit Popmusik aufgewachsen seien: „Sie | |
haben Musik im Blut.“ In den USA hatte Bill Clinton es ja vorgemacht und | |
sich erfolgreich als ein Rock'n'Roll-Kid verkauft. | |
Dann kam die Dusche für Prescott. Eigentlich hätte auch Blair bei der | |
Preisverleihung dabeisein sollen, doch in letzter Sekunde beschlich ihn | |
womöglich eine Ahnung – statt selbst zu kommen, schickte er seine Frau | |
Cherie Booth und die Kinder. Der Journalist Roger Tredre empfiehlt Blair | |
ohnehin, sich in Zukunft lieber mit Rockstars seiner eigenen Generation zu | |
umgeben. Erstens seien Labour-Fans wie Toupetträger Elton John | |
berechenbarer. Und außerdem werde es mit zunehmendem Alter schließlich | |
immer schwerer, Kübel mit Eiswasser zu stemmen. Ralf Sotscheck | |
19 Mar 1998 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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