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# taz.de -- Das mutige Mädchen
> Unterwegs zwischen Istanbul und Berlin: Emine Sevgi Özdamars Roman „Die
> Brücke vom Goldenen Horn“  ■ Von Carola Rönneburg
Emine Sevgi Özdamar schreibt das Jahr 1966: Ihre Erzählerin ist 18 Jahre
alt und von Istanbul nach Berlin übergesiedelt. Hier will sie bei
Telefunken Radiolampen zusammenbauen, um sich das Geld für die
Schauspielschule zu verdienen. Nach ihrer Rückkehr wird sie schon bald
erneut nach Deutschland gehen – diesmal als Dolmetscherin in einem
Frauen-„Wonaym“ von Siemens – und wird schließlich, nach einem
Zwischenspiel in Paris, ein gewissermaßen dramatisiertes politisches Leben
in der Türkei führen. Wenn eine Schauspielerin über den Werdegang einer
Schauspielerin schreibt, dann ist die Versuchung groß, autobiographische
Passagen aufzuspüren; vor allem, da die Autorin ihrer Hauptdarstellerin
keinen Namen gegeben hat. „Die Brücke vom Goldenen Horn“ nennt sich jedoch
„Roman“, und das war sicher eine weise Entscheidung. Zunächst nämlich
gefällt Emine Özdamar in der Rolle des zielstrebigen, aber unbedarften
Mädchens. Sie beobachtet und beschreibt ihre Umgebung, wie man es nur kann,
wenn man noch keinen Platz in dieser Welt einnehmen will. Abgesehen davon
pflegt sie allerdings die Redundanz. Der kriegszerstörte Berliner „Anhalter
Bahnhof“ heißt bei den türkischen Fabrikarbeiterinnen in ihrer Übersetzung
„Beleidigter Bahnhof“ – eine herrliche Kleinigkeit, doch die Autorin setzt
diese Formulierung so häufig ein, daß vom Sprachwitz auch nur eine Ruine
übrigbleibt.
Emine Özdamar zeigt ihre Heldin im Jahr 1968: Von ihrer Naivität hat sie
nichts verloren, doch sie ist nun politisch interessiert – und sie hat
einen politisch aktiven Freund, Kerim. Mit zwei Kollegen will sie eine
Reise in den Osten der Türkei unternehmen, wo eine Hungersnot herrscht. Die
Schauspielschüler wollen für eine Arbeiterzeitung darüber berichten. „Ich
sagte sofort ja und dachte an die Bauern, aber auch an Kerim. Ich könnte
auf der Reise Fotos machen, ihn damit später überraschen und auf der langen
Reise politische Bücher lesen. Auch Rosa Luxemburg hatte sicher im Zug
zwischen Berlin und Warschau Bücher gelesen und ab und zu mal in den Regen
geschaut, und draußen waren vielleicht die Rehe und Kaninchen auf den
Wiesen vorbeigehüpft.“
Statt dessen aber gibt es wilde Hunde und tote Schlangen zu sehen, und das
Trio, das sich auch aufgemacht hat, die Bauern zu agitieren, muß sich von
einem Faschisten zum Abendessen einladen und von einem Schneider die
Weiterfahrt bezahlen lassen. Trotzdem geht der Wunsch von Özdamars
Protagonistin in Erfüllung: Zurück in Istanbul, feiern sie die Genossen,
die in der Cinemathek über der linken Zeitung Cumhuriyet sitzen, als
„mutiges Mädchen“ – und nur darum geht es ihr. „Ich freute mich und ho…
wenn Kerim kommt, werden ihm die drei Männer mit den Che-Guevara-Bärten
sagen: ,Was für ein unglaublich mutiges Mädchen liebst du!‘“
Genau bis zu dieser Szene hält Emine Özdamar den Roman durch. Dann wechselt
sie plötzlich den Ton und das Tempo, gibt Ironie und Distanz auf. In
hektischer Folge treibt sie den Leser durch die Zeit der politischen
Unruhen in der Türkei und der kurzen Amtszeit Eçevits; schildert
Verfolgung, Inhaftierung, Verhöre und Folter geballt auf wenigen Seiten.
Das aber reicht nicht, der Geschichte die ersehnte Wendung zu geben und
eine Entwicklung statt eines geistigen Stillstandes zu schildern: Aus dem
naiven Mädchen ist eine fanatisierte junge Frau geworden, die ihre Eltern
vor der Kleinbürgerlichkeit retten will, indem sie deren Möbel verkauft. Am
Schluß ist Emine Özdamar im Jahr 1975 angelangt: In der Türkei marodieren
faschistische Mordkommandos. Die inzwischen 28jährige sitzt im Zug nach
Berlin, wo sie als Schauspielerin arbeiten will. Ihr gegenüber ein Mann,
der die Cumhuriyet liest. „Wollen Sie eine Zigarette?“ fragt er. „Ja“,
antwortet das mutige Mädchen.
Emine Sevgi Özdamar: „Die Brücke vom Goldenen Horn“. Roman. Kiepenheuer &
Witsch, Köln 1998, 334 Seiten, 39,80 DM
11 Apr 1998
## AUTOREN
Carola Rönneburg
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