# taz.de -- Saucige Spruchkültür | |
> ■ Keine Gedichte und kein Baguette mehr: Das „Bon Appetit“in Horn muß | |
> weichen | |
Die meisten Menschen haben ungefähr drei Grundbedürfnisse. Für zwei | |
erklärte sich im Jahre 1982 Monsieur Beckmann zuständig: für Essen und | |
Kultur. Besser: Cültüre. Oder mit Herrn Beckmanns Worten: für „Saucen und | |
Sprüche“. Denn Saucen und Sprüche galten viele Jahre lang den Gästen und | |
Passanten des „Bon Appetit“als legendär. Drinnen, an umgebauten | |
Whiskey-Fässern, ließ man sich von Maitre und Madame warme überbackene | |
Baguettes mit triefender Saucenlegende servieren. Draußen hing der Spruch | |
der Woche: Haben Sie's des Nachts mal toll getrieben, / da hilft nur eins: | |
Croque Nummer Sieben. | |
In der Woche nach Ostern wird nun das alte „Bon Appetit“für die neue | |
Straßenbahn plattgemacht. Dann wird die letzte der gelben Pappen, die | |
allmorgendlich den unausgeschlafenen Staufahrer auf dem Weg zur Arbeit | |
anlachten, in den Staub sinken: Der letzte Spruch an dieser Wand / sagt | |
allen Gästen „Vielen Dank“! | |
Wenn er so dastand, der Andreas Beckmann, hinterm Tresen, blaue Schürze, | |
Baskenmütze auf dem Kopf, den schnurfeinen Moustache sauber geschnitten, da | |
hätte niemand französischer aussehen können. Dabei liegt der letzte | |
französische Vorfahr Beckmanns seit der französischen Revolution unter der | |
Erde. Beckmann war 55 Jahre alt, als er 1982 aus seinem Leben als Vertreter | |
für Lebensmittelverpackungen ausstieg. Einfache Gastronomie, vielleicht in | |
Frankreich oder auf Mallorca, das wäre nochmal was für ihn und seine | |
exzellent kochende Frau Margarete. Nur: „Man hatte doch da seine Bindung an | |
Bremen.“Und so entstand die Idee, französische Küche in die diesbezüglich | |
versteppte Weserstadt zu bringen, und zwar erschwingliche. Niemand in | |
Bremen kannte damals „Croque Monsieur“– Beckmann machte das belegte | |
Stangenbrot zum bekannten und geschätzten gehobenen Fastfood. | |
Geschmacksrichtung „Paris“war mit Camembert und Knoblauch belegt, | |
„Gourmet“mit „doppelt Schinken“. | |
Und was soll man sagen: Der Laden wurde ein Renner. Eine Goldgrube. | |
„Sonntags,“sagt Frau Beckmann, „war es schwarz vor Leuten.“Teenies kame… | |
Geschäftsleute, ganze Familien, sogar regelmäßig ein Professor – eine „im | |
positiven Sinne gemischte Gesellschaft“. In Spitzenzeiten gingen 150 Brote | |
am Tag über den Tresen, „eine Schinderei“, wie sich die Köchin erinnert. | |
Und die Hektoliter Saucenlegende! | |
Wie man einen Kunden anspricht, das hatte Beckmann in den vielen Jahren | |
Außendienst gelernt. Daß ein Schild „Baguette 5 Mark“wenig sagt, war klar. | |
Also kam ihm die Idee mit den Sprüchen. Landratte, Seemann oder | |
Bergbezwinger: / Croques nimmt jeder in die Finger. Die Gedichte ruckelten | |
und zuckelten wie der Stau, der morgens vorbeizog. Doch der werbliche | |
Effekt war unschlagbar: Beim Sprüche lesen fällt's oft schwer, / im Blick | |
zu halten den Verkehr. Und ob Werder verloren hatte oder Gorbi in Genf | |
tätig war - alles war Anlaß für ein Gedicht. Wenn Gorbatschow der Hunger | |
plagt, / in Genf nach einem Croque er fragt. | |
Achteinhalb Jahre betrieben die Beckmanns das Bon Appetit. Dann waren ihre | |
Füße müde. Sie verkauften das Geschäft und die Rezepte. Die Nachfolger | |
betrieben den Laden im Sinne seiner Erfinder weiter. Und das hätte noch | |
endlos so gehen können; aber nun kommt die Straßenbahn nach Horn. Und die | |
Hütte muß weg. Zwar ist schräg gegenüber ein neues „Bon Appetit“entstan… | |
– aber viel modischer, heller, unfamiliärer. Die Croques heißen wieder | |
Baguette; und mit den Gedichten geht es auch zu Ende. | |
Wie das Leben weitergeht? Frau Beckmann aquarelliert, Herr Beckmann | |
betreibt Ahnenforschung (die französische Linie!), sie reisen viel, es geht | |
ihnen gut. Und was machen wir anderen? Mit unserem Hunger? Der Hunger kommt | |
zwei Mal am Tage. / Fehlt es an Croque, wird er zur Plage. Kann man | |
vielleicht Gedichte essen? BuS | |
1 Apr 1998 | |
## AUTOREN | |
BuS | |
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